Deutscher Koalitionsvertrag: Fußball, Bier und Langeweile
Tatsächlich ist es schon fünf Uhr früh, als das Signal der Einigung aus dem Willy-Brandt-Haus nach außen dringt.
Mehr als zwei Monate nach der Bundestagswahl steht damit die Große Koalition, die Deutschland in den kommenden Jahren regieren will. Zustimmen muss allerdings noch die SPD-Basis.
Seit fünf Wochen laufen die Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD. Doch auch zahllose Arbeitsgruppentreffen, kleine und große Runden konnten keine Annäherung in sensiblen Punkten wie Mindestlohn, Rentenreform, Pkw-Maut und Bildungsfinanzen bringen. Als am Dienstagmittag die Parteispitzen um Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel in der SPD-Zentrale zusammenkommen, ist klar, dass die Entscheidungen nicht länger aufgeschoben werden können, wenn wie angepeilt vor Weihnachten eine neue Regierung stehen soll.
Noch während die kleine Runde zusammensitzt, sickern tagsüber die ersten Details aus der in der Nacht zuvor überarbeiteten Version des Koalitionsvertrags durch: Die von der CSU geforderte Pkw-Maut soll kommen, ebenso die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Doch am Abend stocken die Gespräche – gestritten wird angesichts der milliardenteuren Ausgabewünsche der Parteien vor allem darüber, welche Projekte auf der Strecke bleiben müssen.
Die eigentlich für 19.30 Uhr angepeilte große Runde aus rund 75 Unterhändlern wird auf unbestimmte Zeit vertagt. Die von Beobachtern beschworene “Nacht der langen Messer” verläuft zumindest nach den Umgangsformen friedlich: Aus den Beratungen in kleiner Runde sei “niemand erbost rausgegangen”, heißt es.
Stundenlang lungern Minister, Ministerpräsidenten und Abgeordnete in den oberen Etagen des Willy-Brandt-Hauses. “Für den menschlichen Zusammenhalt in einer Großen Koalition ist das heute vielleicht der wichtigste Abend”, freut sich Hintze über Gesprächsgelegenheiten mit einstigen politischen Gegnern. Und beim gemeinsamen Fußballgucken bei Bier und “Buletten” sei die Freude über den 3:1-Sieg von Dortmund parteiübergreifend gewesen, heißt es.
Irgendwann nach 23 Uhr dann erste Erfolgsmeldungen: Jeder bekommt offenbar seine wichtigsten Wünsche erfüllt – die Union die Verbesserungen für ältere Mütter bei den Pensionen, die SPD die Rente mit 63 für langjährige Beitragszahler und einen Mindestlohn. Doch immer wieder heißt es auch, nichts sei entschieden, bevor nicht alles entschieden sei. Die Beratungen der kleinen Runde – “ernst und konstruktiv” – werden gelegentlich für Dreierrunden von Merkel, Seehofer und Gabriel und Einzelberatungen der Parteien unterbrochen.
Gegen drei Uhr sitzt so manches Mitglied der großen Runde dem Vernehmen nach schon etwas derangiert im Sessel. “Das Warten nervt”, twittert die SPD-Abgeordnete Eva Högl. Ihre CSU-Kollegin Dorothee Bär wendet sich Hilfe suchend an ihre Follower: “Eure Tipps ab wann der Gruppenkoller beginnt…”
Und dann geht plötzlich alles schnell: Auf Mehrausgaben von rund 23 Milliarden Euro dampfen die Parteispitzen ihre Vorhaben ein, sogar im Streit um die von der SPD geforderte Doppelstaatsbürgerschaft gibt es einen Kompromiss. Die komplexen Details sollen später erörtert werden.
Nicht einmal eine halbe Stunde braucht die anschließend schnell zusammengerufene große Runde, um dem Vertrag zuzustimmen. Am Ende sind alle zufrieden: Von “christdemokratischer Handschrift” schwärmt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Die SPD habe hart verhandelt “bis zum Schluss” und viele ihrer Anliegen durchgesetzt, sagt SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. “Jetzt werde ich versuchen, mich ein bisschen frisch zu machen.” (APA)
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