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Boston-Anschlag: USA ermitteln in zwei Richtungen

Über 140 Personen wurden nach den beiden Explosionen verletzt.
Über 140 Personen wurden nach den beiden Explosionen verletzt. ©EPA
Nach dem Bombenanschlag auf den Boston-Marathon ermitteln die US-Behörden vor allem in zwei Richtungen. Als Täter kämen vorrangig regierungsfeindliche Gruppen aus dem Inland oder radikalen Islamisten infrage, hieß es in der Nacht auf Dienstag aus Ermittlerkreisen.
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Die beim Boston-Marathon explodierten Bomben steckten nach CNN-Informationen in Dampfkochtöpfen. Die Behälter wiederum seien in schwarzen Rucksäcken verstaut gewesen, berichtete der Sender am Dienstag unter Berufung auf Ermittlerkreise.

Spezialisten vor Ort

Bereits in der Früh hatte es Berichte gegeben, dass nach einem dunkelhäutigen Mann gesucht werde, der mit zwei Rucksäcken gesehen worden sei. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür aber zunächst nicht. Polizeivertreter hatten auf einer Pressekonferenz in Boston am späten Vormittag (Ortszeit) jegliche Angaben zum Stand der Ermittlungen abgelehnt.

Ärzte bestätigten, dass die Bomben mit Metallsplittern versehen waren. Vielen Verwundeten seien “kleine metallische Fragmente” wie Nägel und Kugeln herausoperiert worden, sagte Chefchirurg George Velmahos vom Massachusetts General Hospital. Mehreren Patienten hätten die Beine amputiert werden müssen.

Die Behörden machten bisher keine Angaben zu der Art der Sprengsätze. Am Anschlagsort seien etwa 30 Spezialisten der US-Waffenkontrollbehörde ATF im Einsatz, sagte der verantwortliche ATF-Beamte Gene Marquez.

Obama: “Terrorakt”

US-Präsident Barack Obama hat den Anschlag auf den Marathon in Boston als Terrorakt eingestuft. Es sei aber unklar, wer hinter dem Anschlag stehe, sagte Obama am Dienstagvormittag (Ortszeit) in einer kurzen Presseerklärung im Weißen Haus in Washington.

Obama rief seine Landsleute auf, vorsichtig zu sein und nach “verdächtigen Aktivitäten” Ausschau zu halten. “Wir haben bisher keinen Hinweis auf das Motiv”, sagte er. Auch sei unklar, ob es sich bei den Urhebern des Anschlags um ausländische oder einheimische Terrorgruppen oder “eine böswillige Einzelperson” handle, sagte er in Anspielung auf frühere Anschläge in den USA.

Bei zwei fast zeitgleichen Explosionen in der Nähe der Ziellinie waren am Montag drei Menschen getötet worden, darunter Medienberichten zufolge auch ein achtjähriger Bub. Mehr als 100 Personen wurden verletzt. Präsident Obama erklärte, man werde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Es war der schwerste Bombenanschlag in den USA seit den Al-Kaida-Angriffen vom 11. September 2001.

In Boston ging die Nationalgarde des Bundesstaates Massachusetts in Stellung, während schwer bewaffnete Polizisten die Krankenhäuser sicherten. In einem Umkreis von 15 Blocks rund um den Zieleinlauf errichtete die Polizei eine Sperrzone, die mindestens 24 Stunden lang aufrechterhalten werden soll. Auch der Luftraum über der 625.000 Einwohner-Stadt wurde zwischenzeitlich gesperrt.

Noch keine Festnahmen

Die Bundespolizei FBI übernahm die Federführung bei den Ermittlungen, an denen sich neben den örtlichen Behörden auch der Geheimdienst CIA beteiligte. Übereinstimmend hieß es, dass vor dem Angriff keine Warnung eingegangen sei. Es gab zunächst keine Festnahmen. Der für Boston zuständige leitende FBI-Beamte Richard DesLauriers erklärte, ein terroristischer Zusammenhang werde nicht ausgeschlossen. Nähere Auskünfte zu ersten Erkenntnissen der Fahnder oder zur Richtung der Ermittlungen lehnte er ab.

Ein hochrangiger Polizist, der namentlich nicht genannt werden wollte, sprach von zwei Sprengsätzen aus Schießpulver, die unter anderem mit Metallkugeln versehen gewesen seien. Aus Kreisen des Präsidialamts verlautete, der Fall werde wie ein Terrorakt behandelt, ohne dass bisher klar sei, ob es sich um einen Angriff aus dem In- oder Ausland handle. “Wir wissen noch nicht, wer dies getan hat und aus welchem Grund”, erklärte Obama. Man dürfe auch keine voreiligen Schlüsse ziehen. “Wir werden herausfinden, wer es war. Wir werden herausfinden, warum dies geschah.”

Einheimische Extremisten vermutet

In Ermittlerkreisen hieß es, der Zeitpunkt des Angriffs spreche für einheimische Extremisten, die einen mächtigen Staat ablehnen. Am Montag wurde in Massachusetts der Patriots’ Day begangen, der an den Unabhängigkeitskrieg erinnert. Am 15. April läuft in den USA zudem die Frist für die Abgabe der Steuererklärung ab. Steuern sind ein Reizthema für einige amerikanische Extremistengruppen. Am Freitag gibt es zudem zwei Jahrestage mit symbolischer Bedeutung: Das gewaltsame Ende der Waco-Belagerung 1993 und der Anschlag in Oklahoma City 1995.

Es ist nicht das erste Mal, dass in den USA ein sportliches Großereignis Ziel eines Anschlags wurde. Im Juli 1996 hatte der radikale Abtreibungsgegner Eric Rudolph einen Bombenanschlag auf die Olympischen Spiele in Atlanta verübt. Dabei starb eine Frau.

Aus den Ermittlungskreisen erfuhr Reuters weiter, dass als zweite Möglichkeit ein islamistischer Hintergrund diskutiert werde. Hierfür spreche die Vorgehensweise: Die Zündung von zwei Sprengsätzen in kurzem zeitlichen Abstand voneinander bei einem Großereignis sei die Art von Angriff, die vom Islamistenmagazin “Inspire” propagiert werde. Die Zeitschrift wird im Internet von der Gruppe Al-Kaida im Jemen verbreitet und enthält englisch-sprachige Aufrufe an Muslime im Westen, Angriffe notfalls auch mit bescheidenen Mitteln auszuführen. In einer der jüngsten Ausgaben war eine detaillierte Anleitung zum Eigenbau und Einsatz von Sprengsätzen enthalten.

Saudischer Staatsbürger vernommen

FBI-Beamte haben nach US-Medienberichten einen jungen saudischen Staatsbürger vernommen. Außerdem sei eine Wohnung in einem Mietkomplex in der Kleinstadt Revere nahe Boston durchsucht worden. Es gebe aber bisher keine Festnahmen, und es habe sich auch niemand zu der Tat bekannt, hieß es am Dienstagvormittag unter Berufung auf die Ermittlungsbehörden weiter. Der vernommene Mann aus Saudi-Arabien soll mit einem Studentenvisum in die USA gekommen sein. Er liege mit einer Beinverletzung im Krankenhaus. Dem Sender CBS zufolge wird er von der Polizei bewacht. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es aber zunächst nicht. Der Sender CNN zeigte Bilder von dem Mietkomplex und von Polizisten, die anscheinend Kartons mit Gegenständen aus einer Wohnung in dem Hochhaus trugen. CBS zufolge könnte es sich um die Wohnung des jungen Studenten handeln. Nach CNN-Angaben erfolgte die Durchsuchung mit Zustimmung des Bewohners.

Österreicher nicht betroffen

Beim ältesten Marathon-Lauf der Welt waren nach Angaben der Organisatoren 23.326 Läufer am Start. Davon seien 17.584 vor den Explosionen im Ziel angekommen. Eine halbe Million Zuschauer säumten die Straßen. Zum Zeitpunkt der Explosionen, 4:09 Stunden nach dem Start, hatten die Spitzenläufer die Ziellinie bereits überquert, die Hobby-Läufer kamen gerade an. Die erste Detonation zertrümmerte das Schaufenster eines Sportgeschäfts und sprühte Glassplitter über die Zuschauer.

Auf der Startliste befanden sich auch 37 Läufer aus Österreich. 25 von ihnen hatten die Ziellinie bereits überquert als die Bomben detonierten, der letzte von ihnen nach 4:05 Stunden. Laut Außenministerium gibt es bisher keine Hinweise auf verletzte oder getötete Österreicher. Zwar habe es anfangs Anrufe besorgter Angehöriger gegeben, sagte Ministeriumssprecher Martin Weiss gegenüber der APA, die betroffenen Personen hätten sich aber mittlerweile gemeldet.

Josef Egger, der ein Team von 10 Läufern aus Vösendorf betreute und sich zum Zeitpunkt der Explosion 500 Meter vom Zieleinlauf entfernt befand, beschreibt die Minuten nach der Explosion als “bange Momente”: “Es hat einen ziemlichen Knall gegeben. Beim ersten habe ich mir noch nicht viel gedacht. Beim zweiten hat jeder entlang der Strecke Richtung Ziellinie geschaut. Man hat auch einen Feuerball gesehen und es hat nach Verbranntem gerochen. Da hat man gemerkt, dass etwas Gröberes passiert ist”, so Egger gegenüber dem Radiosender Ö3. Erst als nach einer Stunde alle Teilnehmer das rund einen Kilometer vom Ziel entfernte Hotel erreicht hätten, sei er sicher gewesen, dass niemand verletzt wurde.

Große Hilfsbereitschaft in Boston

Ärzte in nahe gelegenen Krankenhäusern berichteten von Amputationen und Kindern mit Kopfverletzungen. Auf Twitter boten Bürger und Geschäftsinhaber in Boston unter dem Hashtag #bostonhelp ihre Hilfe an – kostenloses Essen, Unterkünfte für gestrandete Läufer von außerhalb “oder wenn man einfach nicht allein sein will”. Menschen die ihre Angehörigen suchen, konnten dies auch über die Google-Personensuchseite oder die “Safe and Well”-Seite des amerikanischen Roten Kreuzes tun.

Während in größeren US-Städten die Sicherheitsvorkehrungen an strategisch wichtigen Orten verstärkt wurden und auch Frankreich zusätzliche Vorkehrungen traf, sind die Anschläge in Österreich “kein Anlass für erweiterte polizeiliche Maßnahmen”, wie Sprecher Karl-Heinz Grundböck auf Anfrage der APA mitteilte. Sportminister Gerald Klug (S) drückte den Betroffenen sein Mitgefühl aus. “Ich bin zutiefst betroffen, dass ein Marathon, der das Symbol für Zusammenhalt, Miteinander und friedlichen Wettstreit ist, von einem solch feigen Attentat erschüttert wurde”, so Klug.

Der Anschlag belastete auch die Finanzmärkte. Die US-Börsen weiteten am Montagabend ihre Verluste aus und schlossen deutlich im Minus. Auch die Märkte in Fernost verbuchten Verluste. In Europa eröffneten die großen Börsen im Minus.

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Obama spricht zur Nation

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