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Ära Berlusconi zu Ende: Premier unter Schmährufen zurückgetreten

Medienzar reichte bei Präsident Napolitano Demissionsgesuch ein
Medienzar reichte bei Präsident Napolitano Demissionsgesuch ein ©dapd
In Italien ist eine politische Ära zu Ende gegangen. Premier Silvio Berlusconi, der seit fast zwei Jahrzehnten Italiens politische Szene beherrscht, ist am Samstag zurückgetreten.
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Parlament verabschiedet Sparpaket

Nachdem die Abgeordnetenkammer ein neues Sparpaket mit Wirtschaftsreformen und Liberalisierungsmaßnahmen verabschiedet hat, das das Land aus der Schuldenkrise führen soll, reichte der 75-jährige Regierungschef bei Staatspräsident Giorgio Napolitano seinen Rücktritt ein.

Champagner, Chöre und Schmährufe

Der Mailänder Medienzar musste einen unrühmlichen Abschied von seinem Premieramt hinnehmen. Eine riesige Menschenmenge, die sich vor dem Präsidentenpalast in Rom versammelt hatte, feierte mit Champagner, Fahnen, Chören wie im Stadion und Schmährufen das Ende der Regierung Berlusconi. Ein kleines Orchester aus Berlusconi-Gegnern veranstaltete ein “Befreiungskonzert”, um das Ende des Mitte-Rechts-Kabinetts zu feiern. Ein Chor ließ Händels “Hallelujah” aus dem Oratorium “Der Messias” ertönen.Die Polizei konnte nur mit Mühe die Masse von Menschen vom Auto des Premiers fernhalten, das zum Quirinalspalast, dem Amtssitz des Staatspräsidenten, fuhr. Einige Demonstranten warfen Münzen in Richtung des Autos mit dem Premier. Unter wildem Geschrei betrat Berlusconi den Präsidentenpalast, um seinen Rücktritt einzureichen. Nach seinem Gespräch mit Napolitano, der das Demissionsgesuch annahm, verließ Berlusconi den Quirinalspalast von einem Seitenausgang. Der Verkehr rund um das Gebäude kam zu Erliegen. “Ich bin zutiefst verbittert”, gab Berlusconi vor seinen engsten Mitarbeitern zu.

Auch vor Berlusconis römischer Privatresidenz Palazzo Grazioli, in der der TV-Tycoon vor seinem Rücktritt noch ein Gipfeltreffen seiner Partei leitete, versammelte sich eine Gruppe von Demonstranten. Mit Pfiffen wurde Berlusconi empfangen, als sein Auto in den Hof des Palastes fuhr. “Mafioso, Mafioso!”, schimpften seine Gegner. Autokarusselle und Hupkonzerte begrüßten das Ende des seit Mai 2008 amtierende Mitte-Rechts-Kabinetts. Eine kleine Gruppe von Anhängern rief Berlusconi zu, nicht nachzugeben. Berlusconi blickte seinen Anhängern dankbar entgegen. Auch auf dem Domplatz der Berlusconi-Heimatstadt Mailand versammelten sich mehrere Hundert Menschen, die mit Champagner den Sturz des Regierungschef feierten.

Opposition feiert “nationale Befreiung”

Italiens oppositionelle Mitte-Links-Allianz feiert den Rücktritt von Berlusconi. “Heute feiern wir den Tag der nationalen Befreiung, morgen beginnt der Wiederaufbau Italiens”, kommentierte der Oppositionspolitiker Antonio Di Pietro. “Eine schmerzhafte Phase für Italien ist zu Ende gegangen. Italien ist ein Land, das das Blatt wenden und aufs Neue anfangen will. Für uns alle beginnt eine neue Ära. Wir müssen alles neu aufbauen: die Wirtschaft, die Justiz und das Wahlsystem”, sagte der Fraktionschef der oppositionellen Demokratischen Partei (PD) in der Abgeordnetenkammer, Dario Franceschini.

In Rom wurde mit Hupkonzerten und Autokarussellen das Ende der Regierung Berlusconi gefeiert. Nachdem der zurückgetretene Premier den Präsidentenpalast verlassen hatte, versammelte sich eine große Menschenmenge vor dem Palazzo Grazioli, der Privatresidenz des Medienzaren. “Mafioso, Mafioso!”, beschimpfte die Menschenmenge den zurückgetretenen Regierungschef. Auch auf dem Mailänder Domplatz versammelten sich mehrere Hundert Menschen, die mit Champagner den Sturz der Regierung Berlusconi feierten.

Abgeordnetenhaus verabschiedete neues Sparpaket

Zuvor hatte die Deputiertenkammer ein Sparpaket mit Wirtschaftsmaßnahmen verabschiedet, zu dem sich Italien gegenüber der EU verpflichtet hatte. Das Paket war bereits am Freitag vom Senat abgesegnet worden. Berlusconi hatte angekündigt, nach der Verabschiedung des Sparhaushaltes zurückzutreten. Im Abgeordnetenhaus feierte die Demokratische Partei (PD), Italiens stärkste Oppositionspartei, das Ende der Ära Berlusconi. “Eine schmerzhafte Phase für Italien ist zu Ende gegangen. Italien ist ein Land, das das Blatt wenden und aufs Neue anfangen will. Für uns alle beginnt eine neue Ära. Wir müssen alles neu aufbauen: die Wirtschaft, die Justiz und das Wahlsystem”, sagte der PD-Fraktionschef in der Abgeordnetenkammer, Dario Franceschini. Die oppositionelle Mitte-Links-Allianz würde vorgezogene Parlamentswahlen gewinnen, doch jetzt brauche Italien eine Übergangsregierung, die die von der EU geforderten Sparmaßnahmen umsetzt, so Franceschini.

“Diese Regierung stürzt wegen wenigen Parlamentariern, die Berlusconi verraten haben”, protestierte der Berlusconi-Abgeordnete Antonio Lannarilli in einer Erklärung vor dem Votum über das Sparpaket. Die Parlamentarier der rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord, die eine Übergangsregierung in Rom nicht unterstützen wollen, skandierten laut “Wahlen, Wahlen!” “Es ist absurd, dass die EU und die Welt uns sagt, was wir tun sollen. Gestern ist sogar EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy nach Italien gereist, um zu sagen, dass die Italiener keine Neuwahlen brauchen. Ich glaube, das ist beispiellos”, sagte Innenminister Roberto Maroni, “Nummer Zwei” der Lega Nord.

Napolitano übernimmt Ruder

Nach Berlusconis Rücktritt übernimmt jetzt Präsident Napolitano das Steuer der politischen Krise in Italien. Der Staatschef startet am Sonntag mit einer Konsultationsrunde unter den Parteien, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Napolitano, Schwergewicht der italienischen Linken und erster ehemaliger KPI-Politiker an der Spitze des italienischen Staates, kann auf Erfahrung und auf politisches Geschick zurückgreifen, um die schwierige Aufgabe zu bewältigen.
Der 86-Jährige wird am Sonntag die Parlamentspräsidenten Gianfranco Fini (Abgeordnetenkammer) und Renato Schifani (Senat) und dann die verschiedenen Parteichefs treffen. Napolitano unterstützt die Kandidatur des ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti für das Amt des Premiers einer Übergangsregierung, die Italien bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 führen soll. 

Berlusconi hatte am Samstag Monti seine Unterstützung bei der Bildung einer Übergangsregierung in Rom zugesprochen. Bei einem zweistündigen Gespräch im Regierungssitz stellte Monti Berlusconi eine mögliche Ministerliste für seine eventuelle Regierung vor, die ausschließlich aus parteilosen Experten bestehen sollte. Berlusconi habe sich bereit gezeigt, das neue Kabinett zu unterstützen, er stellte jedoch die Bedingung, dass sein Staatssekretär Gianni Letta das Amt des Vizepremiers übernehme, verlautete aus Regierungskreisen in Rom. Dagegen stemmt sich jedoch die oppositionelle PD. Berlusconis Gruppierung zeigte sich bereit, Monti zu unterstützen, aber nur unter Einhaltung eines Regierungsprogramms aus Maßnahmen, die die EU von Italien verlangt.

Video: Berlusconi zurückgetreten

(APA)

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