Bis kurz vor 13.00 Uhr schien die Griechenland-Krise so gut wie gelöst. Die Athener Regierung frohlockte forsch, ihr Antrag auf eine sechsmonatige Verlängerung von Finanzhilfen sei schon zu “95 Prozent” in der Eurogruppe akzeptiert. Auch der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, verbreitete in Brüssel Optimismus. Der niederländische Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem lud zum Sondertreffen der 19 Finanzminister der Währungsunion an diesem Freitag ein.
Allerdings: Weder die Kommission noch Athen haben im Schuldendrama das letzte Wort, sondern die Euro-Länder – an vorderster Front der Hauptgeldgeber – und das ist das größte Euroland Deutschland. Der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis hatte die Rechnung aber ganz offensichtlich ohne seinen deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble (CDU) gemacht.
Varoufakis-Papier “kein substanzieller Lösungsvorschlag”
Um 13.06 Uhr sickerte aus Berliner Regierungskreisen seine Absage durch – “kein substanzieller Lösungsvorschlag” sei das Varoufakis-Papier, sagte kurz danach auch Schäubles Sprecher. Zwar tauchen in dem Schreiben Zusagen und Versprechen auf – aus Schäubles Sicht reicht das aber in der vorliegenden Fassung des Antrags nicht aus. Varoufakis muss also nacharbeiten.
“Brückenfinanzierung ohne Erfüllung der Anforderungen”
In Wahrheit ziele der Vorschlag Athens auf eine Brückenfinanzierung ab, ohne die Anforderungen des vereinbarten Programms zu erfüllen: “Das Schreiben entspricht nicht den am Montag in der Eurogruppe vereinbarten Kriterien”, ließ Schäuble erklären. Dazu gehört vor allem, das aktuelle, von Athen verhasste Hilfsprogramm der Europäer zu überprüfen und zu beenden.
Schäuble-Absage sorgt international für Schlagzeilen
Schäubles “Nein” sorgt international für Schlagzeilen – aber gegen 14.30 Uhr auch für Ärger, etwa beim Koalitionspartner SPD. In Potsdam schaut sich der Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gerade das Hasso-Plattner-Institut an, wo an digitalen Industrielösungen geforscht wird.
SPD-Minister Gabriel kritisiert Schäuble-Nein
Gabriel ist sauer, dass Schäuble – der erfahrenste Mann am Kabinettstisch – im Alleingang erst einmal den Griechen-Antrag vom Tisch gewischt hat. Gabriel hält das für einen Fehler: “Ich bin dafür, dass wir jetzt nicht zu schnell Ja oder Nein sagen. Ich würde zu Gesprächen raten.” Es sei ein erster großer Schritt, dass Athen nun doch akzeptiere, dass es ein Programm geben müsse. In der Sache will aber auch Gabriel hart bleiben: “Was immer die griechische Regierung verändern will, muss sie selbst finanzieren.”
“Pampige Ablehnung blockiert Lösung”
Auch bei deutschen EU-Politikern heimste sich Schäuble mit seiner Ablehnung des Griechen-Antrags Kritik ein. “Schäubles pampige Ablehnung von Griechenlands Antrag blockiert eine gemeinsame Lösung”, meinte etwa der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold. Der Brief Griechenlands sei eine gute Basis für die Verhandlungen, teilte Giegold am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Der Vorsitzende der SPD im EU-Parlament, Udo Bullmann, rief die Eurogruppe dazu auf, die Chance auf eine Einigung im Schuldenstreit zu nutzen. “Schäuble sollte Lösungen nicht länger blockieren”, twitterte Bullmann.
Sorge um Eskalation im Schuldendrama an den Märkten
An den Märkten kommt das Kräftemessen zwischen Athen und dem Rest der Eurogruppe nicht so gut an. Der deutsche Leitindex Dax knickte kurz ein. Die Sorge vor einer Eskalation ist groß, obwohl Investoren sich zunehmend auf einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone (“Grexit”) eingestellt haben. Will es die Bundesregierung tatsächlich soweit kommen lassen?
Kritik, Unverständnis und Solidarität auf Twitter
Und auch in den Sozialen Netzwerken werden kritische Stimmen laut:
Wenn Griechenland schließlich die Bedingungen der Eurogruppe akzeptieren will, warum lehnt die #EU dann plötzlich ab? #Syriza
— Fabi Kol (@FabiKol) 19. Februar 2015
Das Problem der Syriza ist, dass sie viel zu ehrlich sind. Die Troika und Deutschland wollen in Wirklichkeit betakelt werden.
— Magica (@DeSpell_) 19. Februar 2015
Erste Rufe werden laut nach einem Boykott von Produkten aus Deutschland. https://t.co/3UVnJki9pu #Greece #Syriza #Euro #EU #EZB #Schäuble
— Machinist Gitju (@machinist_gitju) 19. Februar 2015
@vertigonix Ich bleibe bei meinem (verhaltenen) Optimismus. Syriza ist immer noch auf einem guten Weg. Abwarten…
— klara (@oklara) 19. Februar 2015
Langsam könnte man auf die Idee kommen, die Schäuble will die Syriza-Regierung offensiv demütigen & zur offenen Kapitulation zwingen.
— Armin Wolf (@ArminWolf) 19. Februar 2015
Ich sag mal so: Ideen, die Politiker wie den Schäuble zur Weißglut bringen, können allein deshalb schon nicht so schlecht sein. #SYRIZA
— Lukas Riepler (@lukasriepler) 18. Februar 2015
Schäuble & Co. fürchten vor allem eines: die griechische Ansteckung des Südens. Syriza darf nicht erfolgreich sein. Um keinen Preis.
— Peter Pilz (@Peter_Pilz) 17. Februar 2015
Warum Berlin so gereizt reagiert
Die Schäuble-Absage muss noch nicht das Ende im Griechenland-Poker sein. Berlin ist gereizt, weil die neue Links-Rechts-Regierung unter Premier Alexis Tsipras nun schon mehrfach mit angeblich belastbaren Lösungsvorschlägen vorpreschte. Auch versuchten Tsipras, Varoufakis & Co. zuletzt, einen Keil zwischen Kommission und Eurogruppe zu treiben.
Immer wieder kursierten unterschiedliche, zum Teil nicht abgestimmte Papiere aus den Verhandlungen. Außerdem will der konservative Kommissionspräsident – und frühere Eurogruppenchef – Juncker in der Euro-Krise gern prominent mitmischen, obwohl die Euro-Geldgeber mit Kanzlerin Angela Merkel und Schäuble die Richtung vorgeben.
Showdown in Brüssel am Freitag
Nun dürfte es am Freitag in Brüssel doch zum befürchteten Showdown um die Zukunft Griechenlands kommen. Bisher stehen die anderen 18 Euro-Partner geschlossen zusammen. Die kleineren Länder aus Osteuropa dürften kaum bereit sein, von den eingeforderten Zusagen abzurücken, um letztlich Wahlgeschenke der griechischen Regierung zu finanzieren. Auch Spanien und Portugal, die selbst harte Reformen im Gegenzug für Milliardenhilfen durchziehen mussten, dürften sich wenig großzügig zeigen.
“Am 28., 24.00 Uhr, isch over”
Fraglich ist, ob Frankreich und Italien bis zum Schluss an der Seite der harten Kritiker Athens bleiben. Es könnte eine lange Krisennacht in Brüssel werden. Die Zeit läuft ab. Bis 28. Februar muss eine Lösung stehen, sonst droht Athen die Staatspleite. Wie schon Schäuble sagte: “Am 28., 24.00 Uhr, isch over.”
Wie es im Schuldenstreit weitergehen könnte
Zum dritten Mal innerhalb weniger Tage treffen sich an diesem Freitag die Finanzminister der Eurogruppe in Brüssel, um über einen Ausweg aus dem Schuldenstreit mit Griechenland zu beraten. Ist das die letzte Chance? Vier Möglichkeiten, was am Ende herauskommen könnte, im Überblick:
1. Deutschland und die anderen Europartner zwingen Griechenland zu weiteren Zugeständnissen. Das Hilfsprogramm wird inklusive der Spar- und Reformauflagen fortgeführt. Die Regierung des neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras muss ihr Wahlversprechen brechen, sich nicht mehr dem Diktat der Geldgeber zu unterwerfen.
2. Griechenlands Europartner akzeptieren einen Kompromiss. Das Hilfsprogramm wird fortgesetzt, bei den Spar- und Reformauflagen bekommt die Regierung in Athen allerdings mehr Freiraum. Das könnte allerdings für Misstöne in anderen Euroländern, wie zum Beispiel Portugal, sorgen, die für Finanzhilfen ebenfalls einen harten Sparkurs einschlagen mussten.
3. Bei den Verhandlungen gibt es Fortschritte, aber keinen Durchbruch. Die Eurogruppe verständigt sich darauf, dass Experten weiter an einer Einigung arbeiten. Dann gibt es ein weiteres Eurogruppentreffen oder eine Telefonkonferenz.
4. Es kommt erneut zu großem Streit und die Verhandlungen werden endgültig für gescheitert erklärt. Griechenland, aber auch die Europartner gehen den Weg in eine äußert ungewissen Zukunft. Ein Staatsbankrott innerhalb weniger Wochen, vielleicht sogar ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone (“Grexit”) – alles wäre dann möglich.
(dpa/red)
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