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Auswege aus dem Desaster: Ist die Ukraine noch zu retten?

"Waffenruhe" endete im Blutbad: Mindestens 60 Tote nach neuerlichen Straßenschlachten in Kiew.
"Waffenruhe" endete im Blutbad: Mindestens 60 Tote nach neuerlichen Straßenschlachten in Kiew. ©AP
"Noch ist die Ukraine nicht gestorben" heißt es in der Nationalhymne des Landes. Die Eskalation der Gewalt im Kiewer Stadtzentrum lässt das Schlimmste befürchten. Hat das Land noch eine Zukunft?

Mutmaßliche Scharfschützen zielen auf Demonstranten, Regierungsgegner und Sicherheitskräfte gehen brutal gegeneinander vor – der Machtkampf in der Ukraine eskaliert. Die EU, die USA und Russland mischen in dem Konflikt kräftig mit.

Ist die Ukraine noch zu retten?

Zumindest die auf dem Maidan immer wieder gesungene Nationalhymne verbreitet noch Hoffnung. “Noch ist die Ukraine nicht gestorben”, heißt es in der klassischen Vorlage. Die Bilder von Toten, Verletzten, Scharfschützen und brennenden Barrikaden lassen einen Bürgerkrieg befürchten. So schlimm war es noch nie. In der Vergangenheit hat die in sich gespaltene Ukraine allerdings immer wieder auch Kompromisse gefunden. Immerhin waren vor einigen Jahren auch schon prowestliche Kräfte an der Regierung. Im Moment allerdings will keine Seite ernsthafte Zugeständnisse machen.

Gibt es Gewinner in dem Konflikt?

Bislang nicht. Sowohl die Demonstranten als auch die Sicherheitskräfte beklagen viele Tote und womöglich Hunderte Verletzte in ihren Reihen. Die Opposition will nicht weichen, ehe Viktor Janukowitsch zurückgetreten ist. Doch der Präsident ist mit den Stimmen der Bevölkerungsmehrheit im Osten des Landes gewählt, die Abstimmung Anfang 2010 galt als frei und fair. Auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) leisten weiterhin tausende Menschen quer durch die Gesellschaft Widerstand. Noch vor Wochen war ihre Zahl um ein Vielfaches höher. Der an Russland orientierte Janukowitsch steht vor den Trümmern seiner Präsidentschaft. Kritiker werfen ihm vor, nach der Pfeife ostukrainischer Großindustrieller zu tanzen.

Sind die Regierungsgegner noch eine Einheit?

Sind sie das jemals gewesen? In der Ukraine ist die Opposition traditionell gespalten in Cliquen um einflussreiche Politiker- und Oligarchengruppierungen sowie national orientierte Strömungen. Zuletzt mischte der frühere Box-Weltmeister Vitali Klitschko mit seiner Organisation Udar (Schlag) die Szene auf. Kritiker werfen ihm allerdings vor, ohne Konzept zu agieren. Bis heute hat es die Oppositionsführung nicht geschafft, andere Parteien auf ihre Seite zu ziehen. Viele Demonstranten haben sich längst abgewendet. Sie halten nicht nur Janukowitsch, sondern die gesamte Politik für korrupt.

Was können Verhandlungen noch bringen?

Die Gespräche drehen sich im Kreis. Wie wenig Verlass auf Abmachungen zwischen Präsident Janukowitsch und der Opposition ist, zeigt die blutige Entwicklung – wenige Stunden vor der Eskalation war noch ein Gewaltverzicht vereinbart worden. Alle beharren auf ihren Positionen. Dass der in der Opposition mehr als unbeliebte Kremlchef Wladimir Putin nun einen eigenen Vermittler schickt, dürfte die Gemüter kaum besänftigen. Hoffnung macht derzeit allein, dass auch einst regierungstreue Abgeordnete offen für eine Einbindung der Opposition plädieren. Wenn die Vereinten Nationen vermitteln sollen, müsste Janukowitsch die Einladung aussprechen.

Wieso ist die Ukraine so wichtig?

Das riesige Land – fast doppelt so groß wie Deutschland – beginnt eine Flugstunde östlich von Berlin. Nur mit der einstigen Sowjetrepublik an seiner Seite kann Putin seinen Traum von einer eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft verwirklichen. Die nahezu bankrotte Ukraine lebt von frischem Geld und verbilligtem Gas aus Moskau. Viele neue EU-Mitgliedsländer aus Osteuropa befürchten: Fällt die Ukraine wieder an den Kreml, erlebt die Sowjetunion ihre Wiedergeburt. Die US-Regierung sieht das ähnlich und zeigt deshalb wenig Verständnis für das Taktieren der EU.

Droht der Ukraine die Spaltung?

Viele Westukrainer fühlen sich ihren Nachbarn in der EU näher als den russisch sprechenden Landsleuten im Osten. Das große Geld sitzt allerdings weiter in den Industriemetropolen an der Grenze zu Russland. In den zwei Jahrzehnten seit dem Zerfall der Sowjetunion hat das Land nur im Spagat zwischen West und Ost überleben können. Selbst Janukowitsch hat es bislang vermieden, sich gänzlich in die Obhut des großen Bruders Russland zu begeben. Allein die Halbinsel Krim hat gedroht, sich wieder Russland anzuschließen. Sowas ist aus dem Ferienparadies am Schwarzen Meer allerdings häufiger zu hören.

(dpa)

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