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Armenier-Massaker - Kriegsbedingte Exzesse oder Genozid?

Armenische Flüchtlinge hinter einer Pyramide armenischer Schädel.
Armenische Flüchtlinge hinter einer Pyramide armenischer Schädel. ©Armenian National Archive
Die Massenmorde an den Armeniern im Osmanischen Reich sorgen weiter für Streit zwischen der Türkei und anderen Staaten - zuletzt mit Frankreich, das die Leugnung des "Völkermordes" unter Strafe stellen will. Armenien wirft der Türkei vor, die Tatsache zu leugnen, dass in den Kriegsjahren 1915 bis 1917 an der armenischen Volksgruppe im Osmanischen Reich Völkermord begangen wurde. Die Türkei räumt zwar ein, dass mehrere hunderttausend Menschen "kriegsbedingt" starben, weist den Vorwurf des Genozids aber zurück.

Mehr als 90 Jahre liegt die Tragödie der Armenier zurück, die der österreichische Schriftsteller Franz Werfel in dem Roman “Die 40 Tage des Musa Dagh” beschrieb. Dennoch gibt es bis heute zwischen den Türkei und zahlreichen anderen Staaten keinen Konsens darüber, was damals wirklich geschah. Als sich das französische Parlament 2001 auf eine offizielle Version der Ereignisse festgelegt hatte, die sich von 1915 bis 1917 in Kleinasien abspielten, war der Streit international neu entbrannt.

Nach der französischen Entscheidung, das türkische Vorgehen gegen die Armenier als Völkermord anzuerkennen, reagierte die Türkei empört und kündigte an, die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Frankreich zu überprüfen. Ebenso heftig ist die Empörung Ankaras vor dem am Donnerstag geplanten Votum in der Nationalversammlung in Paris über einen Gesetzesentwurf, der für die Leugnung “Genozids” Strafen von bis zu einem Jahr Haft und bis zu 45.000 Euro Geldstrafe vorsieht.

Vorsätzliche Vernichtung?

Unumstritten ist auch in der Türkei, dass hunderttausende Armenier auf grausame Art ums Leben kamen, als sie während des Ersten Weltkrieges vom Osmanischen Reich aus ihren Siedlungsgebieten in Ost-und Südanatolien nach Syrien deportiert wurden. Während die offizielle türkische Geschichtsschreibung die Opferzahl auf 300.000 beziffert, sprechen armenische Historiker allerdings von 1,2 bis 1,5 Millionen Toten.

Kernpunkt des Streites ist aber, ob die Osmanen es gezielt auf die Vernichtung des armenischen Volkes abgesehen hatten – wie es auch das französische Gesetz annimmt – oder ob es sich um ungewollte Exzesse bei der Umsiedlung handelte, wie die Türken es sehen. Gegen den Vorwurf der ethnischen Säuberung wird von türkischer Seite stets geltend gemacht, dass die armenischen Partisanen mit den vorrückenden russischen Truppen im Osten des Reiches gemeinsame Sache machten und das Osmanische Reich deswegen defensiv gehandelt habe.

Verhältnis zu Armeniern bis heute schwierig

Die Türkische Republik hat selbst lange Zeit keine größeren Anstrengungen zur Aufarbeitung der Tragödie unternommen, weil sie die Verantwortung dafür dem Osmanischen Reich zuschreibt und jede Kontinuität ablehnte. Die vehementen Reaktionen auf die französische Verurteilung der Osmanen standen dazu allerdings in krassem Widerspruch. De facto ist das Verhältnis der Türken zu den Armeniern bis heute belastet.

Eine als Sensation gewertete internationale Armenier-Konferenz im Herbst 2005 in Istanbul konnte erst stattfinden, als ein gerichtlich erzwungenes Verbot auf Intervention der AKP-Regierung rückgängig gemacht wurde.

Noch immer wird in der Türkei regelmäßig feierlich der 34 Todesopfer der armenischen Untergrundorganisation ASALA gedacht, die in den 70er und 80er Jahren weltweit Angst und Schrecken unter türkischen Diplomaten gesät hatte. Auch der türkische Botschafter in Wien war damals von einem Mitglied der Terrororganisation erschossen worden.

Keine diplomatischen Beziehungen zu Armenien

Zu dem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstandenen armenischen Staat an ihrer Ostgrenze unterhält die Türkei bis heute keine offiziellen diplomatischen Beziehungen. Erst im Oktober 2009 wurden in Zürich von den Außenministern beider Länder lediglich Protokolle zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und Öffnung der Grenzen unterzeichnet, aber bisher nicht umgesetzt.

In der Türkei selbst leben heute noch rund 80.000 Armenier, die meisten davon um Istanbul, wo das armenische Patriarchat seinen Sitz hat. Die traditionellen armenischen Siedlungsgebiete in Ostanatolien sind dagegen heute weitgehend von Kurden bevölkert.

(APA)

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