AA

Angeblich amtsmüder US-Finanzminister soll Weltfinanzmärkte retten

"Wir dürfen keinen einzigen Tag verlieren, weil sich die wirtschaftliche Situation täglich weiter verfinstert", sagt US-Präsident Barack Obama. Treffender lässt sich die derzeitige Verfassung der Weltfinanzmärkte wohl kaum auf den Punkt bringen. Problematisch ist nur, dass Obama bereits vor gut zweieinhalb Jahren zu dieser Erkenntnis gelangte und sie seinem Finanzminister Timothy Geithner bei dessen Amtseinführung im Jänner 2009 mit auf den Weg gab. Damals galt Geithner als finanzpolitisches Wunderkind, doch es dauerte nicht lange, bis erste Turbulenzen auftraten. Nun ist es wieder so weit: Der Minister schwankt und mit ihm die weltgrößte Volkswirtschaft.

Während in den USA ein erbitterter Streit zwischen Republikanern und Demokraten über die Staatsschulden tobt und fast täglich neue Hiobsbotschaften aus dem Finanzsektor eintreffen, tut Geithner wochenlang vor allem eines: Er lässt in US-Medien verbreitete Gerüchte über einen Rückzug wegen Amtsmüdigkeit unwidersprochen. Erst als die Ratingagentur Standard & Poor’s die USA am Freitag in einem historischen Schritt als eingeschränkt kreditwürdig brandmarkt und tags darauf aus den Reihen der Republikaner Geithners Rücktritt gefordert wird, reagiert sein Ministerium: Der Minister werde im Amt bleiben, teilt es am Sonntag mit. Obama habe ihn übrigens darum gebeten, ergänzt das Weiße Haus.

Erst jetzt geht Geithner in die Offensive. Die Herabstufung durch Standard & Poor’s sei eine “schreckliche Fehleinschätzung”, wettert er im Fernsehsender NBC. Der Agentur wirft er einen “verblüffenden Mangel an Kenntnissen in grundlegender US-Haushaltsmathematik” vor, weshalb sie “genau dem falschen Schluss gekommen” sei. “Wir müssen einige Herausforderungen bewältigen, aber das werden wir schaffen”, versichert Geithner den Zuschauern. Die plötzliche Schärfe lässt sich möglicherweise auf vorangegangene Äußerungen des republikanischen Senators Rand Paul zurückführen, der Geithner am Samstag “grobes Missmanagement” vorwirft.

Als Geithner bei Obamas Amtsantritt die Leitung des Finanzministeriums übernahm, war der heute 49-Jährige einer der jüngsten US-Finanzminister. In seinem dezenten, zurückhaltenden Auftreten spiegelt sich seine Herkunft aus vornehmer Ostküsten-Elite wider. Seine Jugend verbrachte er zeitweise in Indien und Thailand, wo sein Vater arbeitete. An der Spitzenuniversität Dartmouth studierte er Chinesisch und Japanisch. Im Jahr 1988 begann seine Karriere im US-Finanzministerium. Rund 15 Jahre später wurde er Chef der Zentralbank von New York, die auch für die Wall Street zuständig ist. Geithner ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Für Geithner ist es nicht das erste Mal, dass er in schwerem Fahrwasser manövriert. Schon vor seinem Amtsantritt stand er eine Steueraffäre durch, die ihn fast die Nominierung gekostet hätte. Nur zwei Monate nach seiner Vereidigung musste er dann vor dem Kongress Zweifel an seiner Arbeit ausräumen, als der US-Versicherer AIG seinen Mitarbeitern Boni in Höhe von insgesamt 165 Millionen Dollar (116 Mio. Euro) auszahlte, obwohl der Konzern gerade mit Steuermilliarden gerettet wurde und der Staat 80 Prozent der Anteile hielt. Begleitet wurde die Affäre von öffentlicher Empörung, was Geithner offenbar überraschte und Zweifel an seinem politischen Instinkt nährte.

Mit abstürzenden Aktienkursen konnte Geithner im Übrigen schon einen Monat nach seiner Berufung zum Minister Erfahrungen sammeln, als die Vorstellung seines mit hohen Erwartungen behafteten Plans zur Sanierung des Finanzsektors weithin Enttäuschung auslöste und die Börsen ins Wanken brachte.

Beirren ließ sich Obama bisher jedoch weder von dieser Episode noch von den anderen Problemen, die Geithners Karriere im US-Kabinett begleiteten. Auf die Frage, was er dem Minister antworten würde, wenn dieser seinen Rücktritt anbieten sollte, sagte der Präsident einst im Zusammenhang mit den AIG-Vorwürfen: “Tut mir Leid, Freund, Du behältst den Job!”

APA/AFP

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Wirtschaft
  • Angeblich amtsmüder US-Finanzminister soll Weltfinanzmärkte retten