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„Die Mittel werden ausgespuckt, gespritzt oder verkauft“

Missbrauch von Substitutionsmitteln ist offenbar an der Tagesordnung.
Missbrauch von Substitutionsmitteln ist offenbar an der Tagesordnung. ©Bilderbox
95 Prozent der Süchtigen würden Substitutionsmittel sachgemäß verwenden, sagte Sandra K. kürzlich in der W&W. Stimmt nicht, entgegnet man im Therapiezentrum Lukasfeld, Missbrauch sei weit verbreitet.

„Mindestens 80 Prozent der Süchtigen missbrauchen Substitutionsmittel, 20 Prozent wenden sie richtig an“, widerspricht Sebastian (Name von der Redaktion geändert) den Aussagen von Sandra, „es wird alles gespritzt. Was sie da erzählt hat, ist reiner Selbstschutz.“ Sebastian ist seit einigen Wochen in der Einrichtung, war sowohl im Methadon- als auch im Substitol-Programm und kennt die Vorarlberger Drogenszene seit Jahren: „Ich war selbst auf Substitol eingestellt. In Vorarlberg wird es aber nur noch selten verschrieben. Die Leute holen es sich in der Apotheke und nehmen es auch dort ein. Sie schlucken es nicht, sondern lassen es unter der Zunge. Dann bringen sie gerade noch ein „Ciao“ raus und gehen. Draußen wird es ausgespuckt, gespritzt oder verkauft.“

Blühender Handel

Der Handel mit Substitutionsmitteln scheint zu blühen. Sebastian weiter: „Ein Problem ist, dass die Ärzte oft viel zu hoch dosieren. Die Süchtigen holen sich dann ihre Ration, zum Beispiel 24 mg Subutex, nehmen ein Drittel und verkaufen den Rest dann für 40 Euro – und das täglich! Das sind 1200 Euro monatliches Nebeneinkommen. Zusätzlich zum Arbeitslosengeld. In Summe ergeben sich dann mal locker 2000 Euro. Das ist mehr, als so mancher verdient.“ Viele der Süchtigen sind selbst nicht mehr in der Lage, arbeiten zu gehen – Rückfälle und körperliche Beschwerden erschweren den Wiedereintritt ins Arbeitsleben. Dabei wäre es mit Hilfe von Substitution durchaus möglich, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Sebastian: „Was die Arbeit angeht, wurde das Thema Substitution gut gelöst. Wer sich entsprechend benimmt, bekommt die Mittel gleich für eine ganze Woche und muss so nicht mehr täglich in die Apotheke. Das erleichtert den Alltag natürlich. Jedoch macht es gleichzeitig auch den Missbrauch sowie den Handel einfacher. Und wer den Job verliert, wird sowieso umgehend wieder auf die tägliche Abgabe umgestellt.“

Hotspots

Gedealt wird überall im Land, wie Sebastian erzählt: „Zu kaufen gibt es das Zeug überall, wo sich die Leute treffen. Das kann in der Stadt oder am See sein, aber auch in den diversen Einrichtungen. Wenn ich in eine Drogenberatungsstelle gehe, fragen mich umgehend fünf Leute, ob ich etwas brauche. Das ist ganz normal. Die finanzieren sich so.“

Interview mit Dr. Roland Wölfle, Therapiestation Lukasfeld

WANN & WO war zu Besuch in der Therapiestation Lukasfeld in Feldkirch und unterhielt sich mit Dr. Roland Wölfle über Substitution.

WANN & WO: Sie haben nach dem letzten Artikel zu diesem Thema Kontakt mit uns aufgenommen. Warum war das für Sie wichtig?

Dr. Wölfle: Unsere Patienten haben heftig über den Bericht diskutiert. Nach langen Gesprächen mit Betroffenen ist zu sagen: 80 Prozent gehen nicht so mit dem Substitol um, wie es gesetzlich vorgesehen und fachlich zu befürworten ist. Einige unserer Patienten kennen Sandra K. gut. Es hat sich in den Gesprächen herausgestellt, dass mehr oder weniger alle Betroffenen, die Substitol erhalten, dieses auch spritzen.

WANN & WO: Warum werden die Mittel gespritzt und welche Gefahren bringt dieser Missbrauch mit sich?

Dr. Wölfle: Es geht nur um den Kick. Werden die Mittel geschluckt, fehlt dieser. Allerdings hält der Effekt nicht lange an – nur einige Stunden, statt 24, wie es eigentlich vorgesehen wäre. Es wird im Magen langsamer aufgenommen, da sich erst die Talkumkugeln, die die Substanzen beinhalten, auflösen müssen. Das macht das Spritzen auch so gefährlich, da bei jedem Schuss Kunststoffpartikel mit in die Blutbahn gelangen.

WANN & WO: Es wird immer wieder vom Schweizer Modell gesprochen. Was ist daran so speziell?

Dr. Wölfle: In der Schweiz gibt es eine kontrollierte Heroinabgabe. Es ist aber die Frage, wie lange sich die Eidgenossen das noch leisten können. Es braucht entsprechende Einrichtungen, Personal etc. Holen sich die Süchtigen bei uns ihre Substitutionsmittel, sind sie bei sachgemäßer Anwendung 24 Stunden lang versorgt. Die Schweizer Abgabestellen sind rund um die Uhr besetzt. Das Modell an sich wäre zu befürworten – Substitution steht nicht unbedingt für Lebensqualität.

WANN & WO: Ist es das, was Sandra K. meinte, als sie sagte, man wolle, dass die Süchtigen leiden?

Dr. Wölfle: Diese Aussage ist für mich nicht nachvollziehbar. Es bedeutet nur, dass sie täglich in die Apotheke gehen muss. Sie soll ihr Substitutionsmittel ja bekommen – und man gibt es ihr auch. Also, worin besteht dieses Leid?

Therapiezentrum Lukasfeld – Geschichte

Die Therapiestation wurde 1995 eröffnet. Mit Dr. Roland Wölfle übernahm im Jahre 2002 ein Mitarbeiter der Stiftung Maria Ebene die Leitung der Einrichtung. Wölfle war zuvor fast zwölf Jahre oberärztlich am Krankenhaus in Fras­tanz tätig. Die Therapiestation Lukasfeld gehört – wie die TS Carina in Feldkirch und das Krankenhaus Maria Ebene in Frastanz – zum Verbund der Stiftung Maria Ebene, gemeinsam mit den Beratungsstellen Clean und der Stelle Supro, die für Vorbeugung und Information zuständig ist.

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