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Zum Pflegefall geschüttelt

So grausam kann die Wirklichkeit sein. Erst vor wenigen Tagen kündigten Ärztekammer und Physiotherapeutenverband eine österreichweite Aufklärungskampagne gegen das „Baby-Schütteln“ an.

Seit Samstag liegt ein Säugling mit Schädel-Hirn- und Schütteltrau ma auf der Intensivstation der Kinderklinik in Linz. Misshandelt von seinem überforderten Vater. Sandra Rein-Klien aus Dornbirn kennt solche Geschichten aus eigener Erfahrung. Auch ihr heute achtjähriger Sohn ist schwerstbehindert. Zum Pflegefall geschüttelt von seinem Taufpaten, der die Nerven verlor, weil der Bub weinte. „Das soll keinem Kind mehr passieren“, wünschte sich Sandra und ließ Poster entwerfen, um Eltern und generell Erwachsene für das Thema zu sensibilisieren. Damit wird die Aufklärungskampagne gestaltet.

Ausraster mit Folgen

Taariq ist ein hübscher Junge. Dichtes schwarzes Haar, feine Gesichtszüge und große dunkle Augen, die ihren Glanz trotz allem nicht verloren haben. Knapp elf Monate alt war er, als das Unfassbare geschah. „Er konnte fast schon gehen“, fügt Sandra Rein-Klien leise hinzu. An diesem verhängnisvollen Samstag im Mai 2000 ging sie ohne das Kind einkaufen. Der Bub fieberte. Deshalb ließ die Mutter den Kleinen in der Obhut ihres Bekannten zurück. Als die junge Frau nur gut eine halbe Stunde später wieder nach Hause kam, war Taariq im Krankenhaus bereits das erste Mal reanimiert worden. Die Ärzte konnten zwar sein Leben retten, doch das erlittene Schütteltrauma zeitigte schlimme Folgen. Taariq ist seitdem körperlich und geistig schwerstbehindert und muss künstlich ernährt werden.

Sandra Rein-Klien hat ihren Beruf als Kindergärtnerin aufgegeben. Bei anderen Kindern täglich sehen zu müssen, wie sich der eigene Nachwuchs hätte entwickeln können, das schaffte sie nicht. Und es tut auch heute noch weh. „Wie eine offene Wunde, die ab und zu blutet“, beschreibt sie das Gefühl, das immer wiederkehrt. „Der Schmerz“, meint Sandra Rein-Klien, „geht wohl nie weg.“ Schon vor ein paar Jahren startete sie auf eigene Faust eine Plakataktion. Doch so wirklich angekommen ist die Botschaft damals nicht. „In vielen Arztpraxen wurde das Plakat bald wieder abgenommen“, erzählt sie.

„Kindesmisshandlung“

Von der bundesweiten Kampagne erhofft sich die Mutter mehr Nachhaltigkeit. „Eltern und andere Erwachsene wissen vermutlich gar nicht, was sie bei einem Kind mit Schütteln oder auch Hochwerfen anrichten können“, so Sandra Rein-Klien. Umso besser weiß es Claudia Küng, Leiterin der Fachgruppe Kinderphysiotherapie und Betreuerin von Taariq. „Kräftiges Schütteln kann irreparable Schäden verursachen, die von Hör- und Sehfehlern bis zur Lähmung reichen“, klärt sie auf. Der Grund: Kleinkinder können ihren Kopf noch nicht halten und das Gewebe im Hirn ist noch weich. Für Küng ist Schütteln auch keine Erziehungsmaßnahme, sondern schlicht und einfach Kindesmisshandlung. „Die Kolleginnen und Kollegen bekommen leider regelmäßig solche Fälle zur Therapie“, bedauert sie.

Breite Information

Mit „Schütteln verboten“- Poster, die in allen Physiotherapie- und möglichst vielen Arztpraxen aushängen sollen, möchten die Experten deshalb über die Gefahren des Baby-Schüttelns informieren. „Wir wünschen uns so sehr, dass es nützt.“ Sandra Rein-Klien sieht ihren Mann Christian an. Der nickt zustimmend. Er trägt das Engagement seiner Frau mit. In ihm hat Taariq einen liebevollen Stiefvater gefunden. Der Bub soll auch nicht allein aufwachsen. Sandra ist bereit für ein zweites Kind. „Ich möchte wissen, wie es nach elf Monaten weitergeht.“

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