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„Wir sind gefordert, die Qualität anderer Wohnmodelle zu zeigen“

©Martin Mischkulnig
Verena Konrad, Direktorin des Vorarlberger Architektur Instituts, über die Biennale, Lebensräume und Gleichberechtigung.

Martin Begle/Wann&Wo

WANN & WO: Seit über fünf Jahren sind Sie nun Direktorin des vai. Wie ist es dazu gekommen?

Verena Konrad: Meine Vorgängerin Marina Hämmerle hat es vor mir sieben Jahre lang geleitet. Ich habe ihre Arbeit und das vai sehr geschätzt und von daher war es für mich biografisch ein wichtiger Schritt, mich hier zu bewerben. Die Vielseitigkeit ist das Schönste an der Arbeit hier. Vorarlberg ist reich an inspirierten Menschen, die mit ihrer täglichen Arbeit sehr viel bewirken.

WANN & WO: Wie war das davor?

Verena Konrad: Ich habe 15 Jahre in Innsbruck gewohnt, aber in Wien, Linz und Innsbruck gearbeitet. Das war ein klassisches Kulturprekariat. Viele Jobs, nirgends verdient man gut, daher braucht man viele.

WANN & WO: War das als Alleinerzieherin nicht sehr schwierig?

Verena Konrad: Die Vereinbarung von Familie und Beruf ist für mich ein zentrales Thema. Es ist aber auch ein politisches, bei dem Vorarl­berg noch Nachholbedarf hat. Wir haben uns hier sehr schnell eingelebt. Eine liebevolle Kindergärtnerin, tolle Lehrerin, Unterstützer bei den Nachbarn, Freunde – dass diese kleinen Netzwerke sehr gut funktionieren, ist besonders an Vorarlberg. Viele reden von „Work-Life-Balance“. Ich habe kürzlich von einem Kollegen den Begriff „Life-Balance“ ins Ohr gesetzt bekommen. Wir haben nur dieses eine Leben und die Arbeit ist ein Teil davon. Bei mir macht sie einen sehr großen Teil aus, das gebe ich zu, aber nur, weil ich sie so gern mag. Das ist ein großes Privileg.

WANN & WO: Was macht die Vorarlberger Architektur aus?

Verena Konrad: Es gibt hier eine große Vielfalt und auch einige Dinge, für die wir international sehr bekannt sind. Motor für viele Entwicklungen sind Ökologiebewusstsein, technologische Innovation und die Aktualität des Handwerks. Auch von Architekturseite gibt es viele, die das mittragen. Hermann Kaufmann oder Dietrich Untertrifaller etwa, aber auch eine jüngere Generation, wie Julia Kick, Helena Weber oder Matthias Hein. In der Architektur zeigen sich die Entscheidungen von Menschen. Sie ist aber auch verbunden mit Expertentum. Architekten, Fachplaner, Bauwirtschaft, Handwerk, etc. Architektur ist das Materialisieren von Ideen und Haltungen. Um Haltung muss man immer wieder ringen. „Die“ Vorarl­berger Architektur gibt es für mich daher nicht.

WANN & WO: Schlagen sich diese verschiedenen Ansätze auch im Austria-Pavillon für die Biennale in Venedig nieder?

Verena Konrad: Wir haben heuer drei Positionen, stellvertretend für diese Vielfalt. Die Biennale hat alle zwei Jahre ein Generalthema, heuer „Freespace“. Für uns ist Freiraum in erster Linie ein Freiraum im Kopf, auch als Reaktion darauf, dass das Bauen sehr oft und dominant mit rein funktionalen und ökonomischen Kriterien verbunden ist. Es geht aber auch um eine Idee von Gesellschaft, von Zusammenleben, davon, wie die Architektur auch Wirksamkeit erlangen kann. Wir haben die drei Teams bei der Biennale gebeten, das zu thematisieren.

WANN & WO: Wie war die Zusammenarbeit mit Stefan Sagmeister?

Verena Konrad: Sehr gut, auch mit seiner Partnerin Jessica Walsh. Die beiden sind sehr umgänglich in der Zusammenarbeit. Das waren alle drei Teams gleichermaßen. Sagmeister & Walsh beschäftigt sich mit der virtuellen Gestaltung von Lebensraum. Im Sinne der Interdisziplinarität und weil digitale Bildwelten unser räumliches Verständnis massiv beeinflussen, haben wir nach Partnern gesucht, die sich mit diesen auseinandersetzen. Die Arbeit der beiden lässt uns Material imaginieren, das es in der Realität nicht gibt. Unser Körper reagiert darauf aber so, als ob es anwesend wäre und wir einen sinnlichen Kontakt herstellen könnten.

WANN & WO: Wie wirkt sich Gesellschaftspolitik auf den öffentlichen Raum aus?

Verena Konrad: Das ist die Kategorie schlechthin. Der öffentliche Raum gehört per Definition allen und ist für alle zugänglich. Darum ist er ein hochpolitischer Raum. Es ist ein Vize versa. Der Raum wirkt sich auf Gesellschaft aus, Gesellschaft wirkt in den Raum. Das Leben wird durch Gebote und Verbote organisiert. Viele verwechseln ihre Vorbehalte dagegen mit solchen gegenüber der Gestaltung von Raum und umgekehrt.

WANN & WO: Wie ist das hier?

Verena Konrad: Vor fünf Jahren habe ich gesagt, dass ich es als großes Manko empfinde, dass in Vorarlberg kaum über den öffentlichen Raum gesprochen wird. Heute gibt es eine völlig andere Situation und ich bin sehr froh um diese Entwicklung. Sie macht klar, dass es hier Handlungsbedarf gibt. Wenn die privaten Räume kleiner werden, braucht es im Sinne eines Ausgleichs andere Freiräume. Da muss man sich überlegen, wie das im Kontext zum Bestand sinnvoll ergänzt, erweitert, manchmal auch korrigiert werden kann. Wir denken vermehrt an das Quartier als Maßstab. An einen überschaubaren Raum, in dem sich der Alltag abspielt, Nachbarschaft gepflegt wird, soziales Leben. Das Quartier wird der wichtigste Bezugsraum für zukünftige räumliche Entwicklungen sein.

WANN & WO: Wie hat sich die Vorarlberger Architektur im Bezug auf den Wohnbau entwickelt?

Verena Konrad: Da muss man unterscheiden zwischen dem privaten und dem gemeinnützigen Wohnen, dem sozialen Wohnbau. Seit der Wirtschaftskrise 2008 gibt es im gesamten mitteleuropäischen Raum die gleiche Tendenz. Die Situation hat sich nochmals dramatisch verschlechtert, obwohl der Bausektor boomt. Es wird sehr viel gebaut. Die Qualität dieser Wohnungen ist, was Bautechnik und Material betrifft, durchwegs sehr gut. Aber es gibt eine Anspruchs-Wirklichkeits-Dissonanz, was Haben und Sein betrifft. Dieser Bauboom hat nichts mit einer konkreten Bedürfnislage zu tun, sondern mit Verkaufsstrategie. Viele sagen dazu „Betongold“. Das hilft vielleicht dem Einzelnen und einer Wohlstandsentwicklung im Allgemeinen, was für sich kein schlechter Effekt ist, aber gesamtgesellschaftlich hat es auch negative Folgen, für die aber niemand verantwortlich sein will.

WANN & WO: Was ist die Konsequenz daraus?

Verena Konrad: Der Bauboom hilft z.B. aktuell nicht dabei, den Wohnungsmarkt zu demokratisieren, Nutzungsvielfalt hereinzubringen, lebendige Quartiere wachsen zu lassen. Unterschiedliche Lebensentwürfe werden weitgehend ignoriert. Da reden wir von sozialer Durchmischung, von Generationen-Wohnungen, von integrativen Maßnahmen für Menschen unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen, auch Zugezogene. Die Vielschichtigkeit dieser Gesellschaft wird über den Vorarlberger Wohnungsmarkt nicht abgebildet, ist aber real da. Es gibt aber auch interessante Ansätze dieser Wohlstandsentwicklung, die man sehr wohl abgebildet findet und die wertvoll sind. Das wären kleinere Wohnungen für Singles, Sharing-Modelle für Wohnen und Mobilität, die Integration von Co-Working inkl. Infrastruktur und Home-Office-Szenarien. Der nächste Schritt wäre, diese Modelle nach außen abzubilden. Dann hätten sie wieder, konsequenterweise, Einfluss auf das Quartier. Ein weiteres Thema wäre die Einfamilienhaus-Dikussion.

WANN & WO: Die Einfamilienhaus-Diskussion?

Verena Konrad: Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Einfamilienhaus zum Synonym für Wohlstand. Und Sie merken an diesem Wort, wie viel das Wohnen auch mit sozialer Stellung zu tun hat. Vor drei, vier Generationen lebten die meisten Vorarlberger in Mehrfamilienhäusern mit viel mehr Nutzungsvielfalt. Es ist kulturell schwierig, etwas, das so sehr mit sozialem Aufsteig verbunden ist, wie ein eigenes Haus, aus dem persönlichen Wunschdenken zu streichen, auch wenn die Vernunft dazu rät und es viele Wohnmodelle gibt, die mindest ebenso erstrebenswert wären. Wir sind gefordert, die Qualität anderer Modelle zu zeigen. Dafür braucht es mehr Best-practice Beispiele, damit Vorarlberg zukunftsfähig bleibt.

WANN & WO: Sie waren in „feministischen Arbeitskreisen und Solidaritätsgruppen“ engagiert?

Verena Konrad: Ja. Sie sind gut informiert. Als 14- bis 19-Jährige war ich Teil einer Solidaritätsgruppe für Projekte in Nicaragua, über eine Freundin, die dort gearbeitet hat. Wir haben uns karitativ engagiert. Viele aus dieser Gruppe tun das heute noch. Diese Freundin hat mich auch schon früh für Gleichberechtigungsthemen sensibilisiert.

WANN & WO: Was halten Sie von Geschlechter-Quoten?

Verena Konrad: Wenn der Frauenanteil unterdurchschnittlich ist, ist das eine gute Maßnahme, um zu einer ausgleichenden Gerechtigkeit zu führen. Anders war es leider über die Jahrzehnte nicht möglich. Wichtig ist aber immer die gleiche Qualifikation. Ich würde keinem Betrieb raten, wegen einer Quote jemanden einzustellen, der schlechter qualifiziert ist. Das würde ich auch selbst nicht machen. Das Ziel wäre, irgendwann einmal keine Quote mehr zu brauchen.

WANN & WO: Wie entspannen Sie sich?

Verena Konrad: Mit den Kindern bin ich jetzt wieder öfter am Bodensee im Sommer. Auch so bin ich gern draußen unterwegs. Ich wohne in Dornbirn und brauche gefühlt nur fünf Minuten, um in einem Naturraum als Erholungsraum zu sein. Dort gehe ich sehr gerne laufen. Ich lese auch gerne und viel. Mein Freizeitprogramm ist aber natürlich auch auf die Interessen meiner Kinder abgestimmt.

Wordrap

Vorarlberg: Mein neues Zuhause.

Innsbruck: Studium und Kinder.

Architektur: Alltag.

Geschichte: Kollektive Biografie.

Lebensräume: Allgegenwärtig.

Wohnen: Politisch.

Biennale: Erleichterung.

Familie: Zukunft.

Freizeit: Freunde.

Laufen: Entspannung im Kopf.

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