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Wer liebt, ist nicht behindert

Sarah Viktoria Frick (Beppi) – beste Schauspielerin des Jahres 2011.
Sarah Viktoria Frick (Beppi) – beste Schauspielerin des Jahres 2011. ©TAK/Burgtheater
Grandioses Burgtheater-Gastspiel im TAK mit dem einstigen Theaterschocker „Stallerhof“ von Franz Xaver Kroetz.

Schaan. (sch) Der Münchner Autor (und Schauspieler) Franz Xaver Kroetz (geb. 1946), in Österreich der frühe Peter Turrini und Felix Mitterer haben mit ihren teils brutalen, sozialkritischen Werken der Literaturgeschichte im 20. Jahrhundert einen modernen Naturalismus geschenkt, der sehr oft das Publikum schockte. Schauplätze sind generell die diskriminierte Unterschicht, vornehmlich im ländlichen Raum. Franz Xaver Kroetz mag 1972 mit seinem Bühnenstück „Stallerhof“, dem 1975 als Ergänzung noch „Geisterbahn“ folgte, als Pionier des Genres gelten. Das Burgtheater war aktuell in der glücklichen Lage, für eine Neuproduktion des „Stallerhof“ eine geniale Protagonistin für die Hauptfigur des behinderten Mädchens Beppi zu besitzen – die Liechtensteinerin Sarah Viktoria Frick, zu Recht 2011 mit dem Theaterpreis „Nestroy“ als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Zweimal war im jeweils ausverkauften TAK das ungemein dicht inszenierte und grandios gespielte Schicksal der in ihrer eigenen, eingeschränkten Welt liebenden und leidenden Beppi als Burgtheater-Gastspiel zu bewundern.

Die Enge des Stallerhofs

Für den Bauer Staller und seine Frau ist die geistig zurückgebliebene und kurzsichtige Beppi nichts weiter als eine Schande für den Hof, da sie für keine richtige Arbeit zu verwenden ist. Einzig der auch von den Stallers schikanierte alternde Knecht Sepp schenkt Beppi in seiner derb-unbeholfenen Art ein wenig Herzenswärme durch Märchenerzählen, Geisterbahn, Gasthaus… Sepp vergeht sich aber schließlich an der 14-Jährigen; sie wird schwanger, der Knecht wird verjagt, die Eltern denken sogar an die Ermordung ihres Kindes, zumindest an die Abtreibung. Doch Beppi bekommt und liebt ihr Kind und verlässt den Hof. Sie und Sepp treffen sich noch einmal in München; er stirbt, und als man ihr das Kind nehmen und in ein Heim bringen will, erstickt sie in ihrer Verzweiflung den kleinen Georg (Ende von „Geisterbahn“).

Düsteres Szenario

Die Bühne (Patrick Bannwart, auch Kostüme) ist düster, angefüllt mit allerlei Gerümpel des Bauernhofs; ein riesiges Kruzifix dominiert die Mitte, kleinere Kreuze hängen daneben (Sex als Sünde zelebriert Kroetz fast selbstredend). Beppi und Sepp haben ein erbärmliches Outfit. Regisseur David Bösch sorgt für eine beklemmende Atmosphäre, lässt aber im skurrilen Benehmen Beppis auch ab und zu galligen Humor aufblitzen. Sarah Viktoria Frick ist der wahre Edelstein des grandiosen Theaterabends – in jeder Phase ihrer mehrfachen Behinderung glaubhaft, doch am berührendsten in den Szenen als liebende, kämpfende Mutter oder in der zaghaften Zuneigung zum Vater ihres Kindes. Da reagiert Frick stark nur als „unbehinderter“ Seelen-Mensch – wunderbar! Johannes Krisch, vielseitiger Burg-Mime, spielte zwar als Sepp beeindruckend, der Regisseur hätte aber nicht nur eine bucklige, hinkende Jammergestalt aus ihm machen sollen. Branko Samarovski (u. a. mehrjähriger herrlicher „Teufel“ im Salzburger „Jedermann“) als herzloser Vater Staller und Barbara Petritsch als Rabenmutter Staller komplettierten stimmig das virtuose Quartett in der vielfach bornierten Enge ihrer Existenz. „Stallerhof“ kann auch heute noch als Bühnen-Plädoyer für Recht und Menschenwürde und gegen Vorurteil und Herzenskälte stehen.

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