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Wenn jeder Gesang erstirbt

Bregenz - Klang- und schmucklos tritt die Kirche am Karfreitag vor die Altäre und klagt. Auch die Mönche des Klosters Mehrerau ziehen um 15 Uhr schweigend in die Kirche zur Karfreitagsliturgie.

„Den ganzen Tag schon war das Chorgebet viel einfacher als sonst”, erzählt Abt Anselm van der Linde. „Wir singen keine Hymnen und keine Responsorien (Antwortgesang), noch nicht einmal das „Gloria Patri” (Ehre sei dem Vater). Diese feierlichen Gesänge prägen ansonsten das Jahr über den Gregorianischen Choral, der es durch die Mönche des Stiftes Heiligenkreuz 2008 sogar in die britischen Pop­charts schaffte. Doch zum Ende der Karwoche kommen die Psalmen leise über die Lippen, und die Orgel schweigt. „Wir nennen das Traueroffizium, denn am Karfreitag besiegelt Christus, was er am Gründonnerstag angedeutet hat.” Eine Tragödie spielt sich da ab. Schon darin sieht Abt Anselm van der Linde die erste Analogie zum menschlichen Dasein: „Wo es doch kaum einen Menschen gibt, der nicht schon persönlich Tragödien durchlitten hätte.”

„Leid verwandelt”

Und ist nicht jeder später ein anderer geworden? „Leid trägt immer verwandelnden Charakter.” So wie in der Eucharistie sich Wasser in Blut und Brot dem Wesen nach in den Leib Christi verwandeln, verwandelt sich der gekreuzigte Christus die Auferstehung und erlangt neues, unverbrüchliches, immerwährendes Leben. Aber noch ist Karfreitag. Noch weiß das niemand. Noch steht die junge Christengemeinde, die sich gar nicht als solche begreift, unter Schock, vor den Trümmern ihrer Existenz. Verfemt, ausgestoßen, hoffnungslos.

Sie liefen weg

„Sie sind dann ja auch weggelaufen.” Sie sahen sich außerstande, wie der alttes­tamentliche Hiob selbst in größtem Leid Gott anzuerkennen. Sie brachten den Mut nicht auf, den einzig der Gekreuzigte fand, als „er es im Tod noch fertig brachte, das Geheimnis, das sich ihm, ihn tötend, entzog und ihn in die unbegreiflichste Gottverlassenheit stürzte, Vater zu nennen, in dessen Hände er sich ergab”, schreibt der Jesuit Karl Rahner in seinem eben neu aufgelegten Büchlein „Gotteserfahrung heute”. Aber wie sollten sie auch? Sie wussten nicht, dass auf den Karfreitag die Osternacht folgt. Noch war die Hoffnung nicht grundgelegt, die heute eigentlich die Überzeugung von annähernd zwei Milliarden Christen weltweit nähren sollte.

Sinnbild der Krise

Zum Zeichen namenloser Trauer betet der Abt die Karfreitagsliturgie wie alle anderen Bischöfe auch ohne seinen Ring. Abt Anselm sieht in der existenziellen Krise Jesu auch ein Sinnbild für die Glaubenskrise vieler Menschen, die wieder und wieder an ihrem Unvermögen verzweifeln. Und er hat keine Patentlösung zur Hand. Aber Anselm erinnert an Papst Paul VI., der 1978 bei der Beerdigung des ermordeten Aldo Moro „bereits selbst vom Tod gezeichnet und zutiefst erschüttert mit erhobenem Zeigefinger predigte: „Mein Gott, warum hast Du uns verlassen?” Diese Frage klingt nach, da bricht der Karsamstag an und mit ihm der stillste Tag im Kirchenjahr.

 

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