Was der Historiker Prof. Gerhard Wanner in seiner Aufarbeitung zeigt, hat mit dem Bild der „heilen Familie“ nichts zu tun. Demütigungen und die Anwendung körperlicher und seelischer Gewalt im Umgang mit Kindern waren Jahrhunderte lang Alltag. „Und bist du nicht willig, so spürst du Gewalt“ – dieser gesellschaftliche Konsens hat sich nicht nur im privaten Zusammenhang der Familie, sondern ebenso in Schule und öffentlichen Einrichtungen bis in die jüngste Vergangenheit gehalten. Anhand von Zeitungsartikeln gibt Wanner erstmals umfassende Einblicke in die oftmals zutiefst erschütternde Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Familien in Vorarlberg in der Zeit von 1861 bis 1938.
Der junge Historiker Johannes Spies zeichnet die Geschichte des „Kinderrettungsvereins“ – der ersten Vorarlberger Kinder- und Jugendwohlfahrtseinrichtung – nach, unter dessen Leitung auch das Heim am Jagdberg aufgebaut wurde. „Wenn du nicht brav bist, kommst du auf den Jagdberg.“ Generationen von Vorarlberger Kinder und Jugendlichen haben diesen legendären Satz gehört – als saloppe Warnung oder konkrete Androhung der ultimativen Strafe, der „Hölle auf Erden“ schlechthin.
Disziplinierung, Ideologisierung und Ausgrenzung haben neben persönlichem Leid auch große gesellschaftliche Konfliktpotenziale gelegt, die in zwei Weltkriegen mündeten, schreibt Dr. Christoph Hackspiel, Geschäftsführer des Vorarlberger Kinderdorfs, im Vorwort. Immer waren es dabei nicht allein die Verfehlungen einzelner, ebenso maßgeblich waren der sozialpolitische und wirtschaftliche Kontext bzw. fehlende unterstützende Rahmenbedingungen für Familie, Schule und Nahraum. Allzu oft wurden Verantwortliche in ihren Bemühungen und ihrem Engagement allein gelassen.
Kindheit, Jugend und Familie in Vorarlberg 1816 bis 1938
Wann: 28. November 2011, 19 Uhr
Wo: Kuppelsaal der Landesbibliothek Bregenz
Anmeldungen bei Monika Dintner (05574/4992-12) oder bei Barbara Hoja
Die im Auftrag des Vorarlberger Kinderdorfs erstellte Publikation soll letztlich auch all jenen Mut machen, die in einer hochdifferenzierten Welt entschieden für eine kinderfreundliche Gesellschaft eintreten.
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