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"Was soll ich da noch rumsitzen?"

Jürgen Flimm rechnet damit, sich mit den Salzburger Festspielen auf eine vorzeitige Vertragsauflösung einigen zu können, um ab September 2010 die Linden-Oper in Berlin leiten zu können. Flimm neuer Chef der Berliner Staats­oper | "Das kann er sich abschminken!" | Bitte um vorzeitiges Vertragsende

“Wenn ich im Frühjahr 2010 das Programm für 2011 vorzulegen habe, dann habe ich nach der Saison 2010 nichts mehr zu tun. Was soll ich da noch rumsitzen?”, sagt der Festspiel-Intendant im Interview mit dem “Kurier” (Dienstag-Ausgabe).

“Das Programm 2011 steht bereits jetzt zu 95 Prozent. Es ist nur noch eine Produktion offen”, so Flimm in dem Interview: “Erst kommt der Sommer 2010. Und wenn die Proben 2011 dann los gehen in Salzburg bin ich wieder da. Ich gehe zu den Bauproben und betreue alles, was mit den Produktionen zu tun hat. In welcher Vertragssituation das auch immer ist. Das habe ich dem Landeshauptmann-Stellvertreter Haslauer vor vier Tagen vorgeschlagen.” Er habe bereits in der Kuratoriums-Sitzung betont, “dass es sein kann, dass ich sie bitten werde, meinen Vertrag früher aufzulösen”. Doch auch wenn er ab Jänner 2009 beratend für Berlin tätig sein werde, liege seine Priorität “ganz klar in Salzburg”.

Die Salzburger Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler zeigte sich laut Ö1 Morgenjournal überrascht. Sie meinte allerdings, dass Flimm zu seinen Verpflichtungen stehen werde: “Wir sind ein eingeschworenes Team im Festspielhaus, die meisten Titel für 2011 stehen bereits fest und ich bin sicher, dass sich Jürgen Flimm seiner Verantwortung gegenüber den Festspielen bis einschließlich 2011 bewusst ist.” Sie habe Verständnis, dass Flimm seine Entscheidung für Berlin bereits jetzt getroffen hat: “Leider sind die Vorlaufzeiten in der Kultur immer sehr lang. Drei Jahre, bevor eine Intendanz besetzt wird, beginnt man schon zu suchen. Das macht dann immer eine ziemlich schiefe Optik. Wie Flimm sich das zutraut zu machen, wird er mir erzählen, wenn er im Jänner nach Salzburg kommt. Und wir werden dann gemeinsam überlegen, ob das möglich ist oder nicht.”

In der heutigen “taz” wird ausführlicher die Vorgeschichte der Entscheidung dargestellt: “Nonchalant erzählte Flimm, wie er vor zwei Monaten einen aufregenden Anruf aus Berlin bekam, von einem früheren Mitarbeiter: ‘Wir brauchen dich hier in Berlin.’ Der Anrufer war André Schmitz, Staatssekretär für Kultur und früher einmal Referendar am Thalia-Theater Hamburg, dem Jürgen Flimm 15 Jahre lang – von 1985 bis 2000 – ein guter Chef war. Darauf habe er sich mit Daniel Barenboim, mit dem ihn schon lange große gegenseitige Zuneigung und gemeinsame Projekte verbinden, in New York in einem Hotelzimmer getroffen, um die Sache zu besprechen.”

In der deutschen Presse sind heute aber auch einige kritische Kommentare über das Flimm-Engagement zu lesen. So schreibt Manuel Brug in “Die Welt”: “Jürgen Flimm, der alte Zirkusdirektor, wird sicher hübsch trommeln und ein Feuerwerk von ‘Kreationen’ für das Schillertheater-Exil entfesseln, so wie er es ziemlich folgenlos auch bei der Ruhrtriennale entfacht hat. Ein Morgen des Musiktheaters müsste anders aussehen. Aber ein solches wird wohl zurzeit in Berlin am allerwenigsten gemacht. Hier geht es ums nackte Überleben, und dafür ist Jürgen Flimm, den man in Salzburg bei den Festspielen nicht mehr haben wollte (er sieht das natürlich anders), wohl der richtige Sozi-Mann.”

Und Stephan Speicher in der “Süddeutschen Zeitung”: “Flimm ist so recht eine Wowereit-Entscheidung, prominent, gut nachgefragt, Sozialdemokrat der Fraktion Fettlebe. (…) Der aggressiv-behäbige Geschmack Klaus Wowereits, der ernsthafte Anteilnahme an den Künsten nie hat erkennen lassen, wird schon gut zu Flimm passen. Und unbedingt ist an Daniel Barenboim zu denken. Dirigenten sind machtbewusste Persönlichkeiten, er ist es in noch einmal gesteigertem Maße. Dass Barenboim mit Flimm persönlich befreundet sei, was Flimm eifrig bestätigte, das muss man nicht zum Nennwert nehmen. So liegt es nahe, dass Barenboim, der sich für Regiefragen nicht besonders interessiert, in dem alternden Flimm einen Intendanten sieht, der seine Kreise nicht stört.”

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