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VW „am Scheideweg“

„Wir stehen am Scheideweg“ - mit diesen Worten stimmte der neue VW-Markenvorstand Wolfgang Bernhard in einem Brief am Montag die Belegschaft auf die kommenden Jahre der Sanierung ein.

Die Feststellung des neuen Hoffnungsträgers bei Europa größtem
Autobauer dürfte weit reichender sein als sie gemeint war. Auch das Beziehungsgeflecht zwischen Betriebsrat, Gewerkschaften, Management und Politik bei VW – jahrelang geprägt durch Konsenskultur – könnte vor einer grundlegenden Neuordnung stehen. Dass nicht alle dies bedauern würden, gilt als offenes Geheimnis.

Nach den Korruptionsvorwürfen gegen Ex-Skoda-Personalchef Helmuth Schuster und dem Rücktritt des langjährigen Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert gerät der traditionell starke Einfluss der Gewerkschaften bei VW ins Wanken. Immer häufiger fällt dabei inzwischen auch der Name von Personalvorstand Peter Hartz. Die drei Männer hatten in den 90er Jahren eng zusammengearbeitet. Schuster war von 1994 bis 2000 Leiter des Zentralen Personalwesens bei Volkswagen. Er war damit der zweite Mann nach Hartz und galt als dessen Vordenker.

Trotz der sich seit Tagen überschlagenden Spekulationen und Gerüchte gibt es einen von der Staatsanwaltschaft bestätigten Verdacht von Betrug und Untreue jedoch allein im Fall Schuster sowie bei einem seiner Mitarbeiter. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass Gelder auf Privatkonten gelandet seien, die VW oder der tschechischen Tochter Skoda zugestanden hätten. Unter anderem soll Schuster Schmiergelder von Zulieferern verlangt haben.

In Wolfsburg rückten am Montag die Wirtschaftsprüfer ein. Konzernchef Bernd Pischetsrieder hatte die Prüfgesellschaft KPMG mit der unabhängigen Prüfung aller Hintergründe beauftragt. Am Wochenende war Pischetsrieder auch zu einem mehrstündigen Gespräch mit CDU-

Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Christian Wulff zusammengekommen. Das Land, das zugleich größter Anteilseigner bei VW ist, unterstütze das Bemühen des Vorstandes um eine lückenlose Aufklärung, hieß es in der Staatskanzlei in Hannover. Dabei sei das Verhältnis von Wulff und Pischetsrieder „absolut vertrauensvoll“.

Wulff hatte am Sonntag angesichts von Medienspekulationen über
eine mögliche Verwicklung von Hartz in die Affäre betont, es gebe auch für Hartz und andere keinen „Persilschein“. Staatskanzlei-
Sprecher Olaf Glaesecker, wies auf Anfrage aber andere Mutmaßungen zurück, dass die CDU/FDP-Regierung die VW-Schmiergeldaffäre vorantreibe, um daraus im vermutlich bevorstehenden Bundestagswahlkampf Vorteile zu ziehen. Ein „Ablenkungsmanöver von interessierter Seite“ sei das, sagte er.

Inzwischen meldete sich auch noch IG-Metall-Chef Jürgen Peters zu Wort. Wulff versuche, Hartz öffentlich zu beschädigen, sagte er. Das sei „durchsichtig“. Auch Peters sitzt im VW-Aufsichtsrat. Die harmonische Zusammenarbeit zwischen Management, Betriebsrat und IG Metall bei Volkswagen ist legendär. Sie sorgte für spektakuläre Tarifabschlüsse, wie die Vier-Tage-Woche und Beschäftigungssicherung für über hunderttausend Mitarbeiter. Hartz und Volkert sind Schlüsselfiguren in diesem als „System VW“ beschriebenen Modell. Für die Belegschaft Grund genug, Volkert bei der Betriebsversammlung am vergangenen Donnerstag mit stürmischen Beifall zu verabschieden, wie Teilnehmer berichteten.

Jahrelang lief das „System VW“ reibungslos. Dazu trug auch der mächtige Großaktionär bei, das bis vor zwei Jahren SPD-geführte Land Niedersachsen. Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte nicht zuletzt seine Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident den Beinamen „Auto-Kanzler“ ein. Und Hartz lieferte die Vorlage für die gleichnamigen Gesetze. Auch Hartz ist nicht nur IG Metall- sondern auch SPD-Mitglied und gilt als guter Freund von Schröder.

Der CDU/FDP-geführten Landesregierung sind die engen Verflechtungen beim Volkswagen-Konzern dagegen eher ein Dorn im Auge. Und auch Pischetsrieder und Bernhard wären sicher nicht unglücklich über ein Ende des von Kritikern als Schmusekurs bezeichneten Mitbestimmungsmodells. Von Volkerts Nachfolger Bernd Osterloh heißt es, er werde in den Verhandlungen mit dem Management voraussichtlich eine härtere Gangart anschlagen. Und Bernhard schrieb in seinem Brief an die Belegschaft: „Die nächsten drei Jahre werden sehr schwierig.“

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