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Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg: Was geschah am 28. Juli 1914?

©Das österreichische Thronfolgerpaar Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie am 28.06.1914 in Sarajevo wenige Augenblicke vor einem tödlichen Attentat. (APA/dpa)
Die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien traf am 28. Juli 1914 völlig undiplomatisch als Telegramm mit der ganz normalen Post ein. Das von Kaiser Franz Joseph unterzeichnete und von Außenminister Leopold Graf Berchtold auf den Weg gebrachte brisante Dokument musste mehrere Stationen nehmen, ehe es zur serbischen Regierung gelangte.
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Die Kriegserklärung fand ihren Weg von Wien nach Budapest, von dort nach Semlin, dem äußersten Vorposten Österreich-Ungarns am linken Ufer des Save-Flusses genau gegenüber der serbischen Hauptstadt Belgrad. Weil die Regierung aber wegen des befürchteten Angriffs bereits in die im Süden gelegene Stadt Nis geflüchtet war, musste die Erklärung erst dorthin gelangen.

Kriegserklärung an die Presse gelangt

Um 11.30 Uhr lief das Telegramm als Zwischenstation in Belgrad ein. Ein gewisser Milan Grol konnte dem Telegrafenmeister unbefugt über die Schulter schauen und meldete seine Entdeckung sofort der wichtigsten Zeitung “Politika”, die gleich eine Sonderausgabe auflegte. Chefredakteur Miomir Milenovic beschreibt, wie sich die Kriegsnachricht in Windeseile verbreitete: Sofort setzte ein Ansturm auf die Lebensmittelgeschäfte ein, wo innerhalb kürzester Zeit Brot, Kaffee, Mehl, Zucker und Fleisch ausverkauft waren. Viele Händler verrammelten ihre Geschäfte. Auf das Gerücht, das Trinkwasser werde abgestellt, hasteten alle mit jedem nur aufzutreibenden Behälter zu den Brunnen der Stadt, um Vorräte anzulegen.

Serbische Hauptstadt verlassen

Doch am Anfang des “Großen Krieges”, der sich später zum Ersten Weltkrieg ausweitete, gingen beide Kriegsseiten von Annahmen aus, die sich als völlig falsch herausstellten, beschreibt der Belgrader Militärhistoriker Branko Bogdanovic die Lage. Wien erklärte Belgrad den Krieg, obwohl auf seinem wichtigen Außenposten Semlin, das heute als Zemun eine Vorstadt von Belgrad ist, nur rund 800 Soldaten stationiert waren. Diese Friedensstärke war noch nicht auf die 4000 Mann in Kriegszeiten aufgestockt worden. Serbien erwartete unter seinem noch heute als Volkshelden verehrten Premier Nikola Pasic einen schnellen Vorstoß österreichischer Truppen. Da die Hauptstadt angeblich nicht zu verteidigen war, wurden Regierung, Nationalbank und praktisch alle Militärverbände abgezogen.

Schwül, dunkle Wolken und prasselnder Regen

Das Wetter entsprach an diesem 28. Juli den apokalyptischen Kriegserwartungen, hat der Schiffsbaudirektor und Augenzeuge Djordje Cutkovic später aufgeschrieben: Nicht auszuhaltende drückende Schwüle, ein Himmel voller dunkler Wolken und dann prasselnde Regengüsse. Cutkovic wohnte direkt am Hafen an der Save. Dort warteten viele Habsburger oder Serben mit österreichischem Pass, um von Belgrad nach Semlin übersetzen zu können. Auf der anderen Seite des Flusses bemühten sich Tausende Serben, nach Belgrad zu gelangen.

„Unverantwortliche Aktion“ der Österreicher

Kurz vor Mitternacht setzten die Österreicher aus ihrer Grenzstadt Semlin mehrere Schubverbände unter Führung der “Alkotmany” der “I. k.u.k. privilegierten Donaudampfschifffahrtsgesellschaft” (DDSG) in Marsch. Sie sollten Nachschub für Verbände an der Save transportieren. Der österreichische Schiffsexperte und intime Kenner der heimischen Donauflotte, Friedrich Prasky, spricht von einer “unverantwortlichen Aktion”. Denn die Verbände wurden von serbischen Einheiten beschossen, obwohl das Militär abgezogen war. Bewaffnete des Zolls, der Eisenbahn und der Polizei waren an ihre Stelle getreten.

Karl Ebeling, das erste Kriegsopfer

“Alkotmany”-Kapitän Karl Ebeling (nach anderen Quellen: Elbling) war das erste zivile Opfer des Weltkrieges. Das zweite wurde sein Steuermann Michael Gramsberger. Die beiden werden am nächsten Tag auf dem Semliner Friedhof mit militärischen Ehren bestattet. Ihre Gräber existieren heute nicht mehr. Ein Jahr später erhielt der Erste das “Goldene Verdienstkreuz mit Krone am Bande der Tapferkeitsmedaille”, der Zweite die “Silberne Tapferkeitsmedaille I. Klasse”. Teile der angegriffenen Schubverbände konnten von den verletzten Matrosen wieder in den Hafen von Semlin gerettet werden. Die Wiener Zeitungen lobten “die heldenhafte Tat, an deren Ruhm das Pflichtgefühl aller auf der Donauflotille eingeschifften Zivilsteuerleute sich immer von neuem festigte und vertiefte”.

Österreichische Boote sahen aus wie ein „Schrottplatz“

Schon Tage zuvor hatte Österreich große Teile seiner sogenannten Donaumonitoren, also Kanonenboote oder Flusspanzerschiffe, in Semlin zusammengezogen. Allerdings war diese Streitmacht nach dem Urteil des Schiffshistorikers Prasky “für Kriegszwecke nicht zu verwenden”. Die Monitoren seien ungenügend gepanzert gewesen, hätten veraltete Kanonen besessen oder hatten Risse in den Schiffsschrauben. Einige Schiffe hätten an Bord wie der “Schrottplatz eines Alteisenhändlers” ausgesehen. Nach dem Beschuss der Schubverbände durch Serben begannen diese Kampfschiffe als Revanche Belgrad mit Granaten zu attackieren.

Erste Feuer auf die Stadt

Unter dem Kommando der SMS (Seiner Majestät Schiff) “Temes” feuerten die Kanonenboote “Bodrog”, “Szamos” und “Körös” auf die Stadt. Der Regierung wurde erst fünf Stunden später gemeldet, welche Schäden entstanden, berichtete Kriegsminister Dusan Stefanovic später: Das Zweite Gymnasium, Hotels, die Serbisch-Französische Bank, einige Straßen im Zentrum sowie Versorgungslager auf der Festung Kalemegdan hatten Treffer abgekommen. Von den an diesem ersten regulären Militärangriff des Krieges beteiligten Schiffen existiert nur noch die “Bodrog”. Ihre Reste dienen heute in Belgrad als Schwimmplattform für Rohre, durch die Sand aus der Donau abgepumpt wird.

 

Das ehemalige Kanonenboot „Bodrog“ liegt heute in der Donau, südöstlich von Belgrad. (APA/dpa)
Das ehemalige Kanonenboot „Bodrog“ liegt heute in der Donau, südöstlich von Belgrad. (APA/dpa) ©Das ehemalige Kanonenboot „Bodrog“ liegt heute in der Donau, südöstlich von Belgrad. (APA/dpa)

 

Zwischen Mitternacht und drei Uhr war “wildes, unkontrolliertes gegenseitiges Infanteriefeuer” zu hören, beschreibt der Historiker Bogdanovic die weitere Entwicklung: “Heute würde man dazu Grenzscharmützel sagen.” Am frühen 29. Juli kamen als erste militärische Opfer auf österreichischer Seite der aus Ungarn stammende Soldat Pal Kovacs (22) und sein Landsmann Imre Veres (23) zu Tode. Kovacs wurde in den 1920er Jahren von seiner Heimatgemeinde Abadszalok ein Denkmal errichtet. Auf serbischer Seite starb als erster Bewaffneter Dusan Djonovic (23), der zur Sicherheitstruppe der Eisenbahn gehörte.

Serben sprengen Verbindungsbrücke

Am 29. Juli um halb zwei in der Früh sprengten die Serben auf Befehl ihrer Regierung die Eisenbahnbrücke, die einzige Brückenverbindung zwischen den Kriegsgegnern. Damit sollte der erwartete schnelle Vormarsch österreichischer Verbände erschwert werden. Doch diese erste Sprengung im Krieg gelang nicht. Nur ein kleiner Teil der Brücke ging zu Bruch. Fußtruppen konnten sie immer noch nutzen und Schiffe sie passieren. Mit diesen ersten Stunden begann der brutale Weltkrieg.

„Serbien muss sterbien“

Knapp ein Viertel aller Serben wurde während des Ersten Weltkrieges getötet. Darin stimmen Wien und Belgrad heute überein: 1,1 Millionen Tote bei einer Gesamtbevölkerung von damals 4,5 Millionen – kein Staat hatte gemessen an seiner Bevölkerung mehr Tote zu beklagen. Hunderttausende starben durch Seuchen, Hunger und Kälte, 60.000 Zivilisten wurden hingerichtet – oft ohne jegliches Verfahren: Die österreichische Propaganda hatte den Kriegsausbruch mit der Losung “Serbien muss sterbien” gefeiert. Am Ende im Jahr 1918 war es genau umgekehrt. Trotz aller verlorenen Menschenleben wurde Serbien die dominierende Macht im großen Königreich Jugoslawien. Die Habsburger Monarchie jedoch war beendet.

(SALZBURG24/APA)

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