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Vom Abbrecher zum PHV-Rektor - Gernot Brauchle im Sonntagstalk

Gernot Brauchle: Vom Abbrecher zum PHV-Rektor.
Gernot Brauchle: Vom Abbrecher zum PHV-Rektor. ©Breuß/Sams
Dem Ländle droht der Lehrermangel. WANN & WO sprach mit Gernot Brauchle, Rektor der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, über Ausbildung, Stundenausfall und Problemschüler.
Wenn aus Studenten Lehrer werden
"Lehrermangel ist herausfordernd"

Von Anja Förtsch/Wann&Wo

WANN & WO: Warum fehlt es in Vorarlberg an Lehrern?

Gernot Brauchle: Höchstwahrscheinlich hängt das mit der wirtschaftlich guten Situation im Land zusammen. Bei einer sehr guten wirtschaftlichen Lage gehen die Menschen eher in die Wirtschaft, wo sie vielleicht auch mehr verdienen, als in Bundes- oder Landesstellen. Zu viele junge, gut ausgebildete Lehrer und besonders Lehrerinnen ziehen zudem fort. Nach ihrer Ausbildung an Universitäten kommen nur wenige wieder zurück.

WANN & WO: Die Wirtschaftslage wird sich so schnell wohl nicht ändern. Wie können also mehr Menschen trotzdem zum Lehrberuf gebracht werden?

Gernot Brauchle: Man muss das Interesse, schon bei den Schülern, wecken. Seit einem Jahr gehen wir deshalb direkt in Schulen und werben für die Lehrerausbildung. Das hat heuer schon Wirkung gezeigt: Wir haben gut 20 Prozent mehr Anmeldungen.

WANN & WO: Ein weiterer möglicher Grund für den Lehrermangel ist die Altersstruktur: An den Volksschulen im Land sind laut OECD im Mittel rund 44 Prozent der Lehrer älter als 50 Jahre. Da steht nicht nur eine Pensionswelle bevor, durch die Umstellung der Ausbildung von drei auf fünf Jahre fehlen auch zwei ganze Jahrgänge Junglehrer. Was kommt da noch auf Vorarlberg zu?

Gernot Brauchle: Es bleibt eine angespannte Situation für mindestens zehn Jahre. Erst dann werden die verstärkten Pensionierungen zurückgehen. Wir gehen auch davon aus, dass wir – selbst gemeinsam mit der Universität – den Abgang nicht ersetzen können.

WANN & WO: Wie wird sich das konkret auswirken? Droht Stundenausfall?

Gernot Brauchle: Das denke ich nicht. Das Land Vorarlberg hat alle Bundesstellen mit Lehrkräften besetzt und finanziert aus Landesmitteln zusätzlich 500 weitere Stellen. Damit wird etwa das Bestehen der Klein- und Kleinstschulen abgesichert, damit Gemeinden attraktive Wohnorte bleiben. Aber es wäre denkbar, dass in manchen Bereichen Schulen zusammengelegt, Klassen vergrößert oder Lehrer mit geringer Lehrverpflichtung zu mehr Arbeitsvolumen motiviert werden. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, den Mangel auszugleichen. Die werden aber alle konflikthaft sein.

WANN & WO: Wann wird man diese Änderungen erstmals spüren?

Gernot Brauchle: Zuerst einmal wurde erst vor Kurzem eine völlig neue Behörde geschaffen, die Bildungsdirektion. Diese braucht ein bisschen Zeit, bis sie derart schwierige Maßnahmen setzen kann. Ich schätze, dass sie innerhalb der nächsten Monate die ersten Vorschläge in der Sache machen wird. Die werden dann mit den jeweiligen Betroffenen verhandelt – den Lehrern, der Gewerkschaft, eventuelle mit den Elternvertretern. Das wird noch eine gewisse Zeit dauern.

WANN & WO: Auch in der Vergangenheit wurden Maßnahmen getroffen, die kontrovers diskutiert wurden. Das war etwa jene Verlängerung der Ausbildung von drei auf fünf Jahre. Wie stehen Sie dazu?

Gernot Brauchle: Das ist in meinen Augen in allen Bereichen ein Gewinn. Man darf nicht vergessen, dass mit einer dreijährigen Ausbildung niemand weiterstudieren konnte. Man war Lehrer oder Lehrerin und musste, wenn man nach zehn Jahren eine Veränderung wollte, den Beruf aufgeben. Jetzt gibt es endlich eine Akademisierung des Lehrerausbildung und damit eine deutliche Qualitätssteigerung der Ausbildung. Es gibt ein Bachelor- und Mastersystem, mit dem man auch einen Doktorgrad machen und sogar in die Forschung einsteigen kann. Diese Riesenvorteile werden allerdings durch eine längere Ausbildungszeit erkauft.

WANN & WO: Gab es Interessenten, die gesagt haben, dass ihnen fünf Jahre bis zum ersten Gehalt zu lang sind?

Gernot Brauchle: Ich habe nichts in der Art gehört. Alle Hochschulen hatten für die letzte dreijährigen Ausbildung mit einer großen Anmeldungswelle gerechnet. Es kam aber ganz anders: Die Anmeldezahlen brachen ganz unerwartet ein, teils um 20 bis 30 Prozent. Die Auszubildenden berichteten von der Sorge, dass eine veraltete Ausbildung in ein paar Jahren nichts mehr wert sei, obwohl die unterschiedlichen Ausbildungen gesetzlich vollkommen gleichgestellt sind. Dennoch haben einige sogar ihre Ausbildung um ein Jahr verschoben, schlichtweg weil sie die bestmögliche Ausbildung wollten.

WANN & WO: Zweite Änderung war die Auslagerung einiger Ausbildungsteile nach Innsbruck.

Gernot Brauchle: Das hat die Hochschulen vor massive Probleme gestellt. Aber es hat sie auch zu ihrem Vorteil verändert. Man hatte ja bis dahin beste Lehrer aus den Schulen an die Hochschule geholt und den Schwerpunkt auf die Lehre gelegt. Es war aber längst gesetzlich festgeschrieben, dass auch Forschung ein wesentlicher Teil der Hochschulen ist. Dem wird man nun gerechter. Es gibt aber auch Nachteile. Allein der Aufwand, bis die Zusammenarbeit halbwegs klappte, war enorm. Mittlerweile hat sich das aber eingeschliffen.

WANN & WO: Dritter Punkt war die Öffnung für Quereinsteiger.

Gernot Brauchle: Dabei muss man die Situation Vorarlbergs beachten. Wir haben keine Universität und ich würde deshalb behaupten: Sie finden in Vorarlberg kaum arbeitslose Akademiker, aus denen man überhaupt Quereinsteiger gewinnen könnte. Das funktioniert vielleicht in einer Stadt wie Wien. Für Vorarl-berg aber ist das eher kein brauchbares Konzept. Beachten muss man zudem, dass Akademiker aus anderen Fachgebieten fast ausschließlich in den höheren Schulstufen und so gut wie gar nicht in der Primarstufe einsetzbar sind. Das löst also nicht das Problem an der Volksschule. Ich glaube, Quereinsteiger sind eine interessante Möglichkeit für Universitätsstädte, aber keine Lösung für Vorarlberg.

WANN & WO: Man hörte kürzlich von einer Frau, die sich an einer Harder Volksschule beworben haben soll und zuvor 30 Jahre als Pädagogin in einem Kindergarten arbeitete. Sie sei nicht zugelassen worden, weil ihr die Matura fehlte, trotz Ausbildung und Berufserfahrung. Krankt da das System an seiner Starre?

Gernot Brauchle: Gesetz ist Gesetz, da sind die Grenzen starr. So schade es auch ist. Aber da muss man sich überlegen: Wollen wir das auch in Zukunft so haben? Oder sollten das überarbeitet werden?

WANN & WO: Junglehrer klagen oft, dass sie praktisch von 0 auf 100 ins Berufsleben starten mussten.

Gernot Brauchle: An der Hochschule lernen die Lehrkräfte die Regeln, in der Praxis die Ausnahmen. Wir versuchen, so gut wie möglich auf den Schulalltag vorzubereiten. Eine Praxis etwa, die wir aber nur begrenzt simulieren können, ist die Elternarbeit. Das kann unglaublich schwierig sein, etwa wenn Eltern immer wieder Noten beeinspruchen oder mit Klagen drohen, wenn es darum geht, ein Kind ins Gymnasium zu bringen Dass Berufsanfänger im ersten Jahr strudeln, ist leider normal.

WANN & WO: Man hört immer öfter von Schwierigkeiten in den Klassenräumen – Stichwort Respektlosigkeit und Sprachbarrieren.

Gernot Brauchle: Auf Grund der Nazi-Kriegsgräuel, die in den Nürnberger Prozessen auch mit autoritärem Gehorsam gerechtfertigt wurden, haben die letzten Generationen ihre Haltung zu autoritärer Erziehung verändert. Wir selbst sind mit weniger Autorität als unsere Großeltern erzogen worden und erziehen auch unsere Kinder wiederum mit weniger Autorität. Das hat auch Auswirkungen an den Schulen. Ich möchte aber klar betonen, dass dies nichts mit Migration zu tun hat. Die größte Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund hier sind Deutsche. Da gibt es keine Sprachbarriere und kaum kulturelle Unterschiede. Die größte Gruppe, welche die Mindeststandards in den Leistungstests nicht erreicht, ist nicht die der Migranten. Wir haben wieder mehr Schüler, die hoch unterschiedlich in ihrem Vorwissen, ihrer Leistungsfähigkeit und Disziplin sind. Wir haben Kinder, die in der ersten Klasse lesen können und Kinder, die noch keine Buchstaben kennen. Deshalb macht es durchaus Sinn jahrgangsübergreifenden Unterricht anzubieten.

Wordrap

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Schultag?

"Natürlich! Ich hatte einen schönen ersten Schultag. Ich weiß noch, dass ich ganz hinten gesessen habe, am Heizkörper. Das war dann im Winter sehr angenehm (lacht)."

Was war ihr Lieblingsfach?

"Ich war an naturwissenschaftlichen Fächern immer höchstinteressiert: Physik, Chemie, Biologie. Ich hatte auch lange überlegt, in einem dieser Fächer ein Lehramt zu studieren. Letztlich wurde es dann aber doch die Psychologie."

Sicher gab es auch für einen Direktor einer Pädagogischen Hochschule Fächer, die er gar nicht mochte?

"Ich komme ja aus der Psychologie an einer Universität und hatte nicht immer schon vor, an eine Pädagogische Hochschule zu gehen. Ich schäme mich aber auch nicht, zuzugeben, dass ich große Schwierigkeiten in der Schule hatte, vor allem mit den Sprachen. Ich bin deshalb zweimal sitzengeblieben und habe sogar die Schule abgebrochen. Als ich dann in der Forschung an der Universität tätig war, musste ich Englisch hart nachlernen, da es ja die Wissenschaftssprache ist. Irgendwie dachte ich an der Schule, dass ich das nie brauche."

Warum ist der Lehrerberuf der Schönste?

"Es ist ein Arbeiten mit Menschen. Gerade die Arbeit in Volksschulen ist unglaublich emotional. Man muss sich nur anschauen, wie eine Volksschullehrerin geliebt wird. Aber auch die Arbeit mit Jugendlichen ist cool, denn ihnen kann man noch viel fürs Leben mitgeben. Genau das macht die Schönheit dieses Berufs aus. Wer gern mit Menschen und selbstbestimmt arbeiten will, für den ist das ein sehr guter Beruf."

Zur Person

Name: Dr. Gernot Brauchle (54), geb. am 21. September 1964 in Dornbirn Familie: verheiratet, zwei Kinder
Werdegang: Doktor der Psychologie an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, anschließend verschiedene Forschungs- und Lehrtätigkeiten in dem Bereich, seit 2014 Rektor der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg

(Text: Anja Förtsch/Wann&Wo)

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