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VN-Kritik: Ins Innerste vorgedrungen

Bregenz - Wie sich dieser Glücksfall auf banaler Ebene konkret auswirkt, also auf die reine Anziehungskraft der Bregenzer Festspiele, wird sich nach der Premiere, in den nächsten Wochen und vor allem bei der Wiederaufnahme im nächsten Jahr weisen.  

Kurz gesagt, „Tosca“ dürfte sich mehr als nur rechnen.

Wesentlicher ist die künstlerische Umsetzung. Und da hat das Team Philipp Himmelmann (Regie), Johannes Leiacker (Bühnenbild) und Ulf Schirmer (Dirigent) Bedenken, dass die intime Handlung auf einer derart großen Bühne nur schwer erfahrbar zu machen sei, zerstreut. Die Bühnenskulptur, die sich Leiacker als Podium ausdachte, ist in mehrfacher Hinsicht tauglich.

Ein etwa 50 Meter breites und 20 Meter hohes Auge mit herausklappbarer Iris und Pupille bietet verschieden große Spielebenen. Als Bild selbst ist es reales Teil des Kirchengemäldes, an dem Mario Cavaradossi arbeitet, und Symbol für jenen Überwachungsstaat den Baron Scarpia verkörpert. Über filmische Effekte wird zudem verdeutlicht, dass es auch Ausdruck für Empfindungen ist. Jener tiefe Schmerz, der dem Liebespaar Cavaradossi und Tosca hier von Seiten der politischen Machthaber zugefügt wird, wurde bislang wohl kaum in diesem Ausmaß versinnbildlicht.

Scarpia in einer ruhigen, kleinen Szene – musikalisch und darstellerisch jegliche Seelenpein zu spüren bekommen, die dieser junge Mensch mitmacht, wird Cavaradossi nach der Hinrichtung aus beinahe 20 Meter Höhe in den See gekippt.

Den finalen Sturz Toscas von der Engelsburg gewährt uns die Regie nicht. Wozu auch. Ein derart erschütterndes Schicksal darf nicht dem Spektakel geopfert werden. Tosca verschwindet bildhaft im Dunkel des Auges.

(Und lediglich die Einblendung einzelner Sänger über diese Projektionswand ist mitunter etwas störend.)

Apropos Engelsburg. Auch wenn Ort und Zeit in Puccinis im Jahr 1900 uraufgeführter Oper mit einem Tag und einer Nacht im Juni 1800 in Rom exakt festgelegt sind, verzichtet Himmelmann auf den Verweis auf kriegerische Konflikte in der napoleonischen Ära. Die Einzelperson, deren Leben durch jedwedes Machtsystem in Gefahr gebracht werden kann, steht leicht begreifbar im Mittelpunkt.

Toller Klang

Diesen Figuren verleihen die Protagonisten der Premiere gutes Profil. Nadja Michael tritt stimmlich frisch und ungestüm in die Szene und zeichnet der Handlung entsprechend einen Reifeprozess nach. Zoran Todorovich zeigt farblich und in der Höhe das, was man an einem Cavaradossi eben schätzt, und Bösewicht Scarpia (Gidon Saks) versteht auch exzellent zu schmeicheln. So soll es sein und so schön fügen sich auch die Stimmen von Martin Winkler (Mesner) oder Sebastian Soules (Angelotti) sowie die Chöre ins Ensemble.

Dirigent Ulf Schirmer war an der Weiterentwicklung jenes einzigartigen Akustik-Systems beteiligt, das die Wiener Symphoniker hervorragend erklingen lässt, ohne das Publikum im Schallraum einzulullen. Auf sein Konto gehen auch die besonderen Glockeneffekte und ein ganz kleines bisschen mehr Musik am Schluss. Aber an Puccini kann man sich ohnehin kaum satt hören. Das meinte wohl auch das heftig applaudierende Publikum, das am gestrigen Premierenabend nicht von Regentropfen, sondern einmal lediglich von einem kleinen Requisit getroffen wurde.

Die Oper „Tosca“ wird auf der Bregenzer Seebühne heuer bis 19. August noch 25-mal gespielt. Beginn im Juli: 21.15 Uhr, Beginn im August: 21 Uhr. Dauer: ca. zwei Stunden, keine Pause.

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