Erdogan fährt gerade durch seine schlechte Wirtschaftspolitik sein eigenes Land an die Wand. Für viele ist klar, warum die Türkei schlussendlich in eine handfeste Finanzkrise geschlittert ist. Doch, wie “derstandard.at” berichtet, ist die Wahrheit sehr viel komplexer.
1. Kreditboom und spekulative Geldflüsse
Die Türkei hat in der jüngsten Vergangenheit einen Bauboom durchlebt. Wohnhäuser, Einkaufszentren und Bürogebäude schossen wie Pilze aus dem Boden. Dafür mussten Unternehmen und Privathaushalte Kredite aufnehmen. Infolgedessen stieg die Verschuldung des Privatsektors in einem Umfang, der 40 Prozent der Wirtschaftsleistung der Türkei ausmacht. Die Türkei hat diese Entwicklung mit Kreditgarantien vorangetrieben. Der Anstieg bei den Krediten war hauptsächlich durch das billige Geld möglich. Gerade Investoren genossen aufgrund der lockeren Geldpolitik vieler Notenbanken den Zugang zu Euro und Dollar. Durch die niedrigen Zinsen in den USA und in der EU konnte man Geld nicht wirklich anlegen. Die Türkei mit höheren Zinsen war eine gern angenommene Alternative. Deshalb waren türkische Anleihen, Aktien und Wertpapiere bei Anlegern in dieser Zeit sehr beliebt.
2. Eklatante Lücke in der Leistungsbilanz
Diese Mittel bezeichnen Ökonomen als “spekulative Einflüsse”, da Anleger ihr Geld nicht in den Aufbau der Wirtschaft investieren, sondern nur zu kurzfristigen Renditen greifen. 2017 beliefen sich langfristige Investments nur auf ein Prozent der Wirtschaftsleistung. Und weil die türkische Industrie weiter unterentwickelt ist und nur wenige Waren exportiert, müssen Türken den Großteil ihrer Konsumgüter aus dem Ausland beziehen. Um das zu finanzieren, muss ausländisches Kapital her, die Wirtschaft der Türkei ist also extrem von Geldflüssen von außen abhängig. Das Leistungsbilanzdefizit, also die Lücke in der Bilanz eines Staates, die mit ausländischem Geld aufgefüllt werden muss, belief sich 2017 auf insgesamt 5,5 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Der höchste Wert unter den Schwellenländern laut IWF.
3. Raues Umfeld
Es ist also nur logisch, dass ein plötzlicher Abriss ausländischer Geldströme eine Wirtschaftskrise in einem Land auslösen kann, das ein hohes Leistungsbilanzdefizit hat. Und genau das hat die Türkei in den vergangenen Monaten erlebt: Investoren zogen nach und nach ihre Gelder ab. Die Ursachen dafür: Der Anstieg der Erdölpreise, der bedeutet, dass die Türkei mehr Devisen braucht, um Rohstoffe zu erstehen. Auch die Zinserhöhungen der US-Notenbank belasten. Viele Unternehmen und der Staat sind hoch in Dollar verschuldet. Erschwerend hinzu kam schließlich noch der Streit mit den Vereinigten Staaten rund um einen in der Türkei festgenommenen Pastor. Als Konsequenz dieses Streits hat US-Präsident Donald Trump die Türkei mit Strafzöllen belegt. Investoren befürchten nun, dass der Streit sich noch verschlimmert und die türkische Wirtschaft noch mehr darunter leidet. Deshalb verliert die Türkei gerade das Vertrauen der Investoren.
4. Zu spät reagiert
Laut der Ratingagentur Scope hat die Notenbank in der türkischen Hauptstadt Ankara zu spät reagiert. Zerfällt die Währung, ist die Anhebung der Leitzinsen eine mögliche Maßnahme. Die Notenbank hat zwar Maßnahmen eingeleitet, viele halten diese aber für zu zögerlich und vor allem zu spät. Erdogan wollte höhere Zinsen verhindern, weil sie das Wachstum behindern. Nun beginnen Investoren zu spekulieren: Anleger tauschen Lira in Dollar und hoffen darauf, dass sie nach dem Lira-Verfall türkische Wertpapiere billig zurückkaufen können. Das begünstigt den Lira-Verfall noch zusätzlich.
Analyse
Die türkische Lira sackt immer weiter ab. Welche Folgen hat das – für das Land selbst und für die Weltwirtschaft? Christoph Varga analysiert.
(Red.)
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