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VfGH kippt Verbot von Beihilfe zum Selbstmord

Der Verfassungsgerichtshof hält das Verbot für verfassungswidrig.
Der Verfassungsgerichtshof hält das Verbot für verfassungswidrig. ©APA/HERBERT NEUBAUER
Der Verfassungshof kippt - mit Wirksamkeit 1. Jänner 2022 - die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord. Der Verstoß sei gegen das Recht auf Selbstbestimmung, worin auch das Recht auf menschenwürdiges Sterben inkludiert ist.

Der Straftatbestand der "Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, befand der VfGH. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar.

Die Aufhebung der Beihilfe zum Selbstmord mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft. Bis dahin hat der Gesetzgeber Zeit, Maßnahmen gegen Missbrauch zu treffen.

Verfassungswidrig jede Art der Hilfe zu verbieten

Die Wortfolge "oder ihm dazu Hilfe leistet" in Paragraf 78 des Strafgesetzbuches ist verfassungswidrig. Sie verstößt gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil dieser Tatbestand jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet.

Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, befand der VfGH. Er leitete seine Entscheidung aus dem Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung ab.

"Dieses Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst das Recht auf die Gestaltung des Lebens ebenso wie das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Sterbewilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen. Das Verbot der Selbsttötung mithilfe eines Dritten kann einen besonders intensiven Eingriff in das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung darstellen. Beruht die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so ist dies vom Gesetzgeber zu respektieren", befand der VfGH.

VfGH legt Gesetzgeber Maßnahmen gegen Missbrauch nahe

Es macht laut VfGH keinen Unterschied, ob der Patient im Rahmen der Behandlungshoheit oder der Patientenverfügung in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizident mit Hilfe eines Dritten in Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes sein Leben beenden will. Entscheidend sei vielmehr in jedem Fall, dass die jeweilige Entscheidung auf der Grundlage einer freien Selbstbestimmung getroffen wird.

Nach Auffassung der Verfassungsrichter steht es zu dem sowohl in der verfassungsrechtlich begründeten Behandlungshoheit als auch in Paragraf 49a Abs. 2 Ärztegesetz 1998 zum Ausdruck kommenden Stellenwert der freien Selbstbestimmung im Widerspruch, dass Par. 78 zweiter Tatbestand StGB jegliche Hilfe bei der Selbsttötung verbietet.

Wenn einerseits der Patient darüber entscheiden kann, ob sein Leben durch eine medizinische Behandlung gerettet oder verlängert wird, und andererseits durch Par. 49a Ärztegesetz sogar das vorzeitige Ableben eines Patienten im Rahmen einer medizinischen Behandlung in Kauf genommen wird, sei es nicht gerechtfertigt, dem Sterbewilligen die Hilfe durch einen Dritten bei einer Selbsttötung zu verbieten und derart das Recht auf Selbstbestimmung ausnahmslos zu verneinen.

Einfluss Dritter soll vermieden werden

Der Verfassungsgerichtshof übersehe nicht, dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird. Dementsprechend habe der Gesetzgeber zur Verhinderung von Missbrauch Maßnahmen vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst.

Jemand anderen zur Selbsttötung zu verleiten, bleibt strafbar (erster Tatbestand des Par. 78 StGB). Die Entscheidung, sich unter Mitwirkung eines Dritten zu töten, ist nur dann grundrechtlich geschützt, wenn sie, wie bereits ausgeführt, frei und unbeeinflusst getroffen wird. Diese Bedingung ist von vorneherein nicht erfüllt (Tatbestand des "Verleitens").

Die Anfechtung von Par. 77 StGB (Tötung auf Verlangen) ist nicht zulässig, befand der VfGH. Im Falle einer Aufhebung wäre die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen als Mord oder Totschlag zu ahnden. Mit der Aufhebung wären daher die Bedenken der Antragsteller gegen Par. 77 nicht ausgeräumt, insofern war der Anfechtungsumfang zu eng.

Euthanasie weiter verboten

Nicht aufgehoben wird das Verbot der aktiven Sterbehilfe, also das Verbot der "Tötung auf Verlangen". Dies zwar auch aus formalen Gründen: Hätten die Verfassungsrichter diese Bestimmung (Par. 77 Strafgesetzbuch) gekippt, dann müsste Sterbehilfe als Mord verfolgt werden. Dies hätte eine deutlich höhere Strafdrohung als bisher (sechs Monate bis fünf Jahre) zur Folge. Allerdings betonte Grabenwarter auch, dass die Gründe für die Aufhebung des Verbots der Mitwirkung am Selbstmord nicht ohne Weiteres auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verbots der "Tötung auf Verlangen" übertragbar seien.

(APA/red)

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