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US-Firma verkauft Alibis

Kevin T. in Washington gibt es unumwunden zu: Er kann seine Schwiegermutter nicht ausstehen. Jedes Jahr kommt sie mindestens zwei Mal zu Besuch, und das ist für Kevin zwei Mal zu viel.

ber nun ist Rettung in Sicht. Just dann, wenn die Ungeliebte im Februar wieder im Anmarsch ist – sie hat den Flug schon vor langer Zeit fest gebucht -, wird sich Kevin zu einem Fortbildungsseminar in Chicago aufhalten. Die Einladung dazu samt Programm ist ihm kürzlich ins Haus geflattert.

Ein gnädiger Zufall? Mitnichten. Es gibt kein solches Seminar, und Kevin fliegt auch nicht nach Chicago. Er reist stattdessen nach San Francisco – da wollte er immer schon hin. Nun schlägt er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, und zu verdanken hat er seine goldene Freiheit einer Firma im US-Bundesstaat Illinois. Sie verkauft Alibis für alle möglichen Situationen – vom Seitensprung bis hin zur Flucht vor ungeliebten Verwandten. Zwischen 75 und 1.500 Dollar (zwischen 58,1 Euro und 1.162 Euro) kostet der Spaß, je nachdem, wie umfassend der Service ist. Kevin wurde über 500 Dollar (387 Euro) los, aber das ist ihm die Schwiegermutter freie Zeit wert.

„Alibi Network“ heißt das Unternehmen, das versucht, Lügen so wahr klingen zu lassen wie nur möglich. „Wenn ich schon einen Lügner bezahle, dann will ich den besten haben“, sagt Michael DeMarco, stellvertretender Verkaufschef. Über Einzelheiten des Geschäfts schweigt er sich aus, nur so viel sagt er: Es blüht. Und er verrät auch, dass etwa die Hälfte der Kunden ein „Cover Up“ für außereheliche Beziehungen wollen – Frauen und Männer gleichermaßen.

Auch leidenschaftliche Spieler suchen bei der Firma häufig Hilfe: Nicht von ungefähr zieht es nach Schätzungen DeMarcos mindestens 20 Prozent der Alibi-Käufer in der gewonnenen Freizeit nach Las Vegas. Und dann sind da die Kater-Kunden: Menschen, die am Wochenende zu tief ins Glas geschaut haben und eine Erklärung für das Fernbleiben von der Arbeit benötigen. „Das haben wir besonders oft nach Tagen mit großen Sportveranstaltungen, die im Fernsehen gezeigt werden“, schildert DeMarco. Fälle wie Kevins kommen dagegen besonders oft um „Feiertage herum“ vor.

Häufig geht es auch darum, sich vor einem Rendezvous zu drücken oder vor einer Party. „Da reicht meistens schon ein einfacher Anruf, etwa (angeblich) vom Arbeitgeber oder einem kranken Verwandten“, erzählt DeMarco. Wer wegen eines Brummschädels nach Alkohol blau machen will, lässt bevorzugt einen angeblichen Arzt mit dem Vorgesetzten telefonieren. So verspricht das Unternehmen auch auf seiner Webseite: „Wir rufen an jedem gewünschten Ort an, zu jeder gewünschten Zeit, bei jeder gewünschten Person.“

Dabei geht es DeMarco zufolge manchmal auch nur um ganz Harmloses. So wollten etwa männliche Kunden nur mal ein paar Tage mit einem Freund surfen gehen, aber könnten es nicht, weil die Partnerin misstrauisch sei. Andere benötigten „einfach ein paar Tage für sich“, und auch hier hilft das „Network“ gern aus, wie DeMarco erzählt.

Network – Netzwerk – ist eine treffende Bezeichnung, denn oft ist es ein ganzes Gespinst von Lügen, das da gewoben wird. Im Fall Kevin etwa lieferte das Unternehmen unter anderem neben der Einladung zum Seminar eine getürkte Bestätigung für eine Flugbuchung nach Chicago und für eine Hotelreservierung. Ist Kevin dann erst einmal in Seattle, sorgt das Unternehmen dafür, dass seine Frau ihn anrufen kann, ohne misstrauisch zu werden. So wird ihr zum Beispiel eine Nummer vorliegen, unter der sich eine angebliche Hotelrezeption meldet, die nur zu gern den Anruf auf Kevins Zimmer durchstellt – sprich, an sein Handy weiterleitet oder an eine andere vorher festgelegte Kontaktnummer in Seattle.

350 Dollar blätterte Mary aus Chicago hin, um ihrem Mann zu verheimlichen, dass sie eine Affäre hat. Im vergangenen Sommer war sie angeblich auf einer Sightseeing-Tour in Los Angeles, aber in Wahrheit traf sie ihren Freund in Las Vegas. Bis heute hat ihr Mann dank des „Networks“ keinen blassen Schimmer, wie sie in der „Las Vegas Sun“ schilderte.

Hilfe beim Lügen und Betrügen – Gewissensbisse hat DeMarco deshalb nicht. Vielen Menschen tue es gut, eine „Pause“ in ihrer Beziehung oder in anderen Lebenssituationen einzulegen, meint er. Das „Alibi Network“ helfe ihnen, dabei die Gefühle anderer Menschen nicht zu verletzen. Das Unternehmen selbst habe schließlich das Lügen nicht erfunden, „und auch den Ehebruch nicht“.

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