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Ulrich Seidl im Interview: "Tourismus zeigt Zustand der Welt und des Menschen sehr gut"

Filmemacher Ulrich Seidl im Interview zu seinem neuen Film "Safari"
Filmemacher Ulrich Seidl im Interview zu seinem neuen Film "Safari" ©APA
Jagdurlaub einer Familie in Namibia: Regisseur Ulrich Seidl setzt sich in seinem neuen Film "Safari" mit der Frage auseinandern, warum der Mensch tötet.
Seidls Film in Venedig
Trailer zu "Safari"

Im Interview spricht der Filmemacher über sein Verhältnis zur Jagd, wie er an das Projekt heranging und welchen Stellenwert der Humor in seinen Filmen einnimmt.

APA: Sehen Sie “Safari” thematisch als Fortsetzung von “Paradies: Liebe” in Bezug auf das Thema Urlaub?

Ulrich Seidl: Es ist schon so, dass der Komplex Urlaub und Tourismus für mich ein sehr wichtiger ist. Und ich denke, ich könnte noch viele Filme zu diesem Thema machen – es gibt auch schon Drehbücher dazu. Man kann anhand des Tourismus den Zustand der Welt und des Menschen sehr gut zeigen. Im konkreten Fall sind die Schauplätze der beiden Filme nicht sehr weit entfernt, auch wenn “Safari” ein anderes, ein sehr “weißes Afrika” zeigt. In beiden Filmen schwingt deshalb immer das Verhältnis der Schwarzen zu den Weißen, der Afrikaner zu den Europäern und damit eine gewisse Form des Kolonialismus unter den Vorzeichen des Geldes mit. Man könnte das Thema Jagd natürlich auch in Österreich verfilmen. Ich wollte aber, dass hier zwei Bereiche zusammentreffen: Urlaub und Jagd.

Wovon machen Sie abhängig, dass Sie ein Sujet als Spielfilm oder als Dokumentarfilm bearbeiten?

Da gibt es keine Gesetzmäßigkeit. Aber wenn ich ein Thema habe, weiß ich sofort, was ich damit machen möchte. Aus dem Thema Safari würde ich keinen Spielfilm machen. Sehr oft ergibt sich bei mir aber, wenn ich an einem Film arbeite, das Sujet für einen nächsten Film. “Paradies: Glaube” ist etwa als Idee entstanden bei der Arbeit zu “Jesus, du weißt”. Ich gehe immer aus von der Wirklichkeit. Dass man die Wirklichkeit dann auch gestaltet, ist etwas anderes. Aber die Beobachtung der Wirklichkeit ist mein Grundfutter.

Wie stark ist Ihr vorgegebener Rahmen, wenn Sie an ein Projekt herangehen?

Mich interessiert ein Thema nur dann, wenn ich selbst etwas darüber erfahren möchte und zugleich weiß, es ist etwas, das uns alle angeht. Sehr oft weiß man dann aber erst im Entstehungsprozess eines Filmes, wohin es geht. Und beim Dokumentarfilm ist man immer auch abhängig davon, welche Protagonisten man findet. Dass ich bei “Safari” auf die zentrale Familie gestoßen bin, war ein großes Plus. Sonst sähe der Film anders aus.

Ist es für Sie mittlerweile leichter oder schwerer, Ihre Protagonisten zu finden?

Also leichter ist es nicht geworden. An sich für “Safari” Protagonisten zu finden, war zunächst nicht schwer. Jäger gibt es in diesem Land jede Menge – das war für “Im Keller” wesentlich schwerer. Allerdings kommt bei “Safari” der Punkt dazu, dass während des Entstehungsprozess der Skandal um “Im Keller” aufgekommen ist. Ich hatte deshalb schon Mühe, dass mir einige Leute nicht abspringen.

Haben Sie das Ziel, all Ihren Protagonisten nach der Fertigstellung eines Films noch in die Augen schauen zu können?

Mich interessiert überhaupt nicht, mit Menschen einen Film zu machen, die nicht wollen. Ich möchte mit Menschen drehen, mit denen ich ein gerades Verhältnis habe. Ich möchte natürlich die Dinge erreichen, die ich erreichen möchte, aber ich überrumple meine Protagonisten nicht. All jene, mit denen ich gedreht habe, können sich meine Filme anschauen – damit habe ich überhaupt kein Problem. Ich bin mir als Regisseur auch der Verantwortung bewusst, ihnen gerecht zu werden. Aber natürlich können die Personen nicht darüber entscheiden, welche Bilder konkret in den Film kommen. Das ist kein demokratischer Vorgang.

Was war für Sie bei “Safari” die Erkenntnis, die Sie gewinnen wollten? Ging es primär um die Verknüpfung von Emotion und Jagd?

Es muss einen Grund geben, weshalb Leute jagen. Deshalb war es wichtig, dass meine Protagonisten eine Familie sind. Wenn man an Jäger denkt, hat man meist das Bild eines älteren Mannes vor sich. Da ist eine Familie mit zwei Generationen und zwei Frauen natürlich interessanter. Bei diesen Menschen gibt es den Jagdtrieb, es ist auch ein Sport – und es erzeugt die Aufregung, dass man letztlich doch ein Tier tötet. Es gibt eine innere Anspannung, die dann zur Erlösung kommt.

Im Gegensatz dazu bleiben die Schwarzen in Ihren Zwischenschnitten stumm...

Die Schwarzen spielen eine Rolle in den ganzen Abläufen, ich habe ihnen im Film aber die Position gegeben, die sie in der Wirklichkeit auch haben. Sie zerlegen die Tiere und helfen beim Aufspüren, worin sie meist viel besser sind als die Weißen. Sie kommen aber nicht zur Sprache. Sie sind Helfer, Angestellte, aber nicht diejenigen, die schießen.

Auch bei “Safari” hat der Humor wieder einen Platz in Ihrem Film. Ist das etwas, das Sie fix einplanen?

Das ist auch etwas, das sich aus der Situation heraus ergibt. Das sind keine geschriebenen Pointen, sondern sie entstehen aus der Skurrilität der Realität – wenn etwa ein Protagonist in seinem Unterstand einschläft und beginnt zu schnarchen. Meine Filme sind nicht leicht zu konsumieren, weshalb Humor wichtig ist. Der gehört zum Leben. Bei den Zuschauern meiner Filme lacht der eine, während sich sein Nebensitzer darüber ärgert. Lachen hat immer auch damit zu tun, ob ich mich selbst in einem Sujet sehe. Das finde ich spannend.

Hat sich Ihre Einstellung zum Thema Jagd durch den Dreh verändert?

Ich hatte keine Einstellung, insofern kann sie sich nicht verändert haben. (lacht) Dass ich kein Befürworter davon bin, dass man Tiere schießt, war von vornherein klar – und das hat sich auch erhalten.

War es schwierig, Ihr Vorhaben angesichts des Sujets den Geldgebern zu vermitteln?

Es war etwa bei Arte als Co-Financier des Films nicht leicht, das Thema durchzubringen – und zwar genau mit der Begründung, dass das Dinge sind, die man dem Zuschauer nicht zeigen kann. Der Sender Arte, die den Anspruch erheben, sich von der Massentauglichkeit abzuheben! Dabei geht es genau darum, es zu zeigen, um meinungsbildend zu wirken. In Amerika ist das noch viel schlimmer. Ich habe dort bis dato keinen Verleih für den Film. Das ist absolut tabu. Viele Leute werden den Film furchtbar finden, andere weniger. Aber wenn man gegen die Jagd ist, muss man im selben Atemzug auch gegen die Massentierhaltung sein. Das ist die Heuchelei unserer Gesellschaft.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA/Red.)

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