BILD: Logo Vorarlberg Chronik
Zur Trefferliste

|Artikel|

Die Römer im Gebiet des späteren Vorarlberg

Das Gebiet des heutigen Vorarlberg hat sich erst relativ spät, wohl nicht vor dem 19. Jahrhundert, als geschlossene und eigenständige historische Größe mit entsprechendem Landesbewusstsein herauskristallisiert. Da gerade für die Zeit der Vorgeschichte und der römischen Herrschaft im Lande von einer wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Einheit, die sich auch nur annähernd mit den Grenzen des heutigen Vorarlberg decken würde, keine Rede sein kann, ist eine "Geschichte der Römer in Vorarlberg" eigentlich ein Anachronismus.
 
Will man deshalb ein einigermaßen akkurates Bild der antiken Verhältnisse auf dem Boden des späteren Vorarlberg nachzeichnen, so müssen jene größeren räumlichen Einheiten berücksichtigt werden, denen in diesen Zeiten eine historische Bedeutung zukam. Dies ist für die ausgehende Vorgeschichte der Alpenraum an sich, für die römische Herrschaft die nachmalige Provinz Rätien.
 
Die Voraussetzungen – ethnische Verhältnisse im Gebiet des späteren Vorarlberg am Vorabend der römischen Okkupation
 
Um ein Volk ethnisch näher bestimmen zu können, bedarf es sprachlicher Zeugnisse, die, mit anderen bekannten Sprachen in Beziehung gesetzt, bei der genaueren Einordnung einer Volks- bzw. Sprachgruppe herangezogen werden müssen. Derartige Denkmäler sind aus dem Alpenraum nur in äußerst rudimentärer Form erhalten. Immerhin lässt sich erkennen, dass einzelne Regionen, angeregt durch wirtschaftliche Beziehungen mit den bis in die Poebene vorgedrungenen Etruskern, die Möglichkeit aufgriffen, ihre Sprache in schriftlicher Form festzuhalten. Dazu bedienten sie sich eines vom Etruskischen abgeleiteten und für ihre Sprachen adaptierten Alphabets. So sind uns für das 1. Jahrhundert v. Chr. vier verschiedene Alphabete bezeugt, die den kultur- und geistesgeschichtlich überaus bedeutenden Prozess der Übernahme der Schrift dokumentieren und damit eigentlich von der Vor- zur Frühgeschichte überleiten. Allerdings ist das Verständnis der oft nur sehr kurzen Texte mit sehr großen Problemen verbunden. Allzu oft bleiben die Inhalte dunkel, sodass eine genauere Einordnung der in diesen Alphabeten verfassten Sprachen mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Auch ist uns aus dem Gebiet des späteren Vorarlberg selbst keine einzige der oben erwähnten Inschriften bezeugt. Ist somit eine genauere Einordnung dieser Sprachen nicht möglich, so können doch grundsätzliche Strukturen des Alpenraumes erkannt werden:
 
• Offensichtlich saß im Gebiet der Alpen nicht ein Volk mit einer Sprache, sondern es ist vielmehr von einer Vielzahl von kleinräumigen Ethnien mit unterschiedlichsten Sprachen auszugehen.
 
• Diese Alpenvölker bildeten unterschiedliche Kulturkreise aus, die uns durch ihre materielle Hinterlassenschaft fassbar werden.
 
• Spätestens seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. drangen zusätzlich keltische Volksgruppen in die Alpentäler vor, wo sie, obwohl zahlenmäßig in der Minderheit, oft die politisch, wirtschaftlich und kulturell bestimmenden Kräfte stellten, sodass die ethnische Vielfalt um einen zusätzlichen Aspekt erweitert wurde.
 
Die in den diversen Inschriften greifbaren Alpenbewohner haben uns keine Eigenbezeichnungen ihrer ethnischen Identität hinterlassen. Hingegen ist uns aus dem Bereich der benachbarten mediterranen Hochkulturen Griechenlands und Italiens eine Fremdbezeichnung erhalten, die den Eindruck eines ethnisch geschlossenen alpinen Gebietes erweckt. So sprechen die lateinischen und griechischen Quellen unisono von Rätern, wann immer sie auf die Bewohner des Alpenraumes zu sprechen kommen (mit Ausnahme des Gebietes Kärntens und der Steiermark, wo von "keltischen Norikern" die Rede ist). Diese Klassifizierung beruht aber offensichtlich auf äußerst mangelhaften Kenntnissen der komplexen Verhältnisse. Eine plausible Erklärung für die Entstehung der pauschalen Bezeichnung "Räter" geht davon aus, dass Griechen und Römer im Bereich der nördlichen Poebene tatsächlich mit einem Volkssplitter, der sich selbst "Räter" nannte, in Berührung kamen. Diese Bezeichnung wurde dann allerdings willkürlich auch auf all jene Völkerschaften ausgedehnt, die in den nördlich anschließenden Alpentälern siedelten.
 
Neben der Sammelbezeichnung "Räter" werden in der antiken Überlieferung aber auch die Namen einzelner Völkerschaften genannt, die als im engeren Bereich der Alpen beheimatet galten. Allerdings stellen sich der modernen Forschung auf Grund unexakter und widersprüchlicher Angaben innerhalb der antiken Quellen große Probleme bei der genaueren Lokalisierung. Einigermaßen gesichert ist für den nördlichen Bereich des späteren Vorarlberg und die angrenzenden Gegenden des Allgäu die Anwesenheit eines keltischen Volksstammes, der als Vindeliker bezeichnet wird. Ihr Hauptort war Brigantium/ Bregenz, das einen Siedlungstyp repräsentierte,  der von den Römern seit Cäsar als "oppidum" bezeichnet wurde. Die Identifikation der südlich angrenzenden Völkerschaften gibt bereits größere Probleme auf. In diesem Zusammenhang werden vor allem zwei Völkerschaften genannt, die für eine Besiedlung des südlichen Vorarlberg in Frage kommen: die Vennonen und die Caluconen. Welcher von beiden dabei der Zuspruch zu erteilen ist und wo die exakten Grenzen verliefen, lässt sich allerdings nicht definitiv entscheiden.
 
Neben der erwähnten Bedeutung von Bregenz in dieser Zeit dürfte auch eine Siedlung im Bereich des späteren Bludenz eine überregionale Rolle gespielt haben, begründet vornehmlich auf dem Abbau, der Verhüttung und Verarbeitung von Metallen in nicht näher bekannten Örtlichkeiten des Montafon, des Brandner- und vielleicht auch des Klostertals.
 
Die Handelsbeziehungen mit Italien in dieser Zeit dürfen nicht unterschätzt werden. Neben kulturellen Einflüssen mannigfacher Art, wozu etwa die schon angesprochene Übernahme der Schrift gehört, ist auch das Aufgreifen des gemünzten Geldes als Zahlungsmittel zu nennen. Neben eigenständigen Prägungen, wozu in Vorarlberg allerdings Beispiele fehlen, wurden vielfach die in Italien geprägten Münzen einfach übernommen. Ein herausragendes Beispiel für diesen Vorgang ist ein bei Lauterach entdeckter Schatzfund (Münzen und Schmuck), der von einem Einheimischen oder von einem römischen Kaufmann um etwa 100 v. Chr. entweder versteckt oder gar als Weihegabe für eine nicht näher bezeichnete Gottheit deponiert wurde.
 
Die römische Eroberung
 
Auch über den genaueren Ablauf der römischen Eroberung sind wir nur sehr unzureichend unterrichtet. Unsere Kenntnisse stützen sich neben kürzeren Anmerkungen bei verschiedenen lateinischen und griechischen Autoren, die vom Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis an den Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr. reichen, auch auf ein von Kaiser Augustus bei La Turbie in Südfrankreich errichtetes Siegesmonument mit Inschrift. Deren Text hat uns der beim Ausbruch des Vesuv 79 n. Chr. ums Leben gekommene römische Universalgelehrte Plinius d. Ä. in seiner "Naturgeschichte" vollständig erhalten. Dort werden allerdings nur jene Alpenvölker namentlich genannt, die sich der römischen Okkupation gewaltsam widersetzten und militärisch unterworfen wurden. Über den genaueren Hergang des Feldzuges gibt die Inschrift jedoch keine Auskunft.
 
Zwar sind wir über die Motive des Alpenfeldzuges nicht genau informiert, doch scheint erkennbar, dass die militärischen Operationen in mehrjährigen Unternehmungen erfolgten und mit Feldzügen in Illyrien 35–33 v. Chr. einsetzten. Im Jahre 15. v. Chr. wurde schließlich das Gros des eigentlichen Alpengebietes unterjocht, wobei als militärischer Kommandeur neben den beiden Stiefsöhnen des Augustus, Tiberius und Drusus, mit L. Calpurnius Piso ein erfahrener Militär eine bedeutende Rolle gespielt haben dürfte. Der genaue Verlauf des Feldzuges bleibt im Dunkeln. Vorarlberg scheint jedenfalls nicht auf der Route eines der großen Heerkeile gelegen zu haben. Der Widerstand der Alpenbewohner war teilweise erbittert, wurde allerdings mit äußerster Härte innerhalb kürzester Zeit gebrochen. Ein schwer zu deutendes Zeugnis verzweifelter einheimischer Gegenwehr hat uns der römische Historiker Florus (2. Jahrhundert n. Chr.) überliefert. Er berichtet, dass die an Verteidigungsaktionen beteiligten Frauen in aussichtsloser Lage selbst davor nicht zurückschreckten, ihre eigenen Kinder den Römern als "Wurfgeschosse" entgegenzuschleudern. Dabei dürfte es sich um religiös motivierte Verzweiflungstaten gehandelt haben, bei denen einzelne Alpenbewohner einen kollektiven Selbstmord einer Unterjochung und möglichen Versklavung vorzogen. Auf diese Weise hatten sie die einzige Hoffnung, ihre familiären und sozialen Beziehungen wenn schon nicht im Diesseits, so doch zumindest im Jenseits zu bewahren.
 
Doch selbst derartige Aktionen konnten nichts am militärischen Ausgang ändern. Zwar erwähnen kaiserzeitliche Quellen in diesem Zusammenhang eine große Schlacht, jedoch dürfte sich in dieser Nachricht mehr römische Propaganda als historische Realität widerspiegeln, ist es doch mehr als nur fraglich, ob die disparaten Alpenbewohner zu einem einheitlich organisierten Widerstand überhaupt in der Lage waren. Demgegenüber ist allerdings gesichert, dass Tiberius auf dem Bodensee ein kleineres Seegefecht mit Einheimischen schlug, dem jedoch kaum eine größere überregionale Bedeutung zukam. Jedenfalls hatten römische Truppen innerhalb eines Jahres den gesamten Alpengürtel unterworfen, wodurch mit der Angliederung an das Imperium Romanum eine neue Epoche ihren Ausgangspunkt nahm.
 
Die politisch-militärischen Ereignisse bis zum Zusammenbruch des Imperium Romanum und der Provinz Rätien
 
Nachdem sich die Römer Rätiens bemächtigt hatten, setzte eine längere Zeit relativen Friedens ein, die lediglich von den Wirren nach dem Tod Neros 68–70 n. Chr. unterbrochen wurde. Damals unterstützten die maßgeblichen Stellen Rätiens und Noricums unterschiedliche Prätendenten für den Kaiserthron, sodass die Provinzgrenze am Inn unter erhöhte militärische Bereitschaft gesetzt wurde. Rätien zog dabei den Kürzeren, hatte es doch mit Vitellius auf den falschen Kaiser gesetzt. Die Kämpfe, die in diesen Jahren in Rätien stattfanden, lassen sich auch archäologisch durch eine Reihe von Brand- und Zerstörungsschichten greifen, die nicht nur militärische Anlagen, sondern auch zivile Siedlungen betrafen. So wurde neben Baden in der Schweiz (Aquae Helvetiae), Augsburg und Kempten auch Bregenz von Verwüstungen heimgesucht.
 
Bis zu den Markomannenkriegen in den 70er Jahren des 2. Jahrhunderts herrschten dann in Rätien ruhige und stabile Verhältnisse. Der Ansturm des in der Gegend des heutigen Tschechien ansässigen germanischen Volkes der Markomannen und seiner Verbündeten bedrohte nicht nur die Grenzregionen, sondern auch Italien selbst. Die militärische Lage war aufs Äußerste angespannt und es gelang nur unter größten Kraftanstrengungen, die gefährliche Situation zumeistern. Zwar sind auch in diesem Zusammenhang Zerstörungsschichten in einzelnen Kastellen Rätiens belegbar, doch scheint die Provinz nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein wie das benachbarte Noricum. Bedeutender sind jedenfalls die Folgewirkungen des Krieges, der zu nachhaltigen Veränderungen in der verwaltungstechnischen Organisation Rätiens führte. Von nun an wurde das Reich immer wieder durch anstürmende Germanen bedroht, wozu sich im 3. Jahrhundert noch innenpolitische Wirren gesellten. Diese turbulenten Ereignisse für Rätien einigermaßen genau nachzuzeichnen sind wir heute nur sehr eingeschränkt in der Lage. Sicher ist, dass die Provinz seit etwa 260 für einen nicht näher zu bestimmenden Zeitraum zum gallischen Sonderreich des Postumus (260–269) gehörte und sich damit von Italien abkoppelte. Im selben Jahr ist ferner ein Einfall der Juthungen und Semnonen nach Italien anzusetzen. Dabei wurden die nach Norden zurückkehrenden Germanen vom rätischen Statthalter unweit von Augsburg vernichtend geschlagen. Allerdings wissen wir nicht, auf welcher Route diese Germanen nach Italien eingefallen waren. Es ist jedenfalls äußerst ungewiss, ob sie in diesem Zusammenhang Rätien überhaupt tangierten. So lassen sich jedenfalls für die Jahre 260 und 270 im rätischen Hinterland keine münzdatierten Schatzfunde feststellen, die auf groß angelegte Verwüstungen der Provinz durch die Germanen hinweisen würden. Damit verknüpft ist auch die Frage des Zeitpunkts der Verlagerung des Siedlungsschwerpunkts in Bregenz vom Ölrain in die Oberstadt. Hier ist sicherlich von einem längeren, mehrere Jahre andauernden Prozess auszugehen, dessen Beginn mit aller Vorsicht ins letzte Drittel des 3. Jahrhunderts datiert werden kann. Diese Entwicklung steht sicherlich im Zusammenhang mit einer Zurücknahme der Grenze auf die besser zu verteidigende Donau-Iller-Rhein-Linie. Dadurch war Bregenz zu einer Grenzstadt an diesem Limes geworden, die es auch fortifikatorisch auszubauen galt. Schließlich ist es nach neueren Erkenntnissen problematisch, die Ereignisse dieser Jahrzehnte mit den Alamannen in Verbindung zu bringen. Zwar wird dieses in einem längeren, Ethnogenese genannten Prozess aus mehreren germanischen Splittergruppen in Südwestdeutschland neu entstandene "Mischvolk" in antiken Quellen erstmals für das Jahr 213 genannt, doch dürfte es sich dabei um Rückprojektionen bekannter Verhältnisse des 4. Jahrhunderts handeln. Gesichert ist die Existenz dieser Volksgruppe erst seit den Jahren 290/300, weshalb davor liegende Ereignisse jedenfalls nicht mit den Alamannen verknüpft werden sollten. Dies gilt nicht zuletzt auch für die spürbaren Veränderungen im Bereich des späteren Vorarlberg, die sich noch im 3. Jahrhundert vollzogen haben dürften. So wurde etwa die Villenanlage in Satteins in dieser Zeit aufgegeben. Gleichzeitig reaktivierte die einheimische Bevölkerung längst vergessene Fluchtburgen, die in Zeiten militärischer Bedrohung sicheren Schutz gewähren sollten. Dazu gehörten etwa die Anlagen auf dem Neuburghorst und dem Liebfrauenberg, im Bereich der Heidenburg bei Göfis, Stellfeder und Scheibenstuhl bei Nenzing oder auch am Montikel bei Bludenz. Es dauerte bis ins erste Drittel des 4. Jahrhunderts, bevor die militärische Lage wiederum für längere Zeit als einigermaßen stabil bezeichnet werden konnte und das Hinterland vor plündernden Einfällen sicher war. Sieht man von den veränderten Rahmenbedingungen ab, scheint gerade in der Zeit der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts für das Gebiet des späteren Vorarlberg eine Zeit letzter relativer Prosperität geherrscht zu haben. Zwar war Bregenz seit dem ausgehenden 3. Jahrhundert zu einer Grenzstadt geworden, die dicht hinter einer neu errichteten befestigten Grenzlinie entlang des Donau-Iller-Rhein-Limes lag, doch sicherten die Aushebung und Stationierung neuer Truppen eine Zeit der inneren Ruhe. Rätien und damit auch das Gebiet des späteren Vorarlberg waren zu einem "Vorposten" Italiens geworden, der erhöhte militärische Aufmerksamkeit und Zuwendung seitens der Zentralverwaltung verdiente. In diesem Rahmen wurden die infrastrukturellen Voraussetzungen zur Verbesserung der Nachschublinien sowie zur Gewährleistung eines gut funktionierenden und rasch arbeitenden Nachrichtennetzes geschaffen. Diese bestanden vor allem in einem verstärkten Ausbau des Straßennetzes, das mit regelmäßigen Stationen für die kaiserlichen Kuriere versehen wurde. Eine dieser Stationen war auch Clunia, das nach neuesten Erkenntnissen mit ziemlicher Sicherheit mit dem aus verschiedenen Gebäuden bestehenden Komplex Altenstadt-"Uf der Studa" zu identifizieren ist. Gleichzeitig wäre es verfehlt, von einer vollkommenen Räumung der Siedlungszonen in den Talschaften auszugehen. So waren etwa die beiden Anlagen von Brederis-Weitried und Altenstadt-"Uf der Studa" noch im 4. Jahrhundert in Betrieb. Mit dem erneuten Einbrechen germanischer Gruppen im Jahre 352 zeichneten sich dann allerdings längerfristig endgültige Veränderungen ab. In zwei Feldzügen konnte die Lage 355 und 358 nochmals stabilisiert werden. Dabei dürfte der römische Heermeister Arbetio über das Alpenrheintal bis an den Bodensee gelangt sein. Wohl im Zusammenhang mit den Unruhen dieser Zeit ist ein bei Fußach entdeckter Münzschatz zu sehen, der von der verzweifelten Bevölkerung vergraben wurde. Nach letzten Stabilisierungsmaßnahmen unter Valentinian I. (364–375), unter dem nach neueren Überlegungen auch ein Hafenkastell in Brigantium errichtet worden sein dürfte, wurden die Zeiten endgültig unsicherer, was durch die Zunahme germanischer Einfälle dokumentiert wird. Über das genaue Ende der römischen Herrschaft sind wir nur unzureichend unterrichtet. Doch scheint entgegen früherer Annahmen die Provinz bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts von Rom gehalten und eine Ansiedlung der germanischen Alamannen weitgehend verhindert worden zu sein.
 
Aspekte der Verwaltung unter römischer Oberhoheit
 
Solange die Römer ihre Kämpfe im nördlichen Germanien fortsetzten, lassen sich noch keine Ansätze für eine zivile verwaltungstechnische Strukturbildung erkennen. Die Truppenkonzentration im Raum der späteren Provinz Rätien blieb massiv, wobei das Legionslager Augsburg-Oberhausen eine wichtige Operationsbasis bildete. Erst mit dem Einstellen der Kämpfe gegen die Germanen im Jahre 16/17 n. Chr. änderte sich dies. Nun wurde das spätere Vorarlberg einschließlich größerer Gebiete des benachbarten Tirol, Bayerns, Baden-Württembergs und der Schweiz erstmals zu einer einheitlichen Verwaltungseinheit zusammengefasst, die allerdings immer noch deutliche militärische Züge trug. Diese Einheit wurde zunächst von einem ritterlichen Beamten namens Sextus Pedius Lusianus Hirrutus verwaltet, der sich offiziell als "praefectus Raetis Vindolicis vallis Poeninae levis armaturae" (Präfekt für die Räter, Vindeliker, des Wallis sowie der leicht bewaffneten Truppe) bezeichnete. Gerade die letztgenannte Truppe deutet wohl einen einsetzenden Entmilitarisierungsprozess an, der zum Abzug der Legionen sowie zur Aushebung und Ausbildung lokaler Kontingente führte. Eher fraglich scheint allerdings, ob man unter der Bezeichnung "levis armatura" eine Art Landesaufgebot in römischen Diensten verstehen darf. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass darunter kleinere, aber regulär ausgebildete römische Einheiten zu verstehen sind, während ein Teil der einheimischen wehrfähigen männlichen Bevölkerung zwar als Hilfstruppen aufgestellt wurde, den Dienst aber nicht in heimatlichen Regionen, sondern in den verschiedensten Teilen des Imperiums versah. Zu einer Entvölkerung kam es dadurch freilich nicht. Ob in dieser Zeit kurzfristig auch ein in Holz-Erde-Bauweise errichtetes Kastell in Bregenz existierte, ist in der Forschung umstritten.
 
Nach dieser Übergangsphase wurde wohl noch unter Tiberius (14–37 n. Chr.) eine ordentliche Provinz "Raetia et Vindelicia et vallis Poenina" eingerichtet (das Wallis wurde später abgetrennt). Da auf dem Boden der Provinz keine Legionen, sondern lediglich kleinere Verbände stationiert waren, wurde sie auch nicht von einem Legionskommandanten (legatus Augusti pro praetore) als Statthalter, sondern von einem ritterlichen Beamten verwaltet, der den Titel eines Prokurators trug und seinen Amtssitz in Augsburg (Augusta Vindelicorum) aufgeschlagen hatte (vielleicht auch anfangs in Cambodunum/ Kempten). Die Einrichtung als prokuratorische Provinz (so auch das benachbarte Noricum) spricht für einen raschen Befriedungsprozess, der die Stationierung größerer militärischer Einheiten als überflüssig erscheinen ließ. Sieht man von kurzfristigen inneren Unruhen ab, die im Rahmen der Kämpfe des Vierkaiserjahres 68/70 ausgebrochen waren und auch Rätien tangierten, erlebte die Provinz nun in den nächsten 150 Jahren eine Zeit des Friedens. Dies änderte sich erst, als sich am Ende des 2. Jahrhunderts mit den Markomannenkriegen bereits die Vorboten der Völkerwanderung ankündigten. Da die Markomannen und die mit ihnen verbündeten Völkerschaften nicht nur Rätien und Noricum, sondern auch Oberitalien bedrohten, mussten eigens zwei neue Legionen aufgestellt werden, mit deren Hilfe die Gefahr schließlich abgewendet werden konnte. Doch blieb die militärische Lage prekär, sodass es geraten schien, sowohl in Rätien als auch in Noricum jeweils eine der beiden neu ausgehobenen Legionen auf Dauer zu stationieren. Damit änderte sich aber auch der verwaltungstechnische Status der beiden Provinzen grundlegend. Mit dem Aufschlagen eines festen Legionslagers in Regensburg (Castra Regina) übernahm der Legionskommandant (legatus Augusti pro praetore) auch die Funktion des Statthalters, wodurch ein deutlicher Militarisierungsprozess der Provinz einsetzte. Dieser Zustand währte etwas länger als 100 Jahre. Mit der erneuten Stabilisierung des Reiches nach den Wirren des 3. Jahrhunderts durch Kaiser Diokletian (284–305) wurde eine umfangreiche Verwaltungsreform in Angriff genommen, die eine Verkleinerung der Provinzen und eine völlige Neuordnung der Kompetenzen vorsah. Dadurch sollte sowohl die militärische als auch die wirtschaftliche Schlagkraft der Provinzen erhöht werden. Auch die Provinz Rätien wurde zweigeteilt, doch geschah dies wohl erst in der Zeit Konstantins I. (306–337). Dabei umfasste die neue Provinz Raetia Prima das Gebiet Vorarlbergs und der Ostschweiz. Wo der Statthalter dieser Verwaltungseinheit seinen Sitz hatte, können wir heute nicht mehr sicher ermitteln. Neben Chur kommen dafür ebenso Bregenz und Kempten in Frage. Jedenfalls hatte dieser Statthalter nur noch zivile Befugnisse, während die militärischen Agenden beider Rätien einem "dux Raetiarum" anvertraut wurden. Zusammen mit anderen Provinzen unterstanden beide Rätien zudem einer neu eingerichteten Verwaltungseinheit, einer so genannten Diözese, die in diesem Fall von einem "vicarius" in Mailand geleitet wurde. Bis zur Aufgabe Rätiens durch römische Truppen blieb diese Verwaltungseinteilung maßgebend, wobei das von den Bischöfen von Chur bis in die Zeit Karls des Großen auch politisch beherrschte Unterrätien sich in etwa mit der Raetia Prima deckte. Auch die Orientierung der sich seit der Spätantike herausbildenden bischöflichen Verwaltungssprengel des Christentums an den Strukturen des Imperiums bewahrte – wenn auch nicht unbedingt in den räumlichen Grenzen, so doch in der Bezeichnung an sich – die Gliederung nach Diözesen bis in unsere Tage.
 
Ob und in welcher Form in den Zeiten seit der Einbindung unserer Region in das Imperium Romanum lokale Verwaltungsstrukturen existierten, die für den engeren Bereich des späteren Vorarlberg maßgeblich waren, lässt sich nur vermuten. Eine relativ bedeutende Funktion kam dabei sicherlich Brigantium/Bregenz zu, wobei wir über den rechtlichen Status der Siedlung gleichfalls nur Spekulationen anstellen können. Zwar wird Bregenz in der modernen Forschung immer wieder der Status eines "municipium" zugeschrieben (d.h. einer Siedlung, deren Bewohnern von einem Kaiser das römische Bürgerrecht zuerkannt wurde und die gleichzeitig eine lokale Selbstverwaltung ausübte), doch fehlen konkrete Belege dafür. Auf Grund des auffallend geringen Grades an "Munizipalisierung" in beiden Rätien können wir nicht entscheiden, ob das nähere Umfeld von Brigantium mit der Siedlung verwaltungstechnisch überhaupt verbunden war, geschweige denn, dass wir dafür genauere Grenzen angeben könnten. Ja es ist nicht einmal auszuschließen, dass Bregenz diesbezüglich überhaupt keine Kompetenzen zukamen und dass das Umland direkt vom Statthalter verwaltet wurde. Wieweit die sonst in Rätien bezeugten kaiserlichen Domänen, die einer direkten kaiserlichen Verwaltung unterstanden, auch auf dem Boden des späteren Vorarlberg existierten, muss gleichfalls offen bleiben.
 
Die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Verhältnisse
 
Mit dem Auftreten römischer Truppen und der Integration in das römische Imperium änderten sich die Verhältnisse im Gebiet des nachmaligen Vorarlberg grundlegend. Eine der herausragendsten Veränderungen  war in der Tatsache begründet, dass Rätien nun direkten Anschluss an einen Wirtschaftsraum erhielt, der sich von Britannien nach Syrien und von der Rheinmündung bis nach Afrika erstreckte. Diese gewaltige geografische Breite zog nicht nur eine Intensivierung des Handels und Warenaustauschs nach sich, sondern führte neben neuen Formen wirtschaftlicher Kommunikation auch zur Einfuhr völlig neuer Güter und landwirtschaftlicher Produkte. Erst jetzt lernten die Alpenbewohner Äpfel, Birnen, Kirschen, Erbsen und Roggen kennen, wodurch die Landwirtschaft ungeahnte Impulse erfuhr. Eine nie gekannte Verkehrssicherheit vermochte nicht nur Einheimische zu verstärkter Handelsaktivität zu motivieren, sondern brachte auch römische Händler ins Land. Diese organisierten sich gerne in größeren Genossenschaften. Dieses Phänomen ist uns auch für Bregenz bezeugt, wo eine derartige Korporation römischer Bürger eine Weihinschrift "für alle Götter und Göttinnen" stiftete. Neben landwirtschaftlichen Produkten wurde eine mit Erzeugerstempeln versehene luxuriöse Keramik, die so genannte Terra sigillata, in größeren Mengen aus Italien und Gallien importiert. Überhaupt weisen verstärkte Handelsbeziehungen Rätiens in den Westen. Wie etwa für Augsburg dokumentiert, kam dabei der einheimischen Textilveredelung und –verarbeitung ein besonderer Stellenwert zu. Auch der gesteigerte Geld- und Münzumlauf bezeugt die wachsende Integration in den mediterranen Wirtschaftsraum. Zumindest in städtischen Zentren ist mit einer deutlich zunehmenden Kenntnis des Lesens und Schreibens zu rechnen. Latein wurde auch für unsere Breiten zur Lingua franca, jedenfalls für diejenigen, die sich am internationalen Handel beteiligten oder eine Karriere im römischen Heer anstrebten. Gerade das Heer kann in diesem Zusammenhang als ein Integrationsfaktor ersten Ranges bezeichnet werden, der ganz wesentlich zur Romanisierung der Provinzialbevölkerung beitrug. Hatten zunächst die Bewohner Rätiens den Status von "Fremden" (peregrini), so bot ihnen einzig der Militärdienst die Möglichkeit, das römische Bürgerrecht und damit verbundene Privilegien zu erlangen. Dieser Dienst umfasste in der Regel 25 Jahre und endete in der "ehrenhaften Entlassung" mit der feierlichen Verleihung des Bürgerrechts. Wurden zahlreiche Rekruten Rätiens zunächst zwangsweise eingezogen und mit ihren Einheiten über das gesamte Imperium verteilt, so änderte sich dies im Laufe der Zeit, wodurch auch eine Stationierung in relativer Nähe zur eigenen Heimat möglich wurde. Trotzdem war es gerade das Heer, das den geografischen Horizont vieler Alpenbewohner erweiterte und ihnen eine konkrete Vorstellung von der römischen Reichskultur vermittelte.
 
Sowohl militärischen als auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten diente der intensive Ausbau des Straßensystems, das sich als eines der prägendsten Elemente römischer Kultur erweisen sollte. Für Vorarlberg bekam in diesem Zusammenhang vor allem die Route über den Julier-Pass durch das Alpenrheintal nach Bregenz größere Bedeutung. Römische Straßen waren auch in regelmäßigen Abständen mit Straßenstationen versehen, die allerdings nur der kaiserlichen Post zur Verfügung standen. Dort konnten die Gespanne gewechselt und Verpflegung ausgefasst werden. Zwei derartige Straßenstationen befanden sich auch auf Vorarlberger Boden. Neben Bregenz ist auch mit dem Namen Clunia eine derartige Anlage verbunden. Dieses dürfte nach neuesten Erkenntnissen mit der Anlage Altenstadt-"Uf der Studa" gleichzusetzen sein, die neben einem Hauptgebäude auch ein Ensemble mehrerer kleinerer Nebengebäude aufwies und von einer Mauer eingefasst wurde, an der die römische Hauptstraße unmittelbar vorbeiführte. Der Raum Rankweil-Altenstadt scheint schon in römischer Zeit einer der bevorzugten Siedlungsräume gewesen zu sein, wovon auch die Existenz einer weiteren Villenanlage zeugt. Die Übernahme mediterraner Villenkultur offenbart ein Element römischen Lebensgefühls, das nun auch in die Provinzen ausströmte. Wie die beiden bereits angesprochenen Anlagen von Brederis-Weitried (in den Grundmauern konserviert und zu besichtigen) und das Gebäudeensemble Altenstadt-"Uf der Studa" dokumentieren, handelte es sich dabei um zum Teil in mehrere Komplexe zerfallende Anlagen, die neben Wohnräumen auch größere Wirtschaftstrakte erkennen lassen. Mit der Anlage durch Fußbodenheizung (Hypokausten) erwärmbarer Räumlichkeiten und der Einrichtung verschieden temperierter Baderäume hielt auch ein Element antiker Freizeitkultur und Körperpflege Einzug in unsere Breiten. Römische Villen beschränkten sich allerdings nicht auf den Raum Rankweil-Altenstadt. Zumindest eine derartige Anlage ist auch für den Walgau (Satteins) bezeugt, während im Raum Bregenz besonders prachtvoll ausgestattete Beispiele ans Tageslicht kamen. Diese waren teilweise mit üppigen Fußbodenmosaiken und lebhaften Wandmalereien dekoriert und bezeugen somit auch den Wohlstand ihrer ehemaligen Besitzer. Ein besonders schönes Beispiel ist die heute noch in ihren Grundmauern konservierte Villa am Steinbühel.
 
Bregenz darf sicherlich als das bedeutendste Zentrum auf Vorarlberger Boden angesprochen werden. Seit augusteischer Zeit wurde auf dem Plateau des Ölrain – zunächst in Fachwerkbauweise, dann in Stein – eine römische Siedlung angelegt, die alle erforderlichen Baulichkeiten einer mediterranen Stadt aufwies. Von zwei sich kreuzenden Hauptstraßen durchzogen, findet sich ein in regelmäßiger Ordnung angelegtes Konglomerat aus öffentlichen und privaten Anlagen. Zu Ersteren zählt im Zentrum der große Gebäudekomplex des Forums, eine von einer Wandelhalle umgebene Hofanlage, wo das städtische Treiben in seinen vielfältigen Formen stattfand. Daran südlich anschließend wurde eine große öffentliche Thermenanlage freigelegt, in deren Nachbarschaft sich gleichfalls ein Hof mit Wandelhalle befand. Dort wurde auf einer der Säulen ein auf den Schaft geritztes Zitat aus Vergils Aeneis gefunden, das in eindrucksvoller Weise die Verbreitung römischer Schriftkultur und literarischer Bildung dokumentiert. Schließlich gehörte zu den öffentlichen Anlagen ein der kapitolinischen Trias (Jupiter, Juno, Minerva) geweihtes Heiligtum. Lagen diese Gebäude gemeinsam mit größeren Villen alle an der dem See zugewandten Seite der Terrasse, so befanden sich die privaten Wohn- und Geschäftslokale auf der gegenüberliegenden Straßenseite und lassen meist einen einheitlichen Grundriss erkennen. Unmittelbar an die Straße grenzte ein in Laubenform gestalteter "Gehsteig", von dem aus man Zugang zu einzelnen Geschäftslokalen hatte. Im hinteren Gebäudebereich befanden sich schließlich neben Wirtschafts- und Lagerkapazitäten auch die eigentlichen Wohngebäude. Besonders zahlreich scheinen dabei in den freigelegten Handwerkerhäusern Schmiedewerkstätten vertreten zu sein.
 
Das religiöse Leben zeigte gleichfalls einen deutlichen mediterranen Einschlag, wenn sich auch gerade hier ältere Vorstellungen hartnäckig halten konnten. Kleinbronzen von Mars und Merkur, mythologische Darstellungen auf Öllampen sowie klassisch-römische Tempelarchitektur offenbaren zunächst ein ganz vom italischen Mutterland geprägtes Spektrum religiöser Vorstellungen. Bewegte sich auch der bereits angesprochene Tempel für die kapitolinische Trias in den Konventionen römischer Religiosität, so zeigte ein nördlich daran anschließender Komplex eines so genannten "gallischen Umgangstempels" bereits einheimische architektonische (und wohl auch kultische) Formen, die bis in vorrömische Zeit zurückreichen. Teilweise sind uns einheimische Gottheiten, die in römischer Zeit weiterhin Verehrung fanden, auch namentlich bekannt. Das berühmteste Beispiel ist das Relief der keltischen Pferdegöttin Epona, das in sekundärer Verwendung am Tor zur Oberstadt eingemauert war und sich nun im Vorarlberger Landesmuseum befindet (am ursprünglichen Ort ist heute eine Replik zu bewundern). Daneben dürfte der auf einer Weihinschrift erhaltene Gottesname (H)arcecius ebenfalls einheimische religiöse Traditionen widerspiegeln. Ein universelleres Phänomen magischreligiöser Bestrebungen ist uns aus Bregenz durch die Existenz von Fluchtäfelchen greifbar. Mit ihrer Hilfe sollte ein persönlicher Widersacher durch die Anwendung magischer Praktiken, verbunden mit Unheil stiftenden Verwünschungen, ausgeschaltet werden. Auch der Jenseitsglaube zeigte allgemein bekannte Formen. So befanden sich alle Gräber an einer in nördlicher Richtung liegenden Ausfallstraße außerhalb der Siedlung. Die Ausstattung mit entsprechenden Grabbeigaben bezeugt dabei die hinlänglich bekannten Vorstellungen eines Lebens nach dem Tod, das danach ganz den Bedingungen des Diesseits entsprach. Schließlich ist das "Hafenviertel" anzusprechen, über dessen Gestalt in der hohen Kaiserzeit nur die in einer spätantiken "Quaderstruktur" verbauten Spolien (sekundär wieder verwendete Bauglieder) Auskunft geben können. Ob sich für diese Zeit tatsächlich ein "Hafentempel", "Hafenthermen" und eine zum "Hafenviertel" führende "Säulenstraße" nachweisen lassen, bleibt zumindest mit Unsicherheiten behaftet.
 
Veränderungen der inneren Verhältnisse unter römischer Herrschaft sind auf dem Gebiet des späteren Vorarlberg nur innerhalb eines groben Rasters wahrnehmbar. Dies gilt sowohl für Bregenz als auch für den südlich angrenzenden Landesteil. So lässt sich etwa nicht mit letzter Bestimmtheit angeben, wann genau die römische Villenkultur in Vorarlberg unterging. Manches spricht dafür, dass mit deutlichen Ausläufern noch bis ins 4. Jahrhundert zu rechnen ist. Auch die konkrete Belegungsdauer der oben erwähnten Straßenstationen scheint eher in diesen Zeitraum zu gehören. Ein Zeugnis für die wohl letztmalig auftretenden Bemühungen der römischen Zentralverwaltung im 4. Jahrhundert, die Raetia Prima auch militärisch abzusichern, ist in der Stationierung einer Flotteneinheit in Bregenz zu sehen. Zudem gelang es der archäologischen Forschung, in der Gegend des Leutbühel eine sorgfältig angelegte "Quaderstruktur" freizulegen, die nach neuester Interpretation nicht als Hafenbecken, sondern als Fundamentierung eines von Valentinian I. (364–375) errichteten Hafenkastells zu verstehen ist. Die welthistorisch bedeutsame Verbreitung des Christentums über das Imperium Romanum hingegen ist in Vorarlberg mangels vorhandener Quellen nur vergleichend erfassbar.
 
Eine besonders schwierige Frage hängt mit dem Grad und dem Zeitpunkt der Romanisierung des späteren Vorarlberg zusammen. Zwar wurden bereits oben wichtige Voraussetzungen für diesen Prozess angesprochen (Wirtschaftsraum, Verkehrsnetz, Militär, Sprache), jedoch beziehen sich diese Ausführungen auf den größeren Raum Rätiens, ohne dabei entsprechend anders geartete Verhältnisse in dessen südlichem Teil (dem späteren Vorarlberg und Graubünden) gesondert wahrnehmen zu können. Zwar bedeutete die allgemeine Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle Freien durch Kaiser Caracalla (211–217) in seiner Constitutio Antoniniana im Jahre 212 einen Schub in Richtung Romanisierung, doch war damit nicht unbedingt auch eine Übernahme der lateinischen Sprache verbunden. Auffallend ist in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass sowohl aus Bregenz als auch aus Chur eine verschwindend geringe Anzahl an römischen Grabinschriften erhalten ist, die eigentlich als Gradmesser der Romanisierung gelten dürften. Zieht man dazu verkehrsgeografische Beobachtungen mit ins Kalkül, die die inneralpinen Hauptverkehrsadern vor allem im Westen über den St. Bernhard und im Osten über den Brenner bzw. den Reschenpass ausmachen, so entsteht zumindest der Eindruck einer im Verhältnis zu anderen Regionen relativ rückständigen Gegend, in der sich einheimische Traditionen länger halten konnten. Wie man den genauen Zeitpunkt der auf dem Gebiet des späteren Vorarlberg einsetzenden Romanisierung auch einschätzen mag, Tatsache bleibt doch, dass dieser Prozess spätestens in der ausgehenden Antike nahezu alle Bevölkerungsschichten erfasst hatte, wodurch unsere Gegend in einen Kulturraum eingebettet wurde, der auch für die Folgezeit prägend sein sollte. R.R.

ARTIKEL
Bild: Hirschhorn-Harpunen aus Koblach, um 5.000 v. Chr.
Hirschhorn-Harpunen aus Koblach, um 5.000 v. Chr.
Bild: Keramikfund aus Altenstadt, Melauner Kultur, um 1.000 v. Chr.
Keramikfund aus Altenstadt, Melauner Kultur, um 1.000 v. Chr.
Bild: Bronzestatuette aus Bings, um 400 v. Chr.
Bronzestatuette aus Bings, um 400 v. Chr.
Bild: Überreste einer vergoldeten Bronzestatue aus Bregenz, um 100 n. Chr.
Überreste einer vergoldeten Bronzestatue aus Bregenz, um 100 n. Chr.
Bild: Ausschnitt aus der so genannten Tabula Peutingeriana, einer in mittelalterlicher Kopie erhaltenen römischen Straßenkarte
Ausschnitt aus der so genannten Tabula Peutingeriana, einer in mittelalterlicher Kopie erhaltenen römischen Straßenkarte
Bild: Das Siegesmonument von Kaiser Augustus bei La Turbie in Südfrankreich
Das Siegesmonument von Kaiser Augustus bei La Turbie in Südfrankreich
Bild: Steinrelief der keltisch-römischen Pferdegöttin Epona aus dem ersten Jahrhundert n. Chr.
Steinrelief der keltisch-römischen Pferdegöttin Epona aus dem ersten Jahrhundert n. Chr.
Bild: Überreste einer römischen Anlage auf dem Ölrain in Bregenz
Überreste einer römischen Anlage auf dem Ölrain in Bregenz
Bild: Dieses Bodenmosaik zeugt von der auch in den Provinzen hochstehenden römischen Lebenskultur.
Dieses Bodenmosaik zeugt von der auch in den Provinzen hochstehenden römischen Lebenskultur.