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Tiroler Historiker berichtet in Buch von Gewalt in SOS-Kinderdörfern

Der Autor Horst Schreiber berichtet von Gewalt und Missbrauch
Der Autor Horst Schreiber berichtet von Gewalt und Missbrauch ©APA (Symbolbild)
"Dem Schweigen verpflichtet. Erfahrungen mit SOS-Kinderdorf" lautet der Titel eines neuen Buches des Tiroler Historikers Horst Schreiber. Der Wissenschafter untersucht darin die Vorkommnisse in den Kinderdörfern von den 1950er- bis in die 1990er-Jahren und kommt nach Gesprächen mit angeblichen Opfern zum Schluss, dass es auch dort Gewalt und Missbrauch gegeben habe.

Schreiber war vom SOS-Kinderdorf selbst mit der Aufarbeitung seiner Geschichte beauftragt worden. “Es gibt nicht nur das Gelingende, sondern eben auch das Leid, das die Kinderdörfer selbst produziert haben”, sagte Schreiber im Gespräch mit der APA. Die Geschichte der Kinderdörfer müsse durch das Buch “nicht umgeschrieben, aber wesentlich ergänzt” werden.

Erfahrungen mit Gewalt

Mit rund 30 ehemaligen Kinderdorfkindern habe er im Zuge der Recherche für das Buch Gespräche über ihre Erfahrungen mit Gewalt geführt, mit 15 von ihnen “Tiefeninterviews”. 34 ehemalige Kinderdorfkinder meldeten sich bisher laut einem Bericht von ORF Tirol wegen Gewaltanwendungen bei SOS-Kinderdorf. In etwa der Hälfte der Fälle habe man früheren Opfern eine Entschädigung bezahlt.

“Harte Erziehung”

Die Gewalt in den Kinderdörfern sei vergleichbar gewesen mit jenen in den damals üblichen familiären Strukturen. “Harte Erziehung, Fotzen, einsperren”, meinte der Historiker. Mit der Gewalt an Kindern in Heimen sei jene in den Kinderdörfern aber nicht vergleichbar gewesen, so Schreiber. Verletzungen, die Heilbehandlungen notwendig gemacht hätten, seien die Ausnahme gewesen, Fälle von “terroristischer Gewalt” selten vorgekommen. “In Heimen war Gewalt ein Permanenzzustand, in SOS-Kinderdörfern jedoch auf einen Personenkreis beschränkt”, verdeutlichte der Wissenschafter den Unterschied. Die Gewaltanwendung in den Kinderdörfern habe auch aus Überforderung resultiert.

Körperstrafen und Demütigungen

Bei einem bestimmten Prozentsatz habe es sich aber um schwere Körperstrafen und psychische Demütigungen gehandelt. Quantifizieren könne man dies aber nicht, meinte Schreiber. Auch Fälle sexualisierter Gewalt habe es gegeben. Diese seien aber weniger von den Kinderdorfmüttern als vielmehr von außenstehenden Personen ausgegangen. Auch sexuelle Übergriffe von Dorfleitern seien vorgekommen. In den Kinderdörfern habe ein “klosterähnliches System” geherrscht, in dem Sexualität Tabu gewesen sei.

Leiter ohne pädagogische Ausbildung

Kinderdorfmüttern habe es bei der Erziehung an einem “fachlichen Unterstützungsnetz” gemangelt. Die ganze Macht sei bei den Männern gelegen, wobei die Dorfleiter keine pädagogische Ausbildung gehabt und diesbezüglich Dilettanten gewesen seien. In den Gesprächen mit den ehemaligen Kinderdorfkindern hätte es oft geheißen, die Kinderdorf-Mutter sei lieb gewesen, gegen sie gebe es nicht zu sagen. Vorwürfe wären vor allem den Dorfleitern gemacht worden. (APA)

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