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Tabuthema Essstörung: "Ich erbrach sogar ein paar Mal Blut"

Essstörungen: Die Auslöser sind vielfältig, die Auswirkungen auf den Körper immer fatal.
Essstörungen: Die Auslöser sind vielfältig, die Auswirkungen auf den Körper immer fatal. ©APA (Themenbild)
Bulimie, Magersucht, Fresssucht sind lebensbedrohliche Krankheiten. Martha (Name geändert) aus Dornbirn war selbst Betroffene. Mit dem Wann & Wo spricht sie über ihre Essstörung und den Weg zurück in ein gesundes Leben.

WANN & WO: An welcher Form von Essstörung hast du gelitten und wie kam es dazu?

Martha: In der Pubertät mit ungefähr 13 Jahren begann ich mit den ersten Diätversuchen. Ich war eigentlich schlank. Allerdings hatte ich Freundinnen, die an Turnwettkämpfen teilnahmen. Aufgrund der Gewichtsklassen spielten die eigenen Kilos eine große Rolle. Von meiner Cousine, die selbst an Bulimie litt, erfuhr ich dann von einer „praktischen“ Methode um abzunehmen. So konnte ich alles essen ohne dick zu werden.

WANN & WO: Hast du jemals von anderen gehört, dass du zu dick bist?

Martha: Von Außenstehenden nicht. Einmal war jedoch ein Freund meiner Eltern zu Besuch, der mir einen Klapps auf den Po gab und meinte: „Du bekommst ja langsam Rundungen“. Das hat mich extrem gestört. Der wirkliche Auslöser war aber, so glaube ich, die ziemlich dreckige Scheidung meiner Eltern und damit verbundene finanzielle Sorgen. Ich fühlte mich alleine gelassen und flüchtete mich dann in die Bulimie.

WANN & WO: Hat nie jemand etwas davon mitbekommen?

Martha: Nein, nicht direkt. Nach der Scheidung war meine Mutter den ganzen Tag am Arbeiten. Da der Weg in die Bulimie ein sehr schleichender Prozess ist, erbrach ich ein Jahr nur nach dem Abendessen und nahm so ein paar Kilos ab. Ich war der Meinung, ich hätte alles unter Kontrolle und könnte jeder Zeit aufhören. Nach diesem einen Jahr vertraute ich mich auch meiner Mutter an und versprach ihr, aufzuhören.

WANN & WO: Ist dir das gelungen?

Martha: Nein. Ich habe das Aufhören immer wieder verschoben. Mit 14 habe ich mich dann unglücklich verliebt. Der Junge kam mit einem dünneren Mädchen zusammen. Das war dann der ausschlaggebende Punkt, dass sich alles nur noch um mein Körpergewicht drehte. Meine gesamten Ersparnisse habe ich für Essen aufgebraucht. Schlussendlich habe ich sogar noch neben der Schule gearbeitet, um mir meine Fressorgien, die ich nacher sowieso wieder erbrach, zu finanzieren.

WANN & WO: Wie ging es dann weiter?

Martha: Irgendwann bin ich von zu Hause ausgezogen, habe angefangen als Textverarbeiterin zu arbeiten und funktionierte einfach nur mehr. Etwas Anspruchsvolleres hätte ich nicht geschafft. Ich lernte mit der Zeit Tricks, um die Bulimie zu verheimlichen. Ich stand langsam auf, um Schwindelanfälle zu vermeiden, trank viel Kaffee, stimmte meine Einkäufe auf die Dienste der Portiers bei meiner Wohnung ab – so dass niemand etwas davon mitbekam.

WANN & WO: Was war der absolute Tiefpunkt?

Martha: Ich war extrem dünn, wog 12 Kilo weniger als jetzt, hatte einen Babyflaum auf der Haut, die Knochen standen hervor, das Gesicht war geschwollen vom ständigen Erbrechen, weshalb ich mich auch weiterhin dick fühlte. Ein paar Mal erbrach ich sogar Blut. Zu der Zeit starb eine berühmte Sängerin an den Folgen von Magersucht bzw. Bulimie. Da bekam ich Angst, dass mir dasselbe passieren könnte. Leider hilft die Angst allein nicht weiter, im Gegenteil: Es baut noch mehr Druck auf und die Vernunft wird ausgeblendet.

WANN & WO: Hast du versucht, mit Therapien gesund zu werden?

Martha: Immer wieder. Die erste mit 16, da sprach ich aber nur über die Scheidung meiner Eltern. Zwischendurch war ich bei einer Selbsthilfegruppe, wo ich recht gute Fortschritte machte. Ich zog dann weg, weil ich dachte, ich sei stark genug. Für die Genesung braucht man eigentlich mindestens ein ganzes Jahr.

WANN & WO: Wie hast du es schlussendlich geschafft, gesund zu werden?

Martha: Insgesamt litt ich 13 Jahre unter der Bulimie. Kurz vor meinem 26. Geburtstag dachte ich mir „Ich mache das nun mein halbes Leben, ich will das nicht mehr!“ Mit einer Gruppentherapie gelang es mir, wieder gesund zu werden. Das Wichtigste ist, bereit zu sein, sein altes Verhalten abzulegen. Man redet sich ein, ohne die Bulimie keine Probleme zu haben. Doch die Bulimie ist nur ein Symptom eines anderen Problems. Ich musste lernen, auf meine Bedürfnisse zu hören und Essen zu genießen. Es gelang mir, meinen Körper wieder zu schätzen und zu akzeptieren, dass er selbst sein Idealgewicht findet. Meine größte Motivation war, dass ich leben will!

“Essstörungen entstehen, wenn die Seele Hunger hat”
Information ist bei Essstörungen der erste Schritt zur Hilfe. Die Caritas Vorarlberg bietet Unterstützung für Betroffene und Angehörige – in Form von Beratung und Gruppentherapien (Übergewicht und Bulimie/Magersucht). Mehr Infos gibt es unter www.caritas-vorarlberg.at oder man wendet sich direkt an Psychologin Alice Mansfield-Zech im Caritas Center in Feldkirch. Tel.: 05522 200 1739 oder 0664 8240049, E-Mail: alice.mansfield-zech@caritas.at

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