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„Superstars wie Cher oder Pink – penibel, aber auch sensibel“

Wann und Wo traf den sympathischen Kreativkopf Gerrit Kinkel - stilecht im Jöslar, Andelsbuch, wo man dank der Betriebsphilosophie viel Wert auf die Welt des Kinos legt
Wann und Wo traf den sympathischen Kreativkopf Gerrit Kinkel - stilecht im Jöslar, Andelsbuch, wo man dank der Betriebsphilosophie viel Wert auf die Welt des Kinos legt ©Sams / Wann und Wo
Er arbeitet mit Sting, John Mayer, Pink oder Cher, spielt mit seiner Jazz-Combo auf der Oscar-Afterparty oder vertont Kino-Trailer für Marvel, Disney & Co. – ein WANN & WO­-­Sonntagstalk mit Grammy-Gewinner Gerrit Kinkel aus Hörbranz.

WANN & WO: Getreu des Bildes von US-Präsident Donald Trump über Österreich führen wir dieses Interview im „Wald“, genauer gesagt im Jöslar, Andelsbuch. Wie geht es dir aktuell?

Gerrit Kinkel: Als ein direkter Nachfahre von Franz Michael Felder liegen meine Wurzeln im Bregenzerwald. Mit dem Ausbruch der Pandemie habe ich mir mit meiner Familie eine längere „Denkpause“ in meiner alten Heimat gegönnt – wir verbringen hier unseren Sommerurlaub. Viel bleibt einem in unserer Branche aktuell auch nicht übrig. Das Virus hat den gesamten Betrieb in Hollywood zum Erliegen gebracht.

WANN & WO: War es immer schon dein Ziel, den Sprung über den großen Teich zu wagen?

Gerrit Kinkel: Nicht direkt, aber ich habe gemerkt, dass ich hier an meine Grenzen stoße. Nach meiner Ausbildung am Konservatorium und dann an der Universität in Wien habe ich für ein Stipendium am renommierten Berklee College of Music vorgespielt. Als passionierter Trompeter hat mich die Vielfalt dieses Instruments immer fasziniert – egal ob in klassischer Form oder dann auch im Funk- oder Jazz-Bereich. Und die Alben meiner musikalischen Vorbilder wurden zu 90 Prozent in den USA produziert. Insofern war die Entscheidung, meinen Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen, eine einfache.

WANN & WO: In Boston trafst du auf deinen Mentor Al Schmitt (22-facher Grammy-Preisträger). Inwiefern hat er deinen Horizont erweitert?

Gerrit Kinkel: So ziemlich in jeder. Die wichtigste Lektion ist Hartnäckigkeit. In den USA und speziell in unserer Branche zählt das Prinzip „Hire & Fire“ – jeder ist ersetzbar. Nur wer Eigeninitiative zeigt und unter Druck arbeiten kann, kommt weiter. Ich hatte das Glück, Al bei einem Workshop kennenzulernen und muss einen guten Eindruck hinterlassen haben. Durch ihn bin ich dann auch bei Capitol Records untergekommen. Und das mit viel Glück. Ich habe mich für ein Praktikum beworben. Zufälligerweise war am Tag meines Antritts Al im Gebäude und konnte sich an mich erinnern. So erhielt ich dann letztlich die Zusage.

WANN & WO: Du bist Grammy-Preisträger, hast mit Pink und Cher produziert und arbeitest mit den Superstars der Branche. Wie sieht dein Blick hinter die Fassaden aus?

Gerrit Kinkel: Der Grad an Professionalität in jeglichem Bereich ist einzigartig. Bei Produktionen dieser Größenordnung wird nichts dem Zufall überlassen, und sei es noch so ein kleines Detail. Will man hier mitspielen, muss das gesamte Portfolio stimmen. Sowohl handwerklich, als auch menschlich. Alles wird bewertet, seien es das Auftreten, die Art sich zu kleiden oder auch welche Formulierungen man wählt. Superstars wie Pink oder Cher sind unglaublich penibel, aber auch sensibel. Sie merken sofort, wenn etwas nicht stimmt oder jemand Unruhe in die Produktion bringt. Gleichzeitig sind sie aber auch abhängig davon, dass man Kritik, insofern sie berechtigt ist, äußert – im richtigen und respektvollen Ton selbstredend. Mit Bauchpinslern und Günstlingen haben sie den ganzen Tag über genug zu tun.

WANN & WO: Inwiefern leidet die eigene Kreativität, wenn man an einer Produktion dieses Ausmaßes beteiligt ist?

Gerrit Kinkel: Das hängt von einem selber ab. Wenn man ein Album eines Superstars als eine Art Krone betrachtet, liefern hunderte beteiligte Künstler jeweils einen Edelstein dafür ab und beteiligt sich so an einem Gesamtkunstwerk. Man wird zum Teil eines Größeren. Und dafür bin ich unheimlich dankbar, oder wie man in den Staaten sagt: „humble“.

WANN & WO: Mit der Produktion von Kino-Trailern hast du dir ein lukratives Standbein aufgebaut. Wer zählt zu deinen Kunden?

Gerrit Kinkel: Eigentlich sämtliche großen Studios. Spätestens mit dem Einzug von Social Media oder YouTube zählen Film-Trailer zu den meist gesehenen Clips im Netz. Mit meiner Firma konnte ich mich hier gut im Markt positionieren. Zu meinen Kunden zählen sowohl klassische Studios wie Paramount oder 20th Century Fox als auch Streamingportale wie Netflix oder Disney+. Für sie habe ich z.B. gerade den Trailer für Mulan vertont. Die Welt der Filmindustrie war schon vor der Pandemie im Umbruch, gerade wenn man sich die Zahl an Streaming-Portalen be­­trachtet. Und spätestens seit Anbieter wie Netflix eigene Produktionen anbieten, wurde die gesamte Branche auf den Kopf gestellt.

WANN & WO: Corona hat die Welt fest im Griff. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf deine Branche im Speziellen?

Gerrit Kinkel: Wie überall hat sie die gesamte Produktion zum Erliegen gebracht, was sich auch heuer in den Kinos bemerkbar gemacht hat. Während in Österreich der Kulturbetrieb größtenteils subventioniert wird, herrscht in den USA beinharter Wettbewerb. Entertainment ist ein Milliarden-Business. Von außen betrachtet wirkt Hollywood wie eine wundervolle, reflektierende Schneekugel. Die restliche Welt blickt in die Gesichter der Reichen und Schönen. Befindet man sich aber in diesem Mikrokosmos, entdeckt man Handwerker, Catering-Firmen, Fahrer, Techniker und unzählige Menschen, die wie kleine Zahnräder den Betrieb am Laufen halten. Und für diese sind Zeiten wie die jetzigen besonders schwierig, zumal das US-Sozialsystem nicht viel Spielraum zulässt.

WANN & WO: Du warst als Jury-Mitglied bei der Sound@V-Gala im Montforthaus. Welchen Blick hast du auf die heimische Musikszene?

Gerrit Kinkel: Ich muss gestehen, dass ich von der Qualität der Künstler äußerst positiv überrascht war. Besonders die Darbietungen von Prinz Grizzley, Nnella oder Philipp Lingg sind ganz großes Kino, auch was die Produktion betrifft. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten muss sich jeder Act bewusst sein, dass er ohne großen finanziellen Aufwand mitspielen kann. Und auch muss, diesen Tipp kann ich nur jedem geben. Die Zeiten von halbgaren Demo-Aufnahmen sind vorbei. Wer heute an die Öffentlichkeit geht, muss liefern. Egal in welchem Bereich.

WANN & WO: Mit deiner Jazz-Combo spielst du ja auch im Roosevelt-Hotel, u.a. auch im Anschluss an die Oscars. Hat dich das Trompetenspiel nie losgelassen?

Gerrit Kinkel: Genauso ist es. Das Spiel vor dem Publikum und die direkte Interaktion haben mich immer gereizt. In Hollywood passiert alles über Beziehungen und ich nutze diese Chance auch als willkommene Gelegenheit für Networking. So habe ich z.B. die Frau von Tom Hanks kennengelernt. Unsere Konzertabende fanden großen Anklang, wir hatten auch ein Angebot aus Las Vegas, um eine größere Produktion mit Bigband daraus zu machen. Das war aber vor Corona, als die Welt noch in ihren Fugen war.

WANN & WO: Ein Blick in die Zukunft: Kommt für dich eine Rückkehr nach Österreich oder Vorarlberg in Frage?

Gerrit Kinkel: Ehrlich gesagt habe ich die letzten Wochen hier wieder vermehrt mit diesem Gedanken gespielt. Auch als Vater einer Tochter spielt Lebensqualität und das Umfeld eine immense Rolle. Eine Rückkehr liegt also durchaus im Bereich des Möglichen. Aktuell habe ich aber noch zu viele Pläne, die ich umsetzen möchte. Und das wenn möglich in den USA, im Haifischbecken Hollywoods.

Zur Person: Gerrit Kinkel

Foto: Sams / Wann und Wo
  • Geburtstag, Wohnort: 27. Dezember 1984, Los Angeles/Hörbranz
  • Familienstand: Verheiratet, Vater einer Tochter (2)
  • Beruf, Ausbildung: Komponist, Produzent, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Berklee College of Music, Grammy-Sieger („Best Instrumental Album“ – Arturo Sandoval „A Time For Love“, 2010)
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