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SPD-Minister distanzieren sich von Böhmermann-Entscheidung

Harsche Kritik an Merkel-Entscheid.
Harsche Kritik an Merkel-Entscheid. ©AP
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas (beide SPD) haben sich von der Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) distanziert, Ermittlungen gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zuzulassen.
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Steinmeier sagte am Freitag bei einer gemeinsamen Erklärung mit Maas, die SPD-geführten Ressorts hätten nach sorgfältiger Überlegung gegen die Erteilung der Ermittlungsermächtigung gestimmt: “Wir sind der Auffassung, dass die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß Paragraf 104a des Strafgesetzbuches nicht hätte erteilt werden sollen.” Wegen der Stimmengleichheit habe die Stimme der Bundeskanzlerin entschieden. Zuvor hatte Merkel mitgeteilt, dass die Bundesregierung “im Ergebnis” den Ermittlungen gegen Böhmermann zustimme und Differenzen zwischen Union und SPD in der Frage eingeräumt.

Steinmeier sprach von einer schwierigen Entscheidung: “Für beide Alternativen gibt es gute Gründe.” Er betonte: “Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter unserer Verfassung.” An der Entscheidung war außer Merkel, Steinmeier und Maas noch Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) beteiligt.

Maas sagte, es handle sich um eine Ermessensentscheidung der Regierung. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit darin, dass Erdogan auch Anzeige wegen Beleidigung erstattet habe. Deshalb werde die Frage, ob es sich um Satire oder um eine strafbare Beleidigung handle, ohnehin von den Gerichten entschieden. “Und zwar unabhängig davon, ob eine Strafverfolgungsermächtigung erteilt wird oder nicht.”

Erdogan hatte die Anzeige als Privatmann gestellt. Bei der Entscheidung der Regierung ging es um die Frage, ob die Justiz gegen Böhmermann auch wegen des besonderen Paragrafen ermitteln darf, der eine Schmähung ausländischer Staatsoberhäupter verbietet.

Türkische Gemeinde kritisiert Böhmermann-Entscheidung

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, kritisiert die Entscheidung der Regierung, ein gesondertes Strafverfahren wegen Beleidigung von Staatsoberhäuptern gegen den Satiriker Jan Böhmermann zu ermöglichen.

“Ich finde die Entscheidung falsch”, sagte er der “Berliner Zeitung” (Samstag-Ausgabe). “Ich hätte mir gewünscht, dass die Kanzlerin dieses Verfahren nicht zulässt, sondern dass man auf das persönliche Verfahren wartet.”

Denn der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan habe ja auch als Privatperson Strafantrag gestellt. Dabei hätte man es belassen sollen, sagte Sofuoglu.

Grüne kritisieren Böhmermann-Entscheidung

Die deutschen Grünen haben die Entscheidung der Regierung im Fall des Satirikers Jan Böhmermann kritisiert. “Die Bundeskanzlerin war in einer schwierigen Lage, in die sie sich auch teilweise selbst gebracht hat”, sagte Parteichef Cem Özdemir den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Er sei “nicht glücklich” mit der Entscheidung, auf Wunsch der Türkei ein gesondertes Strafverfahren gegen den Satiriker zuzulassen. “Es fühlt sich falsch an, dass es hier eine Sonderbehandlung gibt. Dem türkischen Präsidenten wäre auch der normale Rechtsweg offen gestanden.” Die Grünen forderten ebenfalls eine Abschaffung des Pragraphen 103 Strafgesetzbuch zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter, der Grundlage in diesem Fall ist.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat es Demonstranten unterdessen untersagt, vor der türkischen Botschaft das umstrittene “Schmähgedicht” Böhmermanns zu zeigen oder es zu rezitieren. Das teilte das Gericht am Freitag angesichts einer geplanten Kundgebung unter dem Motto “Ziegendemo gegen Beleidigung” mit. Es bestätigte damit eine Vorgabe der Berliner Polizei.

Bei der Demo wollten laut Gericht Teilnehmer Ziegenmasken oder Kopftücher tragen und “künstlerische Schrifttafeln” vor sich aufstellen, auf denen Teile des Gedichts zu lesen sein sollten. Das Verwaltungsgericht bestätigte nun die Auflage der Polizei, die das öffentliche Zeigen und Rezitieren untersagt hatte. Das Gericht traf aber nach eigenen Angaben keine Aussage über die Strafbarkeit von Böhmermanns Handeln.

Böhmermanns Satire zeichne sich durch eine “distanzierende Einbettung in einen quasi-edukatorischen Gesamtkontext aus, um so die Grenzen der Meinungsfreiheit zu verdeutlichen”, erklärte das Gericht. Im Gegensatz dazu erfülle “die isolierte Zitierung des Gedichts die Voraussetzungen einer beleidigenden Schmähkritik”. In diesem Fall gehe der Persönlichkeitsschutz der Meinungsfreiheit vor.

Journalistenverband hält Entscheidung im Fall Böhmermann für absurd

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Frank Überall hat die Entscheidung der Regierung in der Böhmermann-Affäre kritisiert. “Ich finde das absurd”, sagte er am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.

Recht habe die Kanzlerin allerdings damit, dass diese Entscheidung keine Vorverurteilung sei. “Ich hoffe, dass es gar nicht erst zu einer Anklage kommt”, so der DJV-Vorsitzende. Und selbst wenn, bedeute dass nicht, dass Böhmermann zwangsläufig verurteilt werde. “Am Ende glaube ich, dass die Presse- und Meinungsfreiheit höher wiegt.”

Der TV-Sender ZDF hat die Zustimmung der deutschen Regierung für ein gesondertes Strafverfahren gegen Böhmermann als “politische Entscheidung” bewertet. Inhaltlich nahm der Sender am Freitag keine Stellung dazu und verwies auf das Justizverfahren. “Die Bundesregierung hat nach Paragraf 104a Strafgesetzbuch eine politische Entscheidung getroffen”, teilte das ZDF auf Anfrage mit. “Voraussetzung einer Strafbarkeit ist aber die Erfüllung des Beleidigungstatbestands. Dazu trifft die Entscheidung der Bundesregierung keinerlei Wertung. Das ist Aufgabe der Justiz.”

Merkel gibt Entscheidung bekannt – hier den Liveticker nachlesen!

(APA)

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