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Song Contest 2014: "12 Punkte für Toleranz"

Conchita Wurst holte Song Contest nach Österreich
Conchita Wurst holte Song Contest nach Österreich
Als Folge von Diskriminierungen hat Tom Neuwirth die Kunstfigur Conchita Wurst einst kreiert. Dass sein Sieg beim Song Contest daher auch ein gesellschaftspolitischer ist, darüber sind sich Fans, Aktivisten und Politiker einig. "Das, was Tom Neuwirth mit seiner Kunstfigur erreicht hat, kann man als Aktivist nie erreichen", zeigt sich der Wiener HOSI-Obmann Christian Högl im APA-Gespräch überzeugt.


Die Homosexuellen Initiative Wien (HOSI) misst dem ESC-Triumph von Conchita Wurst jedenfalls große Bedeutung bei: “Wir freuen uns enorm. Der Song Contest ist eine Unterhaltungsveranstaltung, letztendlich war es aber eine politische Botschaft”, so Högl. Er hoffe, dass der Sieg tatsächlich etwas bewirke – nämlich vor allem ein Umdenken bei all jenen, die noch gegen eine Gleichstellung etwa im Bereich des Eherechtes oder bei Schutz vor Diskriminierung seien.

Österreich solle hier mit Dänemark gleichziehen, dort sei dies bereits seit langem umgesetzt. Trotz der noch offenen Forderungen, so betonte der HOSI-Obmann jedoch, sei er mit der Situation in Österreich aber “sehr zufrieden”. Sein Kollege aus Oberösterreich, HOSI Linz-Vereinssprecher Rainer Bartel, dehnt die Hoffnung in einem Statement geografisch noch aus: “Die Menschen in Europa sind weiter – das zeigt der Sieg Conchita Wursts jedenfalls. (…) Langfristig werden sich die Sehnsucht nach einer toleranten Gesellschaft und der Wunsch nach selbstbestimmten Leben und individueller Freiheit nicht aufhalten lassen.”

Von “12 Punkten für Toleranz” sprechen die “austrian gay professionals” (agro) in einer Aussendung in Bezug auf die Höchstpunktzahl beim Song Contest. “Die breite Anerkennung, speziell seitens der Politik” schüre die “Hoffnung, dass Akzeptanz und Gleichstellung von Homosexuellen einen neuen und wertvollen Impuls bekommen haben”. Soho, die Organisation der Sozialdemokratischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen, sieht es “an der Zeit, dass Konservative ihren Widerstand gegen die Öffnung der Ehe, das volle Adoptionsrecht und die Diskriminierungsrichtlinie außerhalb der Arbeitswelt aufgeben”, so Peter Traschkowitsch, Bundes- und Wiener Landesvorsitzender der Soho.

Für Life Ball-Organisator Gery Keszler war der Triumph von Conchita Wurst “ein überwältigender Sieg”. “Sie hat mit ihrem Auftritt alle bestraft, die im Vorfeld geschimpft haben. Es war ein großartiges Signal vor 350 Millionen Menschen. Sie ist als Weltstar zurückgekommen”, meinte Keszler am Montag am Rande einer Pressekonferenz.

Optimiert gehöre jedenfalls der Diskriminierungsschutz hierzulande, mahnt Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) als Reaktion auf den Sieg Conchita Wursts in einer Aussendung ein. In der Arbeitswelt sei der Schutz vor Diskriminierungen aufgrund einer bestimmten sexuellen Orientierung zwar festgeschrieben, außerhalb aber nicht. “Die Gesellschaften in Europa und Österreich sind weiter als die Gesetze”, so Hundstorfer, der sich nach dem nun gesetzten Signal erhofft, “nun die Zustimmung der ÖVP zu dem längst fertigen Entwurf für einen besseren Diskriminierungsschutz zu bekommen”.

Laut Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP), der sich zuletzt entgegen der Parteilinie für ein Adoptionsrecht für Homosexuelle ausgesprochen hat, wurde der Nachdenkprozess in der Volkspartei jedenfalls schon eingeleitet. “Ich glaube, es gibt da entsprechende Prozesse, die wir eingeleitet haben, wo auch ich meinen Beitrag leisten werde”, so Rupprechter am Montag im Ö1-“Mittagsjournal”. Er wertet den Sieg Wursts als “richtige Botschaft des respektvollen Umgangs miteinander”, die auch “sehr nachhaltig” sei.

Bei einem ist die Botschaft scheinbar doch noch angekommen: Sogar Alf Poier, der sich im Vorfeld der Veranstaltung im Interview mit “Die ganze Woche” zu Ausfälligkeiten gegenüber Wurst hinreißen ließ, entschuldigte sich am Montag in einer Aussendung für seine “harte Wortwahl”. Er sei auf Grund seiner “polemisch gemeinten, aber zu hart rüber gekommenen Worte” von vielen instrumentalisiert worden. “Nur nicht von Dir selber!”, richtete Poier seine Worte an Wurst. “Das nenne ich wahre Toleranz. Du bist doch viel mehr als nur ein künstlich hochstilisiertes Toleranzpüppchen.”

Mit einem geteilten Echo aus Häme und Humor reagierten indes russische Medien auf Österreichs Sieg. Der Auftritt sei eine “Komödie”, aber auch eine “Ansage an die Feinde der Toleranz”, meinte die kremltreue Boulevardzeitung “Komsomolskaja Prawda” am Montag. In Polen sprach Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski vom “Verfall Europas”.

Als einen “Zirkus mit einer bärtigen Frau”, beschrieb das russische regierungsnahe Blatt “Iswestija” den Song Contest. Die russischen Zuschauer hätten allerdings Conchita bei ihrer Abstimmung immerhin auf den dritten Platz gesetzt, fügte “Iswestija” hinzu. “Sie haben also Humor, Toleranz und die Zuversicht geäußert, zur europäischen Zivilisation zu gehören”, schrieb das Blatt.

Einzelne prominente russische Politiker und die russisch-orthodoxe Kirche hingegen äußerten sich voller Abscheu.

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