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Sängerfest und Video-Kitsch: "Cosi fan Tutte" in Aix-en-Provence

Erst einmal hing die Premiere von Mozarts "Cosi fan Tutte" beim Festival in Aix-en-Provence an einem seidenen Faden. Zu Mittag des Premierentages am Freitag sagte Finnur Bjarnason krankheitsbedingt seinen Auftritt ab.

So wurde Tenor Pavol Breslik in Wien in ein Flugzeug gesetzt und nach Südfrankreich geflogen, wo er ohne eine einzige Probe einen verblüffend guten “Ferrando” gab. Die harmlose Geistlosigkeit der Abbas Kiarostami-Regie konnte Breslik aber natürlich nicht wettmachen.

Es ist das faszinierende und ewig heikle Spiel des Partnertausches, dem sich Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart in dieser Opera Buffa gewidmet haben, zugegeben, in einer manchmal haarsträubend unrealistischen Bühnendramaturgie. Aber immer wieder ist es guten Regisseuren mit dieser erst seit einigen Jahrzehnten fest im Repertoire etablierten Oper gelungen, die Zwischentöne herauszuarbeiten in diesem psychologisch halsbrecherischen Beziehungs-Experiment. Der 68-jährige iranische Film-Regisseur Abbas Kiarostami aber gab sich am ewig Menschelnden dieses Werkes konsequent desinteressiert.

Stattdessen versuchte er mit großflächigen Videos eine zweite Ebene zu schaffen. Im ersten Bild gelingt das, in dem er eine moderne Kaffeehaus-Szene hinter die inferiore Männerwette projiziert. Aber schon das zweite Video-Bild ist die Bucht von Neapel mit Ruderboot, und von da an geht es mit Vollgas in die illustrative Folklore. Die Atmosphäre dieser “Cosi” beginnt einem kitschig dekorierten Touristen-Restaurant im Fremdenverkehrs-Prospekt ähnlich zu werden.

Spießige Historien-Klamotten und Standard-Requisiten unterstreichen die unspannende Beziehungslosigkeit der Freunde und der beiden Schwestern zueinander, die immerhin die radikalste Form der persönlichen Austauschbarkeit verkraften müssen. Ein paar gute Gags trösten nur spärlich über diese geistige Nicht-Regie. Gerettet werden kann der Abend durch die wenigen lustigen Regie-Einfälle aber nicht. Das müssen die Musiker tun.

Da ist einmal der Slowake Pavol Breslik. Dass er sich so nahtlos in die Regie einfügt, ist eine bewundernswerte Leistung des Kurzzeitgedächtnisses, spricht aber andererseits nicht für den Varianten-Reichtum von “Cosi”-Inszenierungen im standardisierten Opernbetrieb. Bresliks schauspielerische Improvisationsfähigkeit, sein nicht großer jedoch sauberer Tenor und sein musikalisches Einfühlungsvermögen nötigen in jedem Fall Respekt ab.

Mehr als eine Talentprobe lieferte der 26-jährige Edwin Crossley-Mercer. Der französisch-stämmige Ire ließ einen sensationell großen und in allen Lagen ausgewogen klingenden Bariton hören. Abgesehen von ein paar Intonationsfehlern und einigen etwas hölzernen Passagen in Musik und Bewegung bot Crossley-Mercer die herausragende Sängerleistung dieses Abends.

Knapp dahinter die Ukrainerin Sofia Soloviy als Fiordiligi, deren Sopran in der mittleren Lage etwas knödelig klingt. Aber die Empfindsamkeit dieser Musikerin und ihre umwerfende, selbst im Pianissimo strahlende Höhe sorgten für die berührendsten Momente dieser südfranzösischen “Cosi”. Gut mithalten konnte auch “Dorabella” Janja Vuletic aus Kroatien mit etwas kleinerem und weniger tragendem, aber schön ausbalanciertem Mezzo. Auf insgesamt sehr hohem Niveau abgerundet wurde das Solisten-Ensemble durch “Despina” Judith van Wanroij und den stimmlich schon etwas kleineren, aber raffiniert musikalischen William Shimell als Don Alfonso.

Ebenso bestimmend für die alles in allem erfolgreiche Publikums-Bilanz dieser spießigen 08/15-Regie mit Video-Klecks waren Orchester und Dirigent. Erstaunlich, wie exakt die diesmal durch historische Blasinstrumente “verstärkte” Camerata Salzburg trotz des extrem in die Breite gezogenen Grabens zusammen gespielt hat. Über die Entfernung von etwa 25 Metern ist der akustische Kontakt zwischen den Musikern besonders schwierig. Aber Dirigent Christophe Rousset hat detailgenau geprobt, gute, meist mittel-schnelle Tempi gewählt und für überwiegend sängerfreundliche Abstimmung zwischen Bühne und Graben gesorgt. Applaus am Ende für ein Musiker- und Sängerfest und eine Regie die niemandem wehgetan, aber auch nichts – absolut nichts – beigetragen hat zu “Cosi fan Tutte”, zur Operngeschichte oder gar zur Frage der Austauschbarkeit in Liebesbeziehungen.

(Christoph Lindenbauer/APA)

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