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Sex überfordert die Jugend

Aids kümmert sie nicht. Sie verhüten auch selten. Sex überfordert die Jugend total. So lautet zumindest die Analyse der Sexualpädagogin Michaela Moosmann.

VN: Wie erleben Jugendliche heute ihre Sexualität?

Moosmann: Ich hab das Gefühl, sie sind komplett überfordert. Ich hatte grad eine Mädchengruppe. Alle 13, 15 Jahre alt. Alle sagten, sie hätten schon. Nur ein Mädchen nicht. Da war der Druck dann so groß, dass sie einfach mit einem Jungen ins Bett ging. Kam zurück, hat‘s erzählt und war fortan die Schlampe.

VN: Ist der Druck wirklich so groß?

Moosmann: Sie gelten doch sonst als Spätzünder. Dabei wird die Sexualität überhaupt nicht als lustvoll empfunden. Es ist meist nur ein „Hinter-sich-Bringen“. Bis zum zweiten Mal dauert‘s dann meist auch eine Weile.

VN: Haben die Jugendlichen realistische Vorstellungen, was sie erwartet?

Moosmann: Vielfach haben sie Illusionen. Dass sie einen Orgasmus haben werden, dass es nicht wehtut und überhaupt alles super ist. Und das ist dann nicht so. Sie tun zwar so, als wüssten sie alles. Aber im Grunde reicht eben eine Sexualpädagogik nicht, die nur auf die Biologie abstimmt.

VN: Mädchen und Buben wird kaum interessieren, dass Spermien u. a. auch Natrium, Kalium und Zink beinhalten.

Moosmann: Nein, dafür Buben wüssten gern, weshalb sie Nachts Samenergüsse haben. Und Mädchen muss man halt erklären, dass Regelflüssigkeit nicht nur rot sein muss. Ich hatte grade ein Mädchen im Gespräch, das geglaubt hat, sie löst sich auf, weil da auch Schleim mitgekommen war.

VN: Und das erste Mal? Geschieht das wirklich oft schon mit 13 Jahren?

Moosmann: Das ist total unterschiedlich je nach Schicht, in der die Jugendlichen zuhause sind. Besser Ausgebildete machen ihre ersten Erfahrungen später als Unterschicht-Kids.

VN: Haben sich die Rollenbilder verändert?

Moosmann: Die sind erstaunlich konstant geblieben. Jungs gelten als coole Typen, wenn sie rumbumsen, Mädchen als Schlampen.

VN: Dabei spielt Treue doch eine große Rolle.

Moosmann: Eine unheimlich große sogar, auch wenn die Beziehung nur zwei Wochen dauert. Jugendliche leben mehrheitlich in serieller Monogamie. Auch wenn sie dauernd erleben, wie Ehen kaputt gehen. Das steigert offenbar nur ihre Sehnsucht nach einer funktionierenden Partnerschaft.

VN: Die große „Bravo“-Studie sagt, dass 86 Prozent der Jugendlichen regelmäßig verhüten.

Moosmann: Das verblüfft mich total. Gerade beim ersten Mal würd ich sagen, dass 80 Prozent nicht verhüten. Und wenn mich ein 15-jähriges Mädchen fragt, ob eine Cola-Spülung auch gegen Schwangerschaft hilft oder ob die Pille einmal im Monat reicht . . . Oder das Rausziehen, der coitus interruptus als Schutz vor Schwangerschaft, das ist ja überhaupt der Hammer.

VN: Ist Aids ein Thema?

Moosmann: Aids interessiert sie überhaupt nicht. Sie wissen, was es ist, aber es betrifft sie nicht. Die Jugendlichen sind immer ganz schockiert, wenn man sagt, dass es noch nie so viele Aidskranke gegeben hat wie heute. Es ist echt unglaublich. Dabei nehmen ja auch die Geschlechtskrankheiten stetig zu.

VN: Und die Eltern, erleben Sie die als ratlos?

Moosmann: Oft schieben sie das Thema weg. Oder sie fragen sich, weshalb man überhaupt darüber reden soll. Da muss man doch nur in den Fernseher schauen.

VN: Aber das reicht wohl kaum.

Moosmann: Nein, natürlich nicht. Wir sollten die Kids in der Frage der Sexualität nicht alleine lassen, wir müssen sie begleiten. In jeder Schulstufe ein Tag Sexualpädagogik, das wäre richtig.

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