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"Gegen Masseneinwanderung": Schweizer stimmen für neue Zuwanderungsquoten

Die Schweizer entscheiden über die mögliche Wiedereinführung von Zuwanderungsquoten.
Die Schweizer entscheiden über die mögliche Wiedereinführung von Zuwanderungsquoten. ©EPA
Die Schweizer haben am Sonntag in einer Volksabstimmung einer Hochrechnung zufolge in einer äußerst knappen Entscheidung für eine Begrenzung der Zuwanderung in ihrem Land gestimmt.

[Update 17 Uhr] Die SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung ist laut Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs.bern sehr knapp angenommen worden. Die Hochrechnung lasse keinen Zweifel mehr zu, so Longchamp um 16.30 Uhr im Schweizer TV SRF. Demnach wurde die Initiative mit 50,5 bis 50,9 Prozent Ja angenommen.

Die Initiative war von der nationalkonservativen SVP eingebracht worden. SVP-Nationalrat Luzi Stamm sprach im Schweizer TV davon, dass er erst noch vorsichtig pessimistisch gewesen sei, aber nun habe man einen Erfolg. Das bedeute für die Regierung, den Bundesrat, “einen glasklaren Auftrag, neu mit der EU zu verhandeln, dass es nun statt Personenfreizügigkeit das Kontingent-Regime geben wird.”

Applaus von HC Strache

Wenig überraschend zeigte sich FPÖ-Obmann HC Strache in einer Aussendung erfreut über den Ausgang der Abstimmung in der Schweiz und bezeichnete das Ergebnis als “großen Erfolg”. Auch in Österreich würden sich seiner Ansicht nach die meisten Menschen für eine Begrenzung der Zuwanderung aussprechen, “aber die Bundesregierung verweigert den Österreicherinnen und Österreichern hartnäckig die direkte Demokratie.”

Mehrheit der Kantone offenbar dafür

Damit die Initiative angenommen wird, muss sowohl die Mehrheit der Schweizer Kantone als auch die Mehrheit der Wähler für die Initiative stimmen. Am frühen Nachmittag hatten die Auszählungen bereits ergeben, dass die Mehrheit der 26 Kantone mit Ja gestimmt hatte.

Befürworter nahmen ständig zu

Es zeichnete sich bereits im Vorfeld ab, dass in der Deutschschweiz viele Bürger dem Anliegen der Initiatoren zustimmen. Außerdem ist die Wahlbeteiligung mit voraussichtlich etwa 55 Prozent für Volksinitiativen extrem hoch. In Umfragen vor der Abstimmung lagen die Befürworter der Initiative “Gegen Masseneinwanderung” konstant unter der erforderlichen absoluten Mehrheit. Sie konnten allerdings in jüngster Zeit stark zulegen.

Die meisten Stimmberechtigten beteiligten sich schon vorher per Briefwahl an dem Volksentscheid. Der Abgeordnete der rechten Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), Hans Grunder, sagte der Zeitung “Schweiz am Sonntag”, bei einem Ja zur SVP-Initiative müssten außer dem einzigen SVP-Minister die übrigen sechs Minister wohl zurücktreten.

Die BDP lehnt die Initiative wie alle anderen großen Parteien ab. Auch die Regierung, Wirtschafts- und Industrieverbände sowie die Gewerkschaften riefen mit Verweis auf den Bedarf an Fachkräften in der Schweiz ihre Landsleute auf, mit Nein zu stimmen.

80.000 Zuwanderer pro Jahr

Seit dem Inkrafttreten der Abkommen über freien Personenverkehr mit der Europäischen Union 2002 haben sich jährlich 80.000 EU-Bürger in der Schweiz niedergelassen – zehn Mal so viel wie die Regierung in Bern prognostiziert hatte. Sollte sich die SVP mit ihrem Vorhaben durchsetzen, droht der Schweiz erheblicher Ärger mit der EU.

Brüssel will einen Verstoß gegen die Freizügigkeitsregeln nicht hinnehmen und stellt den privilegierten Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt infrage. Die Abkommen müssten dann neu ausgehandelt werden. Die Schweiz ist kein EU-Mitglied, wickelt aber den größten Teil ihres Handels mit EU-Staaten ab.

Zuwanderung laut SVP an allem schuld

Die SVP, stärkste Partei im Parlament, wirft der Regierung vor, die Kontrolle über ihre Zuwanderungsregeln verloren zu haben. Dies habe fatale Folgen, so etwa Niedriglöhne für einheimische Arbeiter, eine Überlastung der Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrssysteme, Wohnungsmangel, die Zubetonierung ganzer Landstriche und insgesamt eine Verschlechterung der Lebensqualität. Die SVP fordert daher die Wiedereinführung strenger Einwanderungsquoten.

Die Regierung – ihr gehört Ueli Maurer als SVP-Verteidigungsminister an – führt gegen die SVP ins Feld, dass die Zuwanderung die Grundlage für das im Vergleich zu seinen Nachbarn einmalige Wirtschaftswachstum in der Schweiz sei. Im Übrigen sei auch die Arbeitslosenrate in der Schweiz mit durchschnittlich 3,5 Prozent vergleichsweise niedrig.

Rund zwei Drittel EU-Ausländer

2013 waren in der Schweiz 1,88 Millionen Menschen Ausländer. Das entspricht einem Ausländeranteil von 23,5 Prozent an einer Gesamtbevölkerung von mehr als acht Millionen Menschen. Von den Ausländern stammen 1,25 Millionen aus der Europäischen Union. In Österreich leben rund 11,6 Prozent Ausländer.

In der Schweiz sind Italiener und Deutschen mit 291.000 beziehungsweise 284.200 Einwohnern am zahlreichsten vertreten. Es folgen den amtlichen Angaben zufolge die Portugiesen (237.000) und Franzosen (104.000).

Umfragen zufolge könnte es im italienischsprachigen Kanton Tessin am Sonntag mehr als 70 Prozent Ja-Stimmen geben. Dort hat sich die Zahl der aus dem benachbarten Italien zugewanderten Einwohner seit 2002 nach Angaben des Tessiner Abgeordneten Norman Gobbi verdoppelt.

Am Sonntag wurde außerdem über zwei weitere Themen abgestimmt. Bei der FABI-Vorlage (Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur) zeichnet sich ein Ja ab. Die Zustimmung dürfte über 60 Prozent liegen, sagte Claude Longchamp vom Forschungsinstitut gfs.bern im Schweizer Fernsehen SRF. Die Volksinitiative “Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache” wird einer ersten Hochrechnung zufolge deutlich abgelehnt. Die Wahlbeteiligung dürfte alle Erwartungen übertreffen und zwischen 55 und 60 Prozent liegen, so Longchamp weiter. (APA/AFP/sda/dpa)

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