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Schweiz stoppt Tiefenbohrung nach Erdbeben

Schweizer Erdwärmeprojekt: Behörden stoppten Tiefenbohrungen vorläufig.
Schweizer Erdwärmeprojekt: Behörden stoppten Tiefenbohrungen vorläufig. ©Stadt St.Gallen
Herber Rückschlag für die Geothermie: Nach Bohrarbeiten bebt am Bodensee in der Schweiz die Erde. Zahlreiche Nachbeben folgten. Die Schweizer Behörden stoppten daraufhin am Wochenende das Erdwärme-Projekt nahe St. Gallen.
Testbohrungen verursachen Erdbeben

Nach Angaben der Nachrichtenagentur sda folgten dem Erdbeben der Stärke 3,6 vom Samstag, das vom Bodensee bis ins Appenzellerland spürbar war, bis Sonntagnachmittag 17 schwache Nachbeben. Verantwortliche schließen demnach weitere Erdstöße nicht aus.

Das baden-württembergische Umweltministerium fordert Informationen über die Ursachen für das Erdbeben. Daraus ließen sich möglicherweise nützliche Erkenntnisse für ähnliche Projekte im Südwesten ziehen, sagte ein Sprecher von Minister Franz Untersteller (Grüne) der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. Bis genaue Angaben vorliegen, werde es aber wohl dauern.

Zukunft des Projekts völlig offen

Sichtbare Schäden hat das Beben sowie mehr als ein Dutzend kleinere Erdstöße am frühen Samstagmorgen nach ersten Erkenntnissen nicht verursacht. Ein Krisenstab will in den nächsten Tagen entscheiden, ob und wie es mit dem Erdwärme-Projekt weitergehen kann.

Gas in Bohrloch kontrolliert abgefackelt

Die Aufmerksamkeit auf dem Bohrplatz gelte ganz der Kontrolle des 4450 Meter tiefen Bohrlochs und der Planung der nächsten Maßnahmen. So sei das Bohrgestänge wieder eingebaut worden, heißt es im Communiqué. Dadurch konnten der Druck reguliert, die Interventionsmöglichkeiten verbessert und das im Bohrloch vorhandene Gas kontrolliert abgefackelt werden:

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schweiz459 ©Stadt St. Gallen

Die Druckverhältnisse in vier Kilometern Tiefe seien noch immer leicht labil. Weitere Mikrobeben und allenfalls spürbare Erschütterungen seien daher nicht auszuschließen, schreibt die Stadt. Für die Bevölkerung wurde eine Telefon-Hotline (0800 747 903) eingerichtet.

Erdbeben durch “absolute Notsituation”

Während der Vorbereitungen für Tests in mehr als 4000 Metern Tiefe sei am Freitag überraschend Gas mit hohem Druck in das Bohrloch gelangt, berichtete die sda unter Berufung auf einen der verantwortlichen Ingenieure. Als Gegenmaßnahme seien 650 Kubikmeter Wasser und eine schwere Bohrspülung in das Loch gepumpt worden, was die Erdstöße ausgelöst haben könnte.

Menschenleben in Gefahr

Es habe sich um eine “absolute Notsituation” gehandelt, sagte Ivo Schillig, Chef der St. Galler Stadtwerke. Im Interview mit der “Sonntagszeitung” rechtfertigt er laut sda die Gegenmaßnahme. Es habe ein großer Schaden gedroht, der die Bohranlage hätte zerstören können, sagte er. “Auf der Bohranlage waren Menschenleben in Gefahr.”
Er gab zu bedenken: “Wenn die Anlage durch den starken Gasdruck hochgegangen wäre, wäre wohl ein großer Krater entstanden. Es galt, die auf der Bohranlage beschäftigten Personen zu schützen.”

“Super-Gau” für St. Gallen

Stadtrat Fredy Brunner, Vorsteher der Technischen Betriebe und “Vater” des St. Galler Erdwärmeprojekts, sprach in einem Interview der “Ostschweiz am Sonntag” von einem “Super-Gau” für alle Beteiligten und für die St. Galler Bevölkerung. Am meisten Sorgen mache ihm im Moment die Ungewissheit.

Rückschlag für Geothermie in der Schweiz

Für die Präsidentin der Schweizerischen Vereinigung für Geothermie, Kathy Riklin, bedeutet das Erdbeben einen Rückschlag für die Geothermie in der Schweiz. “Ich erwarte nun genaue Abklärungen, warum es zum Erdbeben gekommen ist”, sagte die Zürcher CVP-Nationalrätin der Nachrichtenagentur sda.

Beim Bundesamt für Energie (BFE) wollte man nicht von einem Scheitern der Geothermie in der Schweiz sprechen. Es gelte, die Analyse des Vorfalls abzuwarten. “Erst dann können wir Aussagen über mögliche Auswirkungen machen”, sagte BFE-Sprecherin Marianne Zünd.

Der Bund will die Energiewende unter anderem mit der Geothermie schaffen: 5 bis 10 Prozent des Strombedarfs sollen künftig damit gedeckt werden. Neben dem grössten Projekt in St. Gallen ist eine weitere Großanlage in Lavey-les-Bains VD in fortgeschrittenem Stadium.

160-Millionen-Projekt mit Risiko

Für die Stadt St. Gallen ist das Geothermie-Projekt eine Chance, aber auch ein finanzielles Risiko: Die Stimmberechtigten sagten 2010 deutlich Ja zu einem Kredit von 160 Millionen Franken. Die Hälfte davon kosten die Tiefenbohrung und der Bau des Kraftwerks, nochmals 80 Millionen der Ausbau des Fernwärmenetzes.

Anfang März installierte die deutsche Itag Tiefbohr-GmbH im Sittertobel einen 60 Meter hohen Bohrturm. Arbeiter und Ingenieure standen seither rund um die Uhr im Einsatz.

Beben in heißer Projekt-Phase

Das Erdbeben kam just in einer heißen Phase: In den nächsten Wochen hätten Pumptests in über 4000 Metern Tiefe zeigen sollen, ob das erhoffte Heißwasser angezapft werden kann. Im Idealfall könnten damit mehrere tausend Gebäude geheizt und Strom erzeugt werden.

Geothermie-Projekt scheiterte bereits in Basel

In Basel war 2009 ein Geothermieprojekt nach Erdbeben gestoppt worden. Die Erdstöße erreichten dort eine Stärke von 3,4. Die sda zitiert den Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes, Stefan Wiemer, wonach das Beben von St. Gallen mit jenem von Basel vergleichbar ist.

(dpa/ sda/ red.)

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