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Schottland stimmt über Unabhängigkeit ab: Trennung nach 309 Jahren?

Referendum am 18. September über Loslösung vom Vereinigten Königreich.
Referendum am 18. September über Loslösung vom Vereinigten Königreich. ©AP
Einst trennte der Hadrianswall das Römische Reich und seine Provinz Britannien vom wilden Kaledonien im Norden der britischen Hauptinsel. Bis heute hat sich Schottland eine von England getrennte politische Identität bewahrt. Am 18. September sollen die Schotten auf Betreiben ihrer Regionalregierung in Edinburgh über die Unabhängigkeit abstimmen - mit ungewissem Ausgang.
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Die Einheit zwischen England und Schottland wurde – nach Jahrhunderten gemeinsamer Herrscher – 1707 mit dem “Act of Union” des Parlaments in London besiegelt. Das damals geschaffene politische Gebilde mit England und Wales heißt seither Großbritannien, es bildet gemeinsam mit Nordirland das Vereinigte Königreich unter der Herrschaft von Queen Elizabeth.

Bewegung startete in den 1970ern

Am Status quo wollte über Jahrhunderte kaum jemand etwas ändern, doch in den 1970ern flammte in Schottland eine nationalistische Bewegung mit neuer Stärke auf. Die linksgerichtete Schottische Nationalpartei (SNP) konnte dann die Empörung der Einwohner über die Budgeteinschnitte und Reformen der Regierung Margaret Thatchers in London geschickt nutzen. In den 1980er Jahren wurde die von der Industrie geprägte Wirtschaft Schottlands von den Sparmaßnahmen hart getroffen, mehr als ein Drittel der Werktätigen verlor ihren Job.

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scotland600 ©Schotten-Referendum: Noch viele offene Fragen. (Bild: AP)

Mehr Unabhängigkeit unter Tony Blair

Mit dem britischen Labour-Politiker und Premierminister Tony Blair, der selbst in Schottland geboren wurde, erhielt die Region mehr Unabhängigkeit von London. Seit 1999 tagt in Edinburgh ein Parlament, das über viele Belange Schottlands entscheidet. So schaffte Schottland die Studiengebühren an seinen Universitäten ab.

Der eher linksliberale Kurs der schottischen Politik ist bei den Wählern beliebt. Bei den Parlamentswahlen 2010 gaben die Wähler im Rest des Vereinigten Königreichs den Konservativen des nunmehrigen Premiers David Cameron eine Mehrheit, in Schottland schafften die Tories aber nur einen von 59 Sitzen. Die breite Mehrheit ging an die Schottische Nationalpartei und Labour.

Überraschender SNP-Sieg 2011

Bei den schottischen Wahlen im Jahr 2011 schnitt die SNP überraschend stark ab und errang erstmals eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Regierungschef Alex Salmond versprach daraufhin, eine langjährige Forderung umzusetzen und ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten.

London will Ergebnis anerkennen

Die großen Parteien in Großbritannien – Konservative, Labour und Liberaldemokraten – sprechen sich gegen eine Unabhängigkeit von Schottland aus. Die Regierung in London hat allerdings bekundet, das Ergebnis des Referendums anzuerkennen.

Mit der Kampagne “Better together” (“Besser gemeinsam”) kämpfen die Befürworter der Einheit um die Stimmen der Schotten. Bisher sprachen sich die Wahlberechtigten in Schottland in fast allen Umfragen gegen die Unabhängigkeit aus. Allerdings wurde der Unterschied zuletzt knapper. Eine Umfrage Mitte Juli des Instituts TNS unter 1.000 Schotten ergab 41 Prozent für “Nein” und nur 32 Prozent für “Ja”, der Rest zeigte sich unentschieden.

Kein Pfund mehr für die Schotten?

Zentraler Streitpunkt der Kampagne ist die Frage der Chancen für ein unabhängiges Schottland. Die Regierung in London droht den Schotten etwa damit, den Pfund als Währung im Fall der Unabhängigkeit zu verlieren. Die schottische Regierung hingegen will bei einem “Ja” eine Währungsunion mit London eingehen.

Queen soll Staatsoberhaupt bleiben

Eines soll allerdings gleich bleiben: Auch die schottischen Nationalisten wollen die Queen als Staatsoberhaupt behalten. Ohnehin haben sich Salmond und seine Nationalisten einen knappen Zeitplan gesetzt: Zwei Jahre nach dem Referendum sollen alle Schlüsselfragen geklärt und die Unabhängigkeit Schottlands nach genau 309 Jahren der Einheit mit England am 23. März 2016 ausgerufen werden.

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Schotten-Referendum:
Die offenen Fragen

Die geplante Abstimmung in Schottland über die Unabhängigkeit von Großbritannien am 18. September lässt viele Fragen über die Zukunft des nördlichen Inselteils offen. Wie sich die Loslösung geordnet schaffen lässt, die EU-Mitgliedschaft Schottlands künftig aussehen wird, bis hin zur Währung Schottlands und der wirtschaftlichen Zukunft. Hier einige wichtige Punkte:

ZUSTIMMUNG:

Die Schottische Nationalpartei (SNP) versprach nach ihrem eher überraschenden Sieg in den Wahlen zum Regionalparlament in Edinburgh 2011 ein Referendum über die Unabhängigkeit. Die Partei hat mit ihrem linksliberalen Kurs und ihrer gegen die konservative Regierung in London gerichteten Rhetorik viel Unterstützung zuhause. Allerdings spricht sich in Umfragen konstant eine Mehrheit der Schotten gegen die Unabhängigkeit aus – zuletzt sagte im Sommer des Vorjahres eine einzige Befragung einen hauchdünnen Vorsprung für das “Ja” zu einem losgelösten Schottland voraus. Ein knapper Ausgang nach einer hitzigen Kampagne könne darum Fragen nach der Legitimität des Votums aufwerfen, heißt es in Kreisen der Unabhängigkeits-Gegner.

ZEITPLAN:

Wenig Sicherheit gibt es für die Zeit danach. Die schottische Regionalregierung legte im Vorjahr in einem Weißbuch zum Referendum einen Zeitraum von zwei Jahren fest, in dem mit der Regierung in London als auch der EU über die Loslösung verhandelt werden soll. Im Frühjahr 2016 soll das britische Parlament einen Rechtsakt über die Unabhängigkeit beschließen. Damit wird der 1707 mit dem “Act of Union” erreichte Zusammenschluss von England und Schottland zu Großbritannien aufgelöst. An dessen 309. Jahrestag, dem 23. März 2016, soll die Unabhängigkeit ausgerufen werden. Im Mai sollen die ersten Wahlen in Schottland folgen. Kritiker halten den Zeitplan für unrealistisch, müssten doch Fragen wie die gemeinsamen Staatsschulden, der Zukunft des britischen Pfund und die Trennung des Sozialsystems geklärt werden. Politisch heikel ist auch, dass das Vereinigte Königreich spätestens bis Mitte 2015 ein neues Parlament in London wählen muss, in dem weiterhin schottische Abgeordnete sitzen. Politiker aus Schottland würden auf beiden Seiten über die Teilung mitbestimmen.

EU-MITGLIEDSCHAFT:

Mehrere Staaten, darunter Spanien, haben Widerstand gegen ein unabhängiges Schottland angekündigt. Man fürchtet, einen Präzedenzfall für Katalonien zu schaffen, das sich von der Regierung in Madrid lösen möchte. Juristen sind sich uneinig darüber, wie politisch und rechtlich komplex die Frage der Teilung Großbritanniens für die EU sein könnte – de facto könnte Schottlands Unabhängigkeit nämlich einen Austritt aus der Union bedeuten, wird nichts anderes ausverhandelt. Es müsste dann nach Artikel 49 des EU-Vertrages ein neuer Beitritt angesucht werden. Die Regierung in Edinburgh wünscht jedoch, dass bis zur geplanten Ausrufung der Unabhängigkeit 2016 eine EU-Vertragsänderung nach Artikel 48 verhandelt wird, die einen Verbleib in der EU ermöglicht, ohne um eine Neuaufnahme in die Union bitten zu müssen.

WÄHRUNG:

Die SNP möchte das britische Pfund als Währung auch nach der Unabhängigkeit beibehalten. Damit müsste der schottischen Regierung weiterhin Mitsprache in der Währungspolitik eingeräumt werden. Die britische Regierung lehnt eine Währungsunion mit Schottland ab. Finanzminister George Osborne erklärte im heurigen Februar: “Wenn Schottland das Vereinigte Königreich verlässt, dann verlässt es das britische Pfund.” Auch die schottischen Banken könnten damit den Schutz der Bank of England verlieren, befürchtet wird darum eine Abwanderung von Finanzdienstleistern aus Schottland nach Süden.

ATOMWAFFEN:

Die britischen Atomwaffen sind – als Teil des seegestützten Kampfsystems Trident – auf die schottischen Stützpunkte Coulport und Clyde konzentriert. Eine Variante ist eine bilaterale Vereinbarung zwischen Schottland und dem Rest von Großbritannien, die britischen Stützpunkte auch nach der Unabhängigkeit zu erhalten. Bisher kündigte die SNP jedoch an, Schottland frei von Atomwaffen zu machen. Militärs warnen in dem Fall vor Schwierigkeiten beim Erhalt des britischen Nuklearpotenzials, da es an passenden Standorten fehlt.

STAATSSCHULDEN:

Als einfachste Variante gilt die Aufteilung aller britischen Staatsschulden nach der Zahl der Einwohner. Dem nur fünf Millionen Menschen starken Schottland käme demnach laut Zahl des britischen “Economist” zwischen 121 und 143 Milliarden Pfund (152,86 Mrd. und 180,66 Mrd. Euro) an Schulden zu, dies würde den neuen Staat mit einer Schuldenquote von 73 und 86 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) belasten. Es könnten aber auf beiden Seiten noch Forderungen erhoben werden, heißt es.

WIRTSCHAFT:

Das ölreiche Schottland ist im Schnitt wohlhabender als England und Wales, allerdings werden dem Land demografische Probleme vorausgesagt. Die Öleinnahmen betrugen zuletzt 6,5 Milliarden Pfund (8,21 Mrd. Euro) im Jahr, die schottische Regierung rechnet mit höheren Einnahmen in den Jahren nach der Unabhängigkeit. Einer Schätzung des unabhängigen Office for Budget Responsibility in London nach beträgt die Zahl der Einnahmen für 2017 und 2018 jedoch nur je 3,4 Milliarden Pfund – Schottland könnte in Budgetschwierigkeiten geraten. Sorgen gibt es auch wegen der Überalterung der Gesellschaft – kommen heute noch 3,2 Arbeitskräfte auf einen Pensionisten, sind es 2037 nur noch 2,6 Beschäftigte.

(APA)

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