Österreich fordert, dass sich die EU-Außenminister an den Beschluss des EU-Parlaments halten, das ein Einfrieren der Beitrittsgespräche mit Ankara verlangt hat. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte an, gegen die EU-Erklärung stimmen zu wollen, wenn diese im Widerspruch zu dem Parlamentsbeschluss stehe und die Realität in der Türkei nicht berücksichtige. Die slowakische EU-Ratspräsidentschaft führt derzeit weiter Gespräche, hieß es in Ratskreisen. Aus Kreisen der Präsidentschaft hieß es, dass für die anderen Delegationen ein “Einfrieren” in dem Text zur EU-Erweiterungspolitik keine Option sei.
Signal des Europäischen Parlaments nicht ignorieren
“Das Europäische Parlament hat ein mutiges und richtiges Signal gesetzt. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Außenminister ist, dieses Signal zu zerschlagen”, sagte Kurz, der daran erinnerte, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Entschließung des Europaparlaments als irrelevant bezeichnet und der EU-Volksvertretung Terrorismus-Unterstützung vorgeworfen hatte. “Es wäre nicht angebracht, das Europäische Parlament links liegen zu lassen und zu zeigen, es ist wirklich irrelevant”, betonte der Außenminister.
Deutschland will Dialog nicht abbrechen lassen
Größter Befürworter einer Beibehaltung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist nach Angaben von Diplomaten Großbritannien. Auch Deutschland und Frankreich lehnen ein Aussetzen der Türkei-Gespräche ab. Der französische Europaminister Harlem Desir sagte am Dienstag in Brüssel: “Man darf nicht den Dialog suspendieren, aber man muss klar sagen, dass die Distanzierung, die Herr (der türkische Präsident Recep Tayyip, Anm.) Erdogan zwischen der EU und der Türkei vornimmt, seine Verantwortung ist, und dass der Dialog in aller Klarheit geführt wird über die Grundsätze und über die Werte.”
Kurz spricht Klartext
Auch der deutsche Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, warnte davor, dass Europa der Türkei die Türen zuschlage. “Wir sind uns im Klaren, dass die Lage in der Türkei nicht gut ist, und wir haben deutliche Kritik geäußert. Aber aus dieser Kritik sollte sich nicht schlussfolgern, dass wir eine Tür zuschlagen”, sagte Roth.
Kurz hielt entgegen, dass es überhaupt nicht darum gehe, Türen zuzuschlagen oder nicht mehr im Gespräch zu bleiben. “Es ist ein großer Unterschied, ob man mit einem Staat im Dialog steht, oder ob man einem Staat vorgaukelt, dass der Beitritt in die Europäische Union nahesteht.”
Der österreichische Außenminister schloss einen Kompromiss zu der geplanten EU-Erklärung zur EU-Erweiterungspolitik nicht aus, stellte dafür aber Bedingungen. “Die gemeinsame Linie sollte nicht dem Europäischen Parlament widersprechen, und sie sollte nicht fernab von der Realität in der Türkei sein.”
Türkei habe sich von der EU weg entwickelt
Dass Europa bei einem Verhandlungsstopp an Einfluss in der Türkei verliere, sei ein Argument, so Kurz. “Aber ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Verhandlungen positive Auswirkungen auf die Situation in der Türkei hatten.” Die Türkei habe sich kontinuierlich immer weiter Weg von der Europäischen Union entwickelt, “und in den letzten Monaten hat diese Entwicklung an Dramatik und an Tempo auch noch stark zugenommen”. 100.000 Menschen seien eingesperrt worden, es gebe fast keine freie Medienlandschaft mehr, die politische Opposition werde eingeschüchtert. “Worauf wollen wir warten?”, so Kurz.
Gemeinsame Entscheidung
Es sei auch nicht nur eine Entscheidung türkischer Vertreter, ob die Türkei der EU beitreten soll, sagte Kurz. “Das ist schon auch eine Entscheidung von uns in Europa.” Es gibt auch keine einheitliche Meinung in der türkischen Opposition. Es selbst bekomme viel positives Feedback aus der Türkei, in dem ihm gedankt werde, dass man nicht über die Entwicklungen hinwegsehe.
Die Türkei-Frage dürfte jedenfalls auch den EU-Gipfel am Donnerstag überschatten. Weitere Themen der noch 28 Staats- und Regierungschefs betreffen die Migration und die Sicherheit sowie den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Anschließend steht bei einem informellen Treffen der 27 ohne Großbritannien der Brexit auf der Tagesordnung.
(APA/ag.)
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