AA

Osttimor: Kein Ende der Ausschreitungen

In Osttimor ist es auch Dienstag wieder zu schweren Ausschreitungen gekommen. Australien und Neuseeland verstärken daher auch weiter ihre Kontingente.

In dem ehemaligen portugiesischen Territorium, das über ein Vierteljahrhundert von Indonesien besetzt war und seit vier Jahren unabhängig ist, lieferten sich rund 2000 Soldaten der multinationalen Eingreiftruppe unter australischem Oberbefehl Straßenschlachten mit Jugendbanden, die plündernd und brandschatzend durch die Hauptstadt Dili zogen. Nach Einschätzung eines hohen australischen Offiziers gelang es den ausländischen Soldaten inzwischen allerdings, die Oberhand über die marodierenden Jugendlichen zu gewinnen: „Sie sind entweder durch unsere Soldaten entwaffnet worden, oder sie haben die Warnung verstanden und sind ebenfalls nach Hause gegangen.“

In den vergangenen Tagen hatten die Unruhen zu einer Massenflucht der osttimoresischen Zivilbevölkerung geführt. Jeder zehnte Bewohner – bis zu 100.000 Menschen – sei aus den Städten und Dörfern geflohen, schätzte die neuseeländische Regierung. Neuseeland und Australien gaben weitere Truppenentsendungen bekannt. Auch die ehemalige Kolonialmacht Portugal wollte 120 Polizeibeamte nach Osttimor schicken. Bisher sind etwa 2000 Soldaten aus Australien, Malaysia, Neuseeland und Portugal in dem Land stationiert. Die Europäische Union äußerte sich in einer Erklärung der österreichischen Ratspräsidentschaft besorgt über die sich verschlechternde Sicherheitslage und rief alle beteiligten Parteien auf, von jeder neuen Gewaltanwendung Abstand zu nehmen und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Ruhe beizutragen.

Ausgelöst wurden die Unruhen durch die Entlassung von 600 streikenden Soldaten. Diese warfen der Regierung Diskriminierung vor, da sie angeblich wegen ihrer Herkunft aus dem Westen des Landes bei Beförderungen übergangen worden sind. Zudem gab es Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Armee- und Polizeieinheiten. Das entstandene Machtvakuum war von kriminellen Banden gefüllt worden.

Das politische Schicksal von Ministerpräsident Mari Alkatiri war zunächst unklar, der die Entlassungen der Soldaten im März beschlossen hatte und unter zunehmendem Druck steht. Krisengespräche über einen möglichen Rücktritt, den Alkatiri ablehnt, zogen sich hin. Wie die portugiesische Nachrichtenagentur Lusa unter Berufung auf Teilnehmer berichtete, zeichnete sich als Lösung eine Regierungsumbildung ab, bei der Alkatiri weiter Ministerpräsident bliebe, Staatspräsident Xanana Gusmao jedoch das Kommando über Armee und Polizei erhielte.

Mit einem verzweifelten Aufruf hatte sich Gusmao am Vortag an die Bevölkerung gewandt. „Bitte versöhnt euch, seid ruhig und helft anderen, ruhig zu sein“, sagte der Unabhängigkeitsheld einer vor dem Präsidentenpalast in Dili versammelten Menge. Die UNO hatte am Sonntag große Teile ihrer Mitarbeiter abgezogen.

Osttimor (Timor Leste) ist mit 15.000 qkm kleiner als Niederösterreich und war von 1520 bis 1975 portugiesisch. Nach der Ausrufung der Unabhängigkeit durch die Befreiungsbewegung „Fretilin“ marschierten indonesische Truppen ein. Die Besatzungsarmee machte sich schwerster Menschenrechtsverstöße schuldig. Erst nach dem Zusammenbruch der Suharto-Diktatur einigten sich Indonesien und Portugal unter UNO-Vermittlung auf ein Selbstbestimmungs-Referendum in Osttimor im August 1999, doch die Besatzungsarmee und von ihr gesteuerte Milizen überzogen daraufhin die Inselhälfte mit einer Welle der Gewalt. Etwa 250.000 Menschen mussten fliehen, viele wurden von der Besatzungsmacht nach Westtimor vertrieben oder verschleppt. Eine multinationale Eingreiftruppe unter Führung Australiens setzte dem Morden ein Ende. Im Mai 2002 wurde Osttimor nach einer UNO-Übergangsverwaltung eine unabhängige Republik.

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Welt
  • Osttimor: Kein Ende der Ausschreitungen