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Oper so wie früher: Mutis "Otello" in Salzburg

Wie nicht anderes zu erwarten ist der Salzburger "Otello" ganz von Dirigent Riccardo Muti und seiner bekannt konventionellen Einstellung zur Oper geprägt. Archiv: Proben-Bilder 

Der erste Eindruck versuchte zu täuschen: Eine schräge Glasfläche auf einem Marktplatz, der von plattenbau-artigem Gemäuer gesäumt wird. Das brausende Meer, auf dem Otello die Türken schlägt, kommt per Video, und einen richtigen Mohren gibt es auch nicht. Otello schmiert sich die schwarze Farbe erst später ins Gesicht. Zum Zeichen seiner Selbsterniedrigung. Sonst fehlt dieser Neuproduktion des Eifersuchtsdramas von Giuseppe Verdi und William Shakespeare jegliche interpretatorische Idee. Ein “Otello”, das hatte Regisseur Stephen Langridge ja schon im Vorfeld angekündigt, wie er eben ist.

“Wie er eben ist” – zumindest in den Augen von Operntraditionalisten wie Riccardo Muti, der diesen “Otello” erwartungsgemäß nach vorne an die Rampe gezerrt hat. Dort wird mit dem Degen gefuchtelt, und ein katholisch-martialisches Schwert Marke “Nothung” gibt sich ein altbackenes Stelldichein mit allerlei Verstaubtem aus dem Fundus. Vor allem aber lähmt die Personen-Regie, weil sie nichts enthält als opereske Klischees in der Originalzeit des Stücks.

Alle im Wiener Staatsopern-Chor müssen gleichzeitig die Arme heben und auf dramatisch machen. Zwischentöne werden übertrieben und grob niedergebügelt, und manchmal singen die Helden arien-lang vor geschlossenem Vorhang, damit nichts vom Gesang ablenken möge. Dahinter tut sich ohnehin nicht viel. Otello rast und wütet, aber sonst gibt es keine lebendigen Menschen auf der Bühne, sondern nur stereotype Figuren, die ihre Arbeit verrichten und ihr Drama abspulen. Und dann, kurz vor der Pause, wirft der krankhaft Eifersüchtige eine Skulptur an die Wand und es regnet Riesenmengen Sand auf die Bühne – wie Karajans Asche in einem Steinzeit-“Otello”.

Kraft hat dieser “Otello” aber schon auch, und es ist nicht zu leugnen, dass das Unterordnen interpretierender Regie Räume der Aufmerksamkeit schafft für die Musik (und ihre Maestros). Die Intensität des Gefühls ist – wenn auch eindimensionaler – leichter vermittelbar, wenn ein Sänger frontal ins Publikum schmettern darf und dabei schauspielerisch bloß leidend torkeln oder die Hände ringen muss. Und diese emotionale Lautstärke hatte ihr Pendant in den Wiener Philharmonikern.

Muti, der diesen “Otello” mehr geprägt haben dürfte als Regisseur Langridge, Bühnenbildner George Souglides oder Emma Ryott mit ihren textilen “Gustostückerln” aus dem Kostüm-Fundus, hat das Orchester groß, ja schier ungebremst aufspielen lassen. Mächtig und klanggewaltig tönte es aus dem Graben, schneidendes Blech, wuchtige Trommeln, satte Streicher – wer da nicht mithalten kann, ist selber schuld. Muti hat auf die Sänger nicht die geringste Rücksicht genommen und die meisten von ihnen dynamisch förmlich an die Wand genagelt.

Die haben der gnadenlosen Kraft aus dem Orchestergraben aber leider auch nicht viel entgegen halten können. Außer Marina Poplavskaya als Desdemona, deren tragender, dunkel timbrierter und blitzsauberer Sopran in allen Lagen funktionierte. Ihre Stimme war die einzige, die nicht permanent überdeckt wurde. Am nächsten kam ihr Carlos Alvarez als Jago, aber viel vom Charakter seines Baritons blieb im orchestralen Getöse nicht mehr übrig. Barbara Di Castri (Emilia), Stephen Costello (Cassio), Antonello Ceron (Roderigo) und Mikhail Petrenko (Lodovico) haben ihre mittelgroßen Partien wennschon nicht begeisternd, so zumindest recht anständig bewältigt. Aber Aleksandrs Antonenko war in der Titelrolle definitiv überfordert, selbst wenn man sich Mutis dynamische Sänger-Ignoranz auf ein Normalmaß zurecht denkt. Dem jungen Antonenko fehlt es noch an Größe und Strahlkraft, um das Große Festspielhaus mit Klang zu füllen. Mit dieser Solisten-Leistung fiel das Sängerfest aber ins Wasser und damit auch die einzig plausible Begründung für das gänzliche Fehlen einer inspirierten, an Schauspiel und Musik gleichermaßen orientierten Regie-Idee.

Dieser alles in allem eher eindimensional-grobe und laute “Otello” hat dennoch seine Fans gefunden. Schon viele Takte vor dem leise-verklingenden Schluss der Oper gab’s die ersten kreischend-hysterischen Bravos, womit das bisschen Stimmung dieses Tragödien-Abends auch noch niedergemetzelt war. Doch lange hielt sie nicht, die Begeisterung. Schon nach einem einzigen Vorhang und ein paar reflexartigen Buhs für den ohnehin kaum sichtbaren Regisseur hat das Publikum die Künstler in die Garderobe entlassen.

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