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"Notizen an Tobias": Umgang mit dem Suizid des Sohnes

Golli Marboe über den Suizid seines Sohnes.
Golli Marboe über den Suizid seines Sohnes. ©Residenz Verlag
Tobias Marboe beging am 26. Dezember 2018 Suizid. Sein Vater Golli Marboe, freier Journalist und Filme-Macher, hat den Tod seines Sohnes in dem Buch "Notizen an Tobias" behandelt. VIENNA.at hat es gelesen.

Wie schreibt man eine Rezension über ein Buch, indem der Autor den Suizid des eigenen Sohnes thematisiert? Kein leichtes Unterfangen. Im Buch "Notizen an Tobias - Gedanken eines Vaters zum Suizid seines Sohnes" beschreibt Golli Marboe, wie es ihm nach dem Tod seines Kindes ging. Das Resümee vorneweg: Seine Erzählungen sind berührend, bedrückend und bewusstseinsschaffend.

„Pagageno-Effekt“: Enttabuisierung von Angst, Depression und Suizid

Tobias Marboe hat am 26. Dezember 2018 Suizid begangen. Sein Vater Golli Marboe beginnt nach diesem Tag Notizen an ihn zu schreiben und bezieht ihn weiterhin in seinen Alltag mit ein. Während über Suizide oft aufgrund des "Werther-Effekts" (=Nachahmungs-Effekt) nicht berichtet wird, setzt Golli Marboe vielmehr auf den "Pagageno-Effekt". Bei diesem geht es um eine angemessene Form bei der Berichterstattung: Themen wie Angst, Depression und Suizid sollen dabei enttabuisiert werden.

Während dem Lesen erfährt man nicht nur einiges über Tobias und seine Kreativität, die sich in Form von Liedern, Video- und Kunst-Projekten ausgedrückt hat. Man erfährt auch viel über die Gedanken, Zweifel und Vorwürfe von Hinterbliebenen - in diesem Fall von Golli Marboe. Ich lese beruflich und privat sehr viel, aber selten habe ich ein Buch gelesen, wo ein Autor sich durchgehend so verletzlich macht. Er richtet seine Notizen an Tobias und reflektiert darin über die Vergangenheit, aber auch wie eine Zukunft aussehen kann und wird. Marboe zeigt eigene Schwächen und mögliche Versäumnisse auf, wie man diese wohl selten der Öffentlichkeit Preis gibt. Gerade diese Tatsache nimmt den Leser und die Leserin mit, fesselt und lässt sehr stark mitfühlen.

„Notizen an Tobias“: Bedrückend, berührend, bewusstseinsschaffend

An einer Stelle im Buch nimmt der Autor die Buchstaben seines Nachnamens her, um über erlebte Momente noch einmal zu reflektieren. Hier mache ich es mir leichter, ich nehme drei „B“, um zusammenzufassen, was ich mir aus diesem Buch mitnehme.

  • B wie bedrückend: Wie könnte es anders sein? Ein Suizid ist schrecklich und schrecklich traurig. Einerseits die Fragen, die quälen: Was hat Tobias so traurig gemacht? Dann der Schmerz und die Vorwürfe von und an Hinterbliebene. Golli Marboe beschreibt authentisch, welche Gedanken ihm durch den Kopf gehen, wie er sein Leben jetzt sieht und wo er aus einer Retrospektive anders gehandelt hätte.
  • B wie berührend: Das Buch ist nicht nur aufgrund der Traurigkeit berührend. Sondern auch weil es das Wesen und die Arbeit von Tobias ehrt. Und auch zu lesen, welche Liebe zu Tobias die gesamte Familie zu leiten scheint, lässt mich als Leserin nicht unbeeindruckt zurück.
  • B wie bewusstseinsschaffend: Den Papageno-Effekt kannte ich bisher nicht. Doch für mich hat er sich bewahrheitet. Ich glaube, neue Einblicke bekommen zu haben, Auslöser von Depressionen besser nachvollziehen zu können und bin hoffentlich offener, die Dringlichkeit von Hilfe zu erkennen. Marboe thematisiert auch immer wieder die Rolle der Politik und der Gesellschaft und welche Rolle sie bei dieser Thematik spielen – keine umdeutende. Auch wenn ich Tobias nicht kannte, lässt mich sein Tod betroffen zurück. Ich möchte nicht in einer "Mehrheits-Gesellschaft" leben, die einigen das Leben unmöglich macht. Hier sollte sich etwas tun, in unserer Gesellschaft sollte doch jeder und jede Platz haben.

Buchtipp:
Titel: "Notizen an Tobias - Gedanken eines Vaters zum Suizid seines Sohnes"
Autor: Golli Marboe
Verlag: Residenz Verlag
ISBN: 9783701735143
Seiten: 224

(Red)

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