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Noch ein berühmter Zweihundertjähriger

Roland Koch vom Burgtheater las die Büchner-Erzählung „Lenz“.
Roland Koch vom Burgtheater las die Büchner-Erzählung „Lenz“. ©Emir Uysal
Im Theater am Saumarkt fanden die 20. Feldkircher Literaturtage im Zeichen Georg Büchners statt.
20. Feldkircher Literaturtage im Zeichen Georg Büchners

Feldkirch. (sch) Giuseppe Verdi und Richard Wagner, beide im Jahre 1813 geboren, sind mit ihren 200. Geburtstagen heuer in der Musikwelt wahrlich omnipräsent.

Nun, die deutsche Literatur kann auch einen zweihundertjährigen Großen feiern: den Hessen Georg Büchner (1813-1837), der, zwar früh verstorben und deshalb mit schmalem Oeuvre, ein stilistisch prophetischer Dichter mit Vorgriffen auf den Naturalismus und Expressionismus des 20. Jahrhunderts war. Die in diesem Jahr schon 20. Feldkircher Literaturtage am Saumarkt waren vom 17. bis 20. April mit anspruchsvollem Programm Georg Büchner gewidmet. Der Gast des Eröffnungsabends war die prominente deutsche Büchner-Expertin Ariane Martin, Professorin für neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Mainz. Philipp Schöbi von der Literaturgruppe skizzierte Leben und Schaffen Georg Büchners, den er als „Meteor, eine literarische Himmelserscheinung, die rasch verglühte, aber mit starker späterer Nachwirkung, nannte. Die Büchner-Tage am Saumarkt standen unter dem Motto „Blut, Wut & Mut“, was das geistige Profil Büchners markant charakterisierte. Büchner, der politische Rebell, der Verfolgte, der Naturwissenschaftler, der Philosoph, der epochale Dramatiker…

 

Würmer, Sex und Tod

Ariane Martin, die profunde Büchner-Expertin, betitelte ihren Vortrag mit „Unzucht mit den Würmern (Sexualität und Tod bei Georg Büchner)“. Anhand eines Zitates aus Büchners dramatischem Hauptwerk „Dantons Tod“ entwickelte sie penibel eine schillernde Textexegese. Sexualität und Tod als Verschränkung in „Dantons Tod“ ebenso präsent wie in der Marie-Handlung im „Woyzeck“ behandelte Martin exemplarisch in folgender Szene IV77. Auf dem Revolutionsplatz im Schatten des Schafotts ruft ein Weib aus dem Volk Danton zu: „ He Danton, du kannst jetzt mit den Würmern Unzucht treiben.“ Die deftige, schon naturalistische Diktion missfiel Büchners Entdecker Karl Gutzkow bzw. der Zensur, sie weist aber präzis auf den bei Büchner letalen Aspekt der Sexualität hin. Bei „Woyzeck“ ist es der Eifersuchtsmord an Marie, im „Danton“ ist sein Tod die Fortsetzung seines sexuellen Lotterlebens, der „Unzucht“ mit Grisetten, allerdings nun – grausig, makaber – mit den (lebenden !)Würmern.

Ariane Martin nahm dieses Büchner-Zitat als Ausgangspunkt für Exkurse zum politisch-sozialen Engagement des rebellischen Dichters, sprach über seine „körperbezogene“ Diktion mit schon hochmodernen expressionistischen Bildern, die gerade in seiner einzigen Erzählung „Lenz“ relevant sind.

 

Roland Koch las „Lenz“

Roland Koch, der 1959 geborene prominente Schweizer Theater-, Film-und TV-Schauspieler („Tatort“ mit Partnerin Eva Mattes etc.), Burgtheater-Mitglied seit 1999, konnte als Rezitator für die Erzählung „Lenz“ (1835) von Büchner am 2. Literaturtag gewonnen werden. Es handelt sich um den historischen Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) und seine fortschreitende psychische Erkrankung, die sich in Wahnvorstellungen äußert. Innen-und Außenwelt fließen ineinander, Vernunft und Wahnsinn verlieren ihre Grenzen. Eine furiose Landschaftsbeschreibung ist berühmt geworden. Die Erzählung kündet faszinierend von der zerrissenen Persönlichkeit des Dichters Lenz während einer wechselvollen Wanderung nach Straßburg. Roland Koch rezitierte in noblem Burgtheater-Deutsch; der pulsierende, bisweilen höchst expressive Text entbehrte aber des dramatischen Impetus des Lesers. Der Schweizer Musiker Markus Gsell untermalte die Lesung mit seiner Bassklarinette und imaginierte die Tragödie des Dichters Lenz mit aufwühlenden Klängen.

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