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"Niemand will sich mit mir anlegen!"

"Ich bin offensichtlich ein sehr fantasievoller Mensch, getrieben von meinem inneren Impetus. "
"Ich bin offensichtlich ein sehr fantasievoller Mensch, getrieben von meinem inneren Impetus. " ©Wann&Wo/MiK
Der Feldkircher Künstler Gerold Hirn ist dafür bekannt, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Im WANN & WO Sonntags-Talk spricht er über seinen Ruhestand, ein bewegtes Leben und die eine oder andere Auseinandersetzung. ¬

WANN & WO: Vor zwei Wochen haben Sie Ihren 70. Geburtstag gefeiert. Wie blicken Sie auf Ihr Leben zurück?

Gerold Hirn: Das ist sonderbar, ich habe die Jahre von 50 bis 70 im Prinzip nicht als Zeit wahrgenommen. Der 70. Geburtstag ist über mich gekommen, wie der 14. Juli über Paris. (Sturm auf die Bastille 1789. Anm. d. Red.).

WANN & WO: Die Ausstellung im Palais Liechtenstein ist eine Hommage an Ihr Lebenswerk.

Gerold Hirn: Es ist nur ein Ausschnitt, da gibt es schon noch mehr. Ich habe in den vergangenen 15 Jahren 1500 Werke geschaffen. Jährlich mache ich über 100 Bilder. Ich habe ja keine Hobbys, ich tu’ ja nichts. Ich habe kein Segelboot und keine Yacht.

WANN & WO: Woher kommt dann die Inspiration für so viele Bilder?

Gerold Hirn: Ich bin offensichtlich ein sehr fantasievoller Mensch, getrieben von meinem inneren Impetus. Mit anderen Worten: Ich tu’ das halt gern. Ich habe ein großes Atelier, arbeite wie in Trance mit Klassischer Musik nebenbei. Außerdem höre ich Bücher. Mehrfach den Zauberberg, aber auch Sachen von Michael Köhlmeier, die ich niemals lesen könnte.

WANN & WO: Sie wurden mit Ihrem Buch „Hirnsprünge“ vor Kurzem auch wieder literarisch tätig. Ist das Buch eine Autobiografie?

Gerold Hirn: Zum Teil, ich habe aber alles Mögliche hinein geschrieben, ohne Konzept. Das ist wirr und durcheinander, ich habe aber recht gute Kritik bekommen.

WANN & WO: Kurz nach der Veröffentlichung hieß es, dass Sie mit einem Shitstorm und auch mit Anzeigen rechnen. Ist da etwas gekommen?

Gerold Hirn: Ich habe verschiedene Leute heftig angegriffen. Aber die haben nichts unternommen, offenbar weil sie wussten, dass ich Recht habe. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich ein bisschen fighten könnte, man provoziert ja nicht umsonst. Irgendwie war ich enttäuscht, dass Shitstorm und Anzeigen ausgeblieben sind.

WANN & WO: Was war die Intention des Buches?

Gerold Hirn: Es war nicht als Abrechnung gedacht. Ich habe auch viele unnötige Sachen hinein geschrieben. Kuriose Dinge, wie die Strecke, die eine weibliche Brustwarze beim 1000-Meter-Lauf zurücklegt – auf und ab. Es sind 87 Meter! Jetzt verstehe ich, warum Frauen, die keinen Sport-BH kennen, ihre Strumpfhose über den Busen ziehen müssen. Viele amüsieren sich darüber, weil ich mir kein Blatt vor den Mund nehme. Mir geht es mit Menschen, die sagen, was sie denken, gleich. Ein bisschen Zivilcourage ist immer lustig. Bei manchen Sachen bin ich vorsichtiger, schon allein weil ich Jurist bin. Wenn ich etwas aber mit Sicherheit weiß, spreche ich es aus. Bei manchen Dingen warte ich nur noch darauf, dass sie von jemandem aufgegriffen werden.

WANN & WO: Sind Sie, wie es auch auf dem Buchumschlag heißt, „rotzfrech und nachtragend“?

Gerold Hirn: Das Buch ist frech, nachtragend auch. Die Sachen liegen zum Teil 30 Jahre zurück, wie diese Kunsthausmisere. Das Kunsthaus war ursprünglich Feldkirch zugesprochen. Der Bregenzer Bürgermeister Mayer hat unseren ausgetrickst. Das hat mich sehr berührt, weil es eine große Chance für meine Heimatstadt gewesen wäre. Da sieht man, was so ein Haus bewirkt. In Bregenz gäbe es ohne Kunsthaus nur zwei, drei Sehenswürdigkeiten: im Sommer ein bisschen Festspiele, die Sonnenkönigin und den Milchpilz.

WANN & WO: Dann muss man sich aber nicht über Gegenwind wundern.

Gerold Hirn: Mich wundert, dass es ihn nicht gegeben hat. Es will sich offensichtlich niemand mit mir anlegen. Ich würde das als Sport sehen. Aber ich weiß, dass ich jeden Prozess gewinne und das wissen die anderen auch.

WANN & WO: Vor 20 Jahren hat Sie die Vereinigung Bildender Künstler in Vorarlberg als Mitglied abgelehnt, weil Sie Anwalt und nicht Künstler seien.

Gerold Hirn: Viele Künstler waren Bankangestellte, Weinhändler, Anwälte usw. Noch mehr haben keine Kunstakademie gemacht. Die Berufsvereinigung verstehe ich zwischenzeitig besser, weil es einen sozialversicherungsrechtlichen Hintergrund hat. Mich hat erbost, dass ich vor 30 Jahren abgelehnt wurde, während mein Konzipient, der bei mir damals die Rechtsanwaltsausbildung gemacht hat, aufgenommen wurde. Das war schon fast grotesk. Wer willfährig war und sich untergeordnet hat, war willkommen. Bei mir ist das eine andere Situation. Ich polarisiere und sage, wenn mir etwas nicht gefällt. Heute bin ich nicht mehr böse, sondern muss darüber lachen, dass viele, die bei mir mit Malen angefangen haben, heute in der Künstlervereinigung sind und selbst Kurse geben. Und mich nehmen sie nicht auf? Bei so einem umfangreichen Werk? Da zu sagen, ich sei kein Künstler, ist ja lächerlich.

WANN & WO: Darf man so ehrlich sein?

Gerold Hirn: Ich bin halt kein Arschkriecher. Wenn ich sehe, dass Klosterfrauen, die nach Nummern malen und Salzteigskulpturen machen, aufgenommen werden, ist alles klar. Manche Leute können sie nicht brauchen. Das könnte den Klüngel stören. Das ist ok, so sind die halt. Heute würde ich nicht mehr Mitglied werden wollen. Da sind zu viele Pfuscher am Werk. Die Weihnachtsausstellungen, die eigentlich eine Leistungsschau sein sollten, sind beschämend, Kraut und Rüben.

WANN & WO: Die Galerie Sechzig ist mittlerweile geschlossen. Hat die klassische Galerie noch eine Chance?

Gerold Hirn: Für Kunstliebhaber ist die klassische Galerie nach wie vor unentbehrlich. Ein ernst zu nehmender Sammler würde ein Gemälde niemals im Internet kaufen. Das muss man im Original sehen. Es muss aber enden, wenn es genug ist. Wir haben mit „Dialog und Kunst“ eine Kultur¬initiative gestartet. Da hatten wir z.B. eine Veranstaltung mit ARTquer. Das sind behinderte Künstler, die Skulpturen und Zeichnungen machen. Bei einem Diskussionsabend ging es um die Frage, ob geistig Behinderte überhaupt Kunst machen können. Ist Kunst abhängig vom Geist? Erzürnt hat mich, dass Künstler aus Gugging oder Leo Navratil von der Vorarlberger Künstlervereinigung nicht aufgenommen wurden. Sei seien zu wenig gescheit. Dabei sind doch selber solche Arschlöcher und Flachwichser bei der Partie dabei. Unser neues Projekt soll eine Diskussionsplattform sein, in der man hinter solche Dinge blickt.

WANN & WO: Wie erleben Sie die Gegenwart? Was bringt die Zukunft?

Gerold Hirn: Wenn das so weitergeht mit der Erderwärmung, müssen die Schuhverkäuferinnen in Venedig Gummistiefel zu ihren schönen Kleidchen anziehen und die untersten Stellagen ausräumen. Die Zuwanderung wird noch heftiger werden. Ich bin relativ offen aber ich verstehe die Leute, auch die Bürgermeister, die sich wehren. Allerdings ist es irrsinnig, dass Länder einfach „Nein“ sagen. In Zeiten wie diesen ist Solidarität angesagt. Wenn wir aber alle Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen würden, käme halb Indien nach Europa, was natürlich auch nicht geht. Und dann gibt es solche Ärsche wie diesen Strache, die Stimmung machen und überall dagegen sind. Das taugt dem Volk offenbar. Strache wird zuletzt noch Bundeskanzler. Das wäre der reine Wahnsinn. Dann müsste man eigentlich auswandern.

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