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„Niemand redet über Sternenkinder“

Heute werden auf der ganzen Welt Lichter, sichtbar in Fenstern, entzündet, um allen Sternenkindern besonders zu gedenken.
Heute werden auf der ganzen Welt Lichter, sichtbar in Fenstern, entzündet, um allen Sternenkindern besonders zu gedenken. ©W&W
Julia (34) aus Dornbirn verlor ihren ungeborenen Sohn. Mit WANN & WO sprach sie über ihr Sternenkind.

Ein Licht geht um die Welt: Mit dem „Weltweiten Kerzenleuchten“ oder dem „Worldwide Candle Lighting“ für verstorbene Kinder wird seit 1996 am zweiten Sonntag im Dezember, also heute, an alle verstorbenen Kinder – ob geboren oder ungeboren – gedacht. Dazu werden um 19 Uhr örtlicher Zeit von Angehörigen der Kinder Kerzen angezündet und sichtbar ins Fens­ter gestellt. Durch die unterschiedlichen Zeitzonen soll so eine weltweite Lichterwelle um den ganzen Globus gehen. Auch bei Julia (34) aus Dornbirn wird heute eine Kerze im Fenster zu sehen sein.

„Brachte es nicht übers Herz ihn zu halten“

„Kai war unser drittes Kind. Er war eigentlich gesund. Die Plazenta hat sich abgelöst – das wusste ich leider nicht. Die Schmerzen wurden mit der Zeit unerträglich, da fuhr mein Mann mit mir ins Krankenhaus. Dort wurde ich untersucht, keine Herztöne.“ Das Kind sei gestorben, wurde Julia gesagt. Ihr Mann, Carsten, ist zusammen gebrochen. „Im Schock habe ich ihn noch getröstet und zu ihm gesagt: ‚Carsten, das ist nun einmal so, das können wir nicht ändern‘.“ Julia hatte starke innere Blutungen, beinahe hätte sie ihr Leben verloren. Im Kreißsaal, als Kai per Kaiserschnitt geholt wurde, begann ihr eigener Überlebenskampf, Blutdruck 87/47, sie verlor mehr als drei Liter Blut. „Nach der OP wurde Kai zu mir ins Zimmer gebracht, eingewickelt in ein Handtuch lag er leblos da. Ich brachte es nicht übers Herz, ihn zu halten. Ich habe ihn nur gestreichelt und mich von ihm verabschiedet.“ Etwa eine Woche später wurde Kai in Dornbirn beerdigt. „Mir war es wichtig, dass Kai beerdigt wurde. Auch um zu zeigen: Er war hier.“ Julia hat Tränen in den Augen, wenn sie davon erzählt: „Meine zwei anderen Söhne, Aaron und Florian, hatten den Wunsch einer Erdbestattung. Sie meinten: ‚Wir wollen, dass der Kai in ein Bettchen darf.‘ Für die beiden ist der Friedhof ein ganz wichtiger Ort der Trauer, auch wenn sie ihren Bruder nicht wirklich gekannt haben, wissen sie doch, er war hier.“ Sie erzählt weiter: „Wenn ein alter Mensch stirbt, nimmt er ganz viel Vergangenheit mit. Wenn ein junger Mensch stirbt, dann nimmt er Vergangenheit und Zukunft mit. Bei einem Baby, das nie gelebt hat, stirbt ganz viel Zukunft.“ Fehl- und Totgeburten sind noch immer ein Tabu-Thema: „Niemand redet über die Sternenkinder. Für mich ist der ‚Worldwide Candle Lighting‘-Tag sehr wichtig. Ein gewisses Maß an Trauer wird von der Gesellschaft akzeptiert und toleriert, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man sagt: ‚Jetzt reicht es mit der Trauer.‘ Als Mutter ist das aber extrem schwierig. Ein lebendiges Kind wird immer gefeiert – das ist auch gut so. Aber an ein totes Kind muss man auch denken, das tun wir heute ganz speziell.“ Ans Aufgeben denken Julia und Carsten trotzdem nicht. „Der Wunsch nach einem drittes Kind ist noch immer da.“

„Worldwide Candle Lighting“ – die Idee

Die Idee geht auf eine Vereinigung verwaister Eltern und ihrer Angehörigen in den USA, den „Compassionate Friends“ zurück, die diese Initiative 1996 ins Leben riefen. Sie wurde gegründet, als ein Kaplan per Zufall bemerkte, dass sich die trauernden Eltern gegenseitig viel besser helfen konnten, als er als Seelsorger es vermochte. Die gemeinsame Erfahrung war so verbindend, dass andere Methoden dahinter zurück blieben.

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