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Murer - Anatomie eines Prozesses - Trailer und Kritik zum Film

Der "Schlächter von Wilna" Franz Murer wurde in einem Justizskandal 1963 trotz erdrückender Beweise von seinen NS-Kriegsverbrechen freigesprochen. Regisseur und Drehbuchautor Christian Frosch skizziert in "Murer - Anatomie eines Prozesses", der nun im Kino anläuft, den Widerstand gegen die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit mit beklemmender Aktualität.

Beinahe dokumentarisch wird der Grazer Prozess gegen Murer, gespielt von Karl Fischer, nachgestellt. Neben Kostümen und Szenenbild, beides Originalfotos nachempfunden, vermitteln vor allem die Zeugenaussagen Authentizität.

Murer – Anatomie eines Prozesses – Die Handlung

Diese basieren auf den Gerichtsprotokollen und sind für den Zuschauer wegen ihrer Intensität kaum zu ertragen: Die jüdischen Zeugen, allesamt hervorragend gespielt, berichten von schlimmsten Gräueltaten im Ghetto von Wilna, dessen jüdische Bevölkerung unter Murer von 80.000 auf 600 sank. Dabei sprechen sie direkt in Frank Amanns Kamera und machen das Kinopublikum zu Beteiligten. Ihre Aussagen sind authentischer und schockierender als jede szenische Rekonstruktion.

Doch all das reicht nicht für eine Verurteilung, da sich scheinbar ganz Österreich im Film gegen die Opfer verschworen hat und sie zu Tätern machen will. Die erdrückenden Beweise werden aufgrund von Formalitäten nicht anerkannt oder schlicht ignoriert. Das Bild Österreichs als “erstes Opfer Hitlers”, wie der aalglatte, zynische Verteidiger es ausdrückt (brillant verkörpert von Alexander E. Fennon), darf nicht getrübt werden. Murer, inzwischen ÖVP-Funktionär, muss freigesprochen werden, damit sich niemand die eigenen Verfehlungen aus der NS-Zeit eingestehen muss – weder öffentlich noch vor sich selbst.

Frosch zeigt, wie die Realität derart verdreht wird, dass scheinbar selbst Murer seinen Freispruch nicht fassen kann. Die Bevölkerung feiert ihn frenetisch, alle Blumenläden in Graz sind für ihn leergekauft. Als Zuschauer ist man davon ebenso schockiert wie die ausländischen Beobachter im Film. Simon Wiesenthal, gespielt von Karl Markovics, erklärt nur trocken: “Hier hätte man sogar Eichmann freigesprochen.”

Murer – Anatomie eines Prozesses – Die Kritik

“Es gibt Dinge, die lässt man besser in der Vergangenheit” resümiert ein hoher politischer Vertreter im Film. Das ist leider im Gedenkjahr 2018 noch genauso gültig wie 1963. Diese österreichisch-luxemburgische Produktion entlarvt die mangelhafte österreichische Vergangenheitsbewältigung und hat wegen der bewussten Parallelen zu den Gepflogenheiten rechtspopulistischer und rechtsradikaler Parteien beängstigende Aktualität: So appelliert Murers Verteidiger in seinem Schlussplädoyer an die Gefühle der Geschworenen, wohingegen der Staatsanwalt mit Fakten argumentiert. Ausländische investigative Zeitungen werden als “Lügenpresse” beschimpft, und der Freispruch wird besonders von einer Gruppe Trachtenjanker tragender Herren frenetisch gefeiert.

Dieser Film macht wütend und fassungslos. Die deutlichen aktuellen Bezüge sind beschämend, vor allem in Bezug auf die jüngste Liederbuchaffäre. “Murer – Anatomie eines Prozesses” zeigt, wie wichtig eine Erinnerungskultur tatsächlich ist. Wenn ein Land nicht dazu bereit ist, die Verantwortung für die dunkelsten Kapitel seiner Geschichte zu übernehmen, kann es diese auch nicht überwinden.

>> Alle Filmstartzeiten zu “Murer – Anatomie eines Prozesses”

(APA)

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