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Fast 100 Tote in Ägypten, aber Proteste ebben nicht ab

Für den Sturz von Präsident Hosni Mubarak setzen Tausende Ägypter ihr Leben aufs Spiel. Am Samstag eröffnete die Polizei das Feuer auf eine Menschenmenge, die versuchte, das Innenministerium zu stürmen.
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Dabei wurden mindestens drei Menschen getötet. Mubarak ernannte am Samstag zum ersten Mal in den fast 30 Jahren seiner Herrschaft einen Stellvertreter. Vize-Präsident wird der bisherige Geheimdienstchef und enge Vertraute Mubaraks, Omar Suleiman, wie das Staatsfernsehen berichtete. Luftfahrtminister Ahmed Shafiq wurde zum neuen ägyptischen Ministerpräsidenten ernannt.

Mubarak hatte das Amt des Vize-Präsidenten seit seinem Amtsantritt 1981 unbesetzt gelassen. Der 1935 oder 1936 geborene Suleiman gilt als enger Vertrauter Mubaraks (82) und war auch für seine Nachfolge im Gespräch. Er war schon seit rund zwei Jahrzehnten Geheimdienstchef und war auch als Vermittler im Nahost-Konflikt tätig. Der Nachrichtensender Al-Arabiya berichtete, bei den Demonstrationen gegen das Regime von Mubarak am Samstagabend sei die Ernennung Suleimans zum Vize-Präsidenten von Protestierern teilweise begrüßt worden. Dabei ist der ihm unterstehende Geheimdienst Mukhabarat verhasst und gefürchtet.

Mubarak habe Shafiq mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt, berichtete das ägyptische Staatsfernsehen weiter. Stunden zuvor hatte Mubarak angesichts der anhaltenden Massenproteste die gesamte Regierung entlassen. Bevor er Minister wurde, war Shafiq Chef der ägyptischen Luftwaffe.

Die personellen Schritte an der Staatsspitze deuten an, dass Mubaraks Sohn Gamal, der bisher als ein Kronprinz galt, ins Abseits geraten sein könnte. Das ägyptische Fernsehen dementierte allerdings Berichte, wonach Gamal Mubarak nach London geflohen sein soll. Die Bestimmung Suleimans könnte auch darauf hinweisen, dass Hosni Mubarak bei der für September geplanten Präsidentenwahl nicht erneut kandidieren wird. Mubarak hatte selbst den Posten des Vize-Präsidenten inne, bevor er an die Spitze des Staates rückte.

Bei den landesweiten Unruhen in Ägypten sind nach einer Zählung des arabischen Senders Al-Jazeera seit Freitag mindestens 95 Menschen ums Leben gekommen. Die Zahl der Verletzten bei den jüngsten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten in Kairo, Alexandria und Suez bezifferte der Sender mit 1.000. Auch am Samstag gingen die Proteste gegen das Regime des seit fast 30 Jahren regierenden Präsidenten Mubarak weiter. Das am Samstag verschärfte nächtliche Ausgehverbot wurde weitgehend ignoriert – von den Demonstranten und von den Soldaten, die es durchsetzen sollen.

“Wir wollen ihn (Präsident Mubarak) nicht! Wir werden ihn verfolgen”, riefen die Demonstranten. Zugleich verurteilten sie die Plünderungen im Zuge der Proteste in Kairo und in anderen großen Städten des Landes. “Wer Ägypten liebt, der sollte Ägypten nicht sabotieren”, verlangten sie. Auch der einflussreiche sunnitische Geistliche Yussuf el-Kardawi rief Mubarak zum Rücktritt auf.

Schon am Samstagvormittag kam es rund um den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos bereits zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Protestierenden drängten auf den Platz und griffen die Polizei mit Steinen an. Diese reagierte mit dem Einsatz von Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschoßen. Die Soldaten mischten sich bisher nicht ein. Die Streitkräfte riegelten etliche Regierungsgebäude ab.

Der von Mubarak verordnete Rücktritt der Regierung trug offenbar wenig zur Beruhigung der Lage bei. In seiner ersten Reaktion seit Beginn der Proteste am Dienstag hatte Mubarak diesen Schritt in der Nacht auf Samstag in einer Fernsehansprache angekündigt. Außerdem versprach er demokratische und wirtschaftliche Reformen. Allerdings verteidigte der 82-Jährige auch das Vorgehen der Sicherheitskräfte. “Ich werde nicht davor zurückscheuen, jede Maßnahme zu ergreifen, die die Sicherheit eines jeden Ägypters gewährleistet.”

In den Stadtvierteln von Kairo hat sich die Lage am Samstag mit Einbruch der Dunkelheit weiter angespannt. Nachdem es bereits in den Vortagen zu Plünderungen und Übergriffen gekommen war, rotteten sich abseits der Hauptstraßen Männer mit Stöcken und Messern zusammen, berichtete eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur dpa. Die ägyptische Armee schütze nur einige zentrale Plätze in der Stadt. Einwohner berichteten am Abend, dass sie sich sich aus Angst vor Überfällen in ihren Wohnungen verbarrikadierten. In der Stadt Suez lynchten und enthaupteten Demonstranten einen ihnen bekannten und verhassten Polizeioffizier, wie Augenzeugen dem arabischen Nachrichtensender al-Arabiya sagten.

Der Zugang zum Mobilfunknetz in Ägypten wurde am Samstagmorgen teilweise wiederhergestellt – die Dienste Vodafone und Mobinil waren wieder verfügbar. Einen Zugang zum Internet gab es aber weiterhin nicht. Um den Informationsfluss unter den Demonstranten zu stören, hatten die Behörden in der Nacht zum Freitag offenbar den Datenverkehr gekappt.

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