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Montenegro: Bürger stimmen ab

Beim Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro zeichnet sich eine Rekordbeteiligung ab. Bis 13.30 Uhr gaben bereits 53,9 Prozent der 485.000 Stimmberechtigten ihr Votum ab.

Dies teilten die unabhängigen Beobachtergruppen CEMI und CESID mit. Damit wurde mehr als sechs Stunden vor Schluss der Stimmlokale das Beteiligungsquorum von 50 Prozent überschritten. Besonders hoch war die Beteiligung unter den Unabhängigkeitsgegnern.

Die Beobachtergruppe Zentrum für Demokratischen Übergang (CDT) hatte schon um 13.00 Uhr eine Beteiligung von 51,8 Prozent registriert. Das sei die höchste Beteiligung seit den ersten demokratischen Wahlen in den 90er Jahren in Montenegro. Demnach lag die Beteiligung im Norden des Landes bei 55 Prozent, im Zentrum bei 50 Prozent und an der Adriaküste bei 48 Prozent.

Niedriger als im Durchschnitt war die Beteiligung in den mehrheitlich von der bosniakischen und albanischen Minderheit bewohnten Regionen. Ihre Stimmen dürften für das Referendumsergebnis ausschlaggebend sein. In den Hochburgen des Oppositionslagers, Kolasin und Mojkovac, wurde eine überdurchschnittliche Beteiligung registriert, während sie in Cetinje, Podgorica und Niksic – wo mehr Unabhängigkeitsbefürworter vermutet werden – geringer war. Vergleichsweise gering war die Beteiligung auch in der Unionistenhochburg Herceg Novi in der Bucht von Kotor.

Die Unabhängigkeit Montenegros würde den endgültigen Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens besiegeln. Die Montenegriner sind in der Frage, ob sie sich aus der Union mit Serbien lösen sollen, in zwei fast gleich große Lager gespalten. Die Wahllokale schließen um 21.00 Uhr. Erste Hochrechnungen werden eine Stunde danach erwartet. Die Befürworter der Unabhängigkeit könnten laut jüngsten Umfragen zwar eine dünne Mehrheit bei dem von der EU unterstützten Referendum schaffen. Für die von der EU festgelegte Mindestmarke von 55 Prozent wird es aber knapp.

Vor diesem Hintergrund zeigten sich die Führer beider Lager am Sonntag zuversichtlich. Präsident Filip Vujanovic äußerte seine Überzeugung, dass der Anteil der Ja-Stimmen „wesentlich über (den notwendigen) 55 Prozent“ liegen werde. „Danach werden wir bessere Beziehungen mit Serbien haben und unsere Politik der gutnachbarschaftlichen Beziehungen bekräftigen sowie den Weg in die europäischen Integrationen beschleunigen“, sagte Vujanovic nach der heutigen Stimmabgabe. Regierungschef Milo Djukanovic sagte, die Bürger werden die Perspektiven für eine „dynamische Eingliederung in die europäischen und euroatlantischen Integrationen“ eröffnen.

Der Führer des Oppositionslagers, Predrag Bulatovic, äußerte die Hoffnung, dass nach dem Referendum die „inneren Spaltungen“ des Landes überwunden werden können. „Ungeachtet der Referendumsergebnisse müssen alle wichtigsten Parteien und Politiker an alle Bürger denken“, hob er hervor. Er wünsche sich, dass Montenegro nach der Volksabstimmung einen breiten politischen Konsens erreiche und sich alle Parteien und Politiker der europäischen Zukunft Montenegros zuwenden, sagte der Führer der oppositionellen Sozialistischen Volkspartei, die für einen Verbleib des Landes im Staatenbund mit Serbien kämpft.

Die Souveränisten bestehen auf Montenegros historischem Recht auf Selbstständigkeit. Sie machen Serbien für den Stillstand der montenegrinischen Wirtschaft und die langsame EU-Annäherung verantwortlich. Die Unionisten versprechen sich dagegen mehr Vorteile von der Konföderation.

Innenpolitisch und wirtschaftlich verbindet die beiden seit 2003 in einem losen Staatenbund zusammengeschlossenen Republiken nur noch wenig. An der serbisch-montenegrinischen Grenze gibt es Personenkontrollen, Zollsätze und Visapolitik sind unterschiedlich und Montenegro hat den serbischen Dinar durch den Euro als Landeswährung ersetzt. Podgorica erwartet sich als unabhängiger Staat eine raschere Annäherung an die Europäische Union, da es anders als Serbien keine Probleme bei der Zusammenarbeit mit dem Haager UNO-Kriegsverbrechertribunal hat. Wegen der Nichtauslieferung des gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ratko Mladic hat die EU Anfang April die Gespräche über ein Assoziierungsabkommen mit Serbien-Montenegro ausgesetzt.

Die Folgen einer Unabhängigkeit Montenegros

Montenegro entscheidet am Sonntag in einem Referendum, ob es als vorletzte Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawiens unabhängig werden will oder den derzeitigen Staatenbund mit Serbien beibehält. Im Folgenden einige Informationen zu den Folgen, die sich bei einer Unabhängigkeit, die das kleine Land an der Adria von 1878 bis 1918 bereits einmal hatte, ergeben:

  • Bei der Gründung des Staatenbundes vor drei Jahren haben die beiden Teile das Referendum vereinbart. Serbien muss demnach jedes Ergebnis akzeptieren. Der Staatenbund aus den letzten beiden jugoslawischen Teilrepubliken kam nicht zuletzt unter dem Druck der Europäischen Union (EU) zu Stande, die eine weitere Fragmentierung des Balkans aufhalten wollte.
  • Der Staatenbund Serbien-Montenegro würde sich auflösen und damit die wenigen gemeinsamen Institutionen wie die Präsidentschaft oder ein selten tagendes Parlament aufhören zu existieren.
  • Serbien als Nachfolgerstaat würde alle Rechte und Pflichten der Union erben, darunter den Sitz bei den Vereinten Nationen (UNO). Montenegro müsste alle Mitgliedschaften in internationalen Organisationen neu beantragen und erwerben.
  • Montenegro müsste die Ministerien für Verteidigung und Außenpolitik schaffen und eine eigene Armee aufbauen. Als Republik hat es bereits einen eigenen Präsidenten und eine eigene Regierung unter einem Ministerpräsidenten.
  • Die beiden Republiken haben jetzt schon verschiedene Währungen sowie Handels- und Zollgesetze. Das wenige gemeinsame Eigentum – wie beispielsweise Botschaftsgebäude im Ausland – müsste aufgeteilt werden.
  • In montenegrinischen Gebieten, in denen Serben die Mehrheit haben, könnte es zu Unruhen kommen. Sie sind strikt gegen die Trennung und machen insgesamt 32 Prozent der Bevölkerung von Montenegro aus.
  • Die Gespräche Serbien-Montenegros mit der Europäischen Union über einen möglichen Beitritt werden seit vergangenem Jahr bereits zweigleisig geführt. Eine Trennung hätte damit keine Folgen für die technischen Details eines Beitritts.
  • Die Gespräche mit Montenegro würden allerdings aufgeschoben, bis das Land von der internationalen Gemeinschaft anerkannt ist. Andererseits erhofft sich ein unabhängiges Montenegro eine Beschleunigung des Verfahrens, weil es nicht mehr von Strafen betroffen wäre, die die EU wegen einer mangelnden Zusammenarbeit Serbiens mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag verhängt. Zuletzt wurden die Gespräche über eine weitere Annäherung des Staatenbundes deswegen ausgesetzt.

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