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Menschenrechtsgericht rügt Österreich

Im Streit um einen Vergewaltigungsprozess in Vorarlberg haben vier Österreicher türkischer Abstammung vor dem Europäischen Gerichtshof Recht bekommen.

Die österreichische Justiz hatte einen heute 28-Jährigen im Mai 1997 wegen der Vergewaltigung einer Frau verurteilt, die sich geweigert hatte, eine Zwangsehe mit ihm einzugehen. Die Eltern und ein Onkel des in Vorarlberg lebenden Mannes wurden wegen Beihilfe verurteilt. Das Straßburger Gericht kritisierte nun, dass die Anklage während des Verfahrens verändert und somit gegen das Grundrecht auf einen fairen Prozess verstoßen wurde.

Zwei türkische Familienoberhäupter hatten beschlossen, ihre Kinder zu vermählen. Nach dem Tod ihres Vaters fühlte sich die damals 18-Jährige damaligen Medien-Berichten zufolge jedoch nicht mehr an das Versprechen gebunden. Von der Familie ihres vorerst verschmähten Bräutigams wurde die Frau angeblich stark unter Druck gesetzt. Schließlich soll die Familie die 18-Jährige in ein Haus in Hohenems verschleppt haben, wo es nach Überzeugung des österreichischen Gerichts zu einer Vergewaltigung gekommen ist. Erstinstanzlich wurde der 28-Jährige am Landesgericht Feldkirch zu einer teilbedingten einjährigen Haftstrafe verurteilt. Gegen seine Eltern und sein Onkel wurden unbedingte Haftstrafen von zwei Jahren (Vater), 20 Monaten (Mutter) und 18 Monaten (Onkel) ausgesprochen.

Die Anklage der österreichischen Justiz basierte ursprünglich auf Artikel 201, Absatz zwei des österreichischen Strafrechts, der für Vergewaltigungen mit besonders schweren gesundheitlichen oder psychischen Folgen eine Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren vorsieht. Im Laufe der Verhandlung wurde die Anklage jedoch geändert: Verurteilt wurden die Beschuldigten auf Grundlage des Artikels 201, Absatz eins, der den Begriff der Vergewaltigung weiter definiert – darunter fallen auch „Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleich zu setzenden geschlechtlichen Handlung“. Die Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, dass die Verteidigung durch diese Änderung der Anklage während des Prozesses behindert worden sei. Diesem Argument schloss sich der Straßburger Gerichtshof an.

Entschädigt werden die Kläger durch das Urteil nicht. Die Verurteilung Österreichs sei als „moralische Wiedergutmachung“ ausreichend, befand das Gericht. Wien muss aber die Gerichtskosten in Höhe von 8.000 Euro tragen. Nach Angaben des Anwalts der Familie, Ludwig Weh, könnte durch die Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs das Strafverfahren in Österreich jedoch neu aufgerollt werden. Der Mann und die Frau seien mittlerweile glücklich verheiratet und Eltern geworden, sagte Weh gegenüber der APA. Die Parteien seien sich noch vor dem Prozess im Mai 1997 einig gewesen und hätten von ihrer Seite aus den Prozess abblasen wollen.

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