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"Mein Kampf fürs Grundrecht Mensch!"

Tolgahan Nuri fühlt sich vom österreichischen Staat im Stich gelassen. Seit mittlerweile 23 Jahren kämpft der bestens integrierte und in die heimische Kultur verankerte Feldkircher um die Staatsbürgerschaft.
Tolgahan Nuri fühlt sich vom österreichischen Staat im Stich gelassen. Seit mittlerweile 23 Jahren kämpft der bestens integrierte und in die heimische Kultur verankerte Feldkircher um die Staatsbürgerschaft. ©WANN & WO
Mit sieben Jahren kam Tolgahan Nuri (30) nach Feldkirch, seither kämpft er gegen die Mühlen der Bürokratie für seine Staatsbürgerschaft.

WANN & WO: Mit welchen Problemen hast du beim Ansuchen für die Staatsbürgerschaft zu kämpfen?

Tolgahan Nuri: Obwohl ich über 23 Jahre hier lebe, aufgewachsen bin, Freunde fand und mich mit der deutschen Sprache und Kultur identifiziert habe, muss ich jedes Jahr um meine Bleibeberechtigung kämpfen, das heißt um eine Aufenthaltskarte ansuchen. Unzählige Stunden Wartezeit bei Behördengängen, Unkosten, keine Arbeitserlaubnis, keine Versicherung – nichts bleibt einem, nicht mal Anspruch auf irgendwelche sozialen Leistungen. Man ist unwürdigen Verhältnissen ausgesetzt. Angewiesen auf Freunde und eine Mutter, die selbst ein geringes Einkommen hat. Ich sah zeitweise keinen Sinn mehr im Leben. Obwohl ich immer ein positiver Mensch war, fühle ich mich als Opfer der Bürokratie. Es plagten mich sogar Selbstmordgedanken. In dieser Situation sieht man wirklich, wer für einen da ist. Dieser Staat ist es nicht.

WANN & WO: Deine Familie besitzt aber schon lange den österreichischen Pass. Wie kommt es, dass du noch keinen hast?

Tolgahan Nuri: Mit 16 Jahren stellte meine Familie zum ersten Mal den Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft. Nach langer Wartezeit kam zu meinem 18. Geburtstag ein Schreiben der Vorarlberger Landesregierung. Darin stand, dass meiner Mutter und meinem jüngeren Bruder der österreichische Pass verliehen wird (damit hat der Staat auch noch 2000 Euro abkassiert). Da ich nun 18 war, sollte ich hingegen noch einmal ein Ansuchen stellen. Ich fühlte mich wirklich im Stich gelassen und ehrlich gesagt »verarscht«.

WANN & WO: Was war deine Reaktion auf dieses Schreiben?

Tolgahan Nuri: Wut, Hass, Zorn. Genau an meinem Geburtstag musste ich lesen, dass das Land, in dem ich mich zu Hause fühlte und das meine Heimat war, mir nur Ablehnung entgegenbrachte. Aber das ist als Immigrant in diesem Land oft so, man wird immer wieder aufs Neue abgelehnt, Frem­­denhass hat viele Gesichter. Trotzdem habe ich die Staatsbürgerschaft nochmals beantragt. Wieder nur Ablehnung – ein Stapel mit unverständlichen Schriftstücken und dafür konnte ich auch noch 300 Euro bezahlen. Mir ging es nicht einmal um den Pass. Es ging mir nur um mein Recht, meiner Arbeit nachzugehen und ein menschenwürdiges Leben zu führen. Denn die Würde eines Menschen ist ja bekanntlich unantastbar. Aber wo bleibt meine Würde?

WANN & WO: Wie sieht deine aktuelle Situation aus?

Tolgahan Nuri: Mir würde der Pass schon lange zustehen. Ich frage mich, für wen das Gesetz eigentlich gilt. Denn verbessert hat sich bis dato überhaupt nichts. Vor einiger Zeit musste ich sogar 1,5 Jahre auf meine Aufenthaltskarte warten. Ich durfte weder arbeiten, noch hatte ich ein normales Sozialleben. Meine Psyche war am Ende – Existenzängste und schlaflose Nächte inklusive, Albträume verfolgten mich. Alkohol war mein letzter Ausweg, um diesen zermürbenden Gedanken zu entfliehen. Aber eines Tages war mir klar, ich wollte nicht in die Kriminalität abrutschen, denn diesen Gefallen tue ich diesem Staat nicht. Leider muss ich immer noch für meinen Aufenthalt kämpfen. Außerdem mangelt es vielen Beamten an Kompetenz. Dies zeigt sich darin, dass man sich von der Beamtin auf der Bezirkshauptmannschaft anhören muss, dass man sich einen Job suchen soll.

»Immigranten sollten mehr Stimme und Rechte bekommen!«

Tolgahan Nuri kämpft seit 23 Jahren für seine Staatsbürgerschaft: »Ich denke, dass unfähige Politiker ohne konkrete Ziele die Hauptursache sind. Die Verfassung müsste an heutige Zeiten und Verhältnisse angepasst werden. Immigranten sollten mehr Stimme und Rechte bekommen und nicht auch noch dafür zur Kasse gebeten werden. Sie leisten ebenso ihren Beitrag für eine moderne, zivilisierte Gesellschaft. Wir leben mittlerweile in einer globalisierten, digitalen Welt, in der Intoleranz keinen Platz mehr haben darf.«

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(WANN & WO)

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