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„Mein erstes richtiges Ziel: Führerschein, Harley und weg“

Im amüsanten Sonntags-Talk mit Harry Marte gewährt der passionierte Musiker Einblick in seine Jugend und seinen Werdegang.
Im amüsanten Sonntags-Talk mit Harry Marte gewährt der passionierte Musiker Einblick in seine Jugend und seinen Werdegang. ©MiK
Musiker, Querdenker und Kreativkopf Harry Marte blickt im WANN & WO-Sonntags-Talk auf sein bewegtes Leben zurück.

WANN & WO: Hattest du in deiner Jugend schon so eine markante Stimme, oder hast du sie dir in irgend einer Form „erarbeitet“?

Harry Marte: Eigentlich habe ich das nie wirklich bewusst wahrgenommen, zumindest nicht selbst. Anfangs habe ich mich eher in Richtung Bob Dylan verortet, einem Musiker, der mich maßgeblich ge­­prägt und immer begleitet hat. Ich wollte aber nie jemanden nachäffen, so entstand dann meine eigene Stimmfarbe. Ich habe auch nie Gesangsunterrricht genommen und sie kommt auch nicht von Alkohol oder Tabak, falls du darauf hinaus wolltest (schmunzelt). Vor Kurzem hat jemand geschrieben, Dylan und Woodstock im Blut – womit ich gut leben kann.

WANN & WO: Wie bist du mit Musik in Kontakt gekommen?

Harry Marte: Mein Vater war zwar Flügelhornist, was mich aber nur bedingt gestreift hat. Viel interessanter waren samstagabendliche Stunden vor dem Radio in jungen Jahren. Die Hit-Parade war für mich immer ein Fixpunkt, mit Johnny Cash, Elvis Presley und den ganz Großen. Dadurch keimte auch der Wunsch auf, Gitarre zu lernen. Problematisch war der Umstand, dass ich mit Lehrern nie wirklich gut konnte, auch im musikalischen Bereich. Diesem Umstand geschuldet habe ich mir das Spiel selbst beigebracht, vorwiegend über Tabulaturen und mein Gehör. Daher rührt auch meine freie Auslegung und Interpretation. Heute wäre ich vielleicht froh, wenn es damals mehr in Richtung Klavier gegangen wäre.

WANN & WO: Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit und deine wilden Jugendjahre inmitten einer Zeit, geprägt von Aufbruch?

Harry Marte: Eigentlich nur positive, die Welt tickte damals noch richtig. Aufgewachsen zwischen Wiesen und Weihern, mit Ringelnatter, Laubfrosch & Co. Dann kam die Autobahn und es war vorbei. In der Pubertät folgte schon eine Art Orientierungslosigkeit, bis zu meinem ersten Kontakt mit Woodstock. Crosby, Stills, Nash and Young und Jimi Hendrix haben mir die Augen geöffnet. Als dann Easy Rider folgte, habe ich komplett abgeschnallt. Von diesem Zeitpunkt an verfolgte ich nur ein Ziel: Führerschein, Harley Davidson und weg. Ich glaube, ich war einer der wenigen Ersten, der hierzulande eine 74er Brown Metallic Harley – als Maschinenteile verzollt und im Holzcontainer importiert – sein Eigen nannte. Eine Mitgliedschaft in einem MC war aber nicht wirklich etwas für mich, ich war auch nie ein Vereinsmensch.

WANN & WO: Mit wem bist du dann Motorrad gefahren?

Harry Marte: Mit meinem damals besten Freund Ingo, der mittlerweile leider einem Krebsleiden erlegen ist. Für mich einfach der richtige Bike Buddy. Man traf sich freitags an der Tanke, ab über den San Bernardino und weg. Ohne irgendwelche Zwischentöne wie „Fahrn wir noch schnell nach Como?“. Und wenn wir Bock auf Süd-Frankreich hatten, fuhren wir einfach, auch wenn wir erst zwei Tage später heim kamen. Wind, Wetter, Komfort – spielte alles keine Rolle, wir sind einfach gefahren. Easy Rider auf Schmalspur, aber eine unheimlich schöne Zeit.

WANN & WO: Würdest du dich im Nachhinein als rebellischen und wilden Jugendlichen bezeichnen?

Harry Marte: Keineswegs, ich war auch nicht aggressiv. Am ehesten würde sehnsüchtig passen, traumatisiert sehnsüchtig. Die Klischee-Bilder Amerikas haben mich nie wirklich losgelassen. Meinem Vater ist hier besonders hoch anzurechnen, dass er mich nie gebremst oder limitiert hat. Ich habe schon vor meinem 18. Geburtstag an englischen Motorrädern geschraubt und bin sie auch gefahren. Am Sonntag sind wir immer ins Gasthaus Linde gegangen – mein Vater mit seinem langhaarigen Sohn, in verrissenen Jeans. Ein älterer Herr, dessen Namen ich jetzt nicht nennen möchte, meinte zu meinem Vater: „Du weißt schon, was man 1945 mit deinem Bürschchen gemacht hätte?“ Als Antwort von ihm kam nur: „Du weißt auch, was wir gleich mit dir machen?“ Das war die Art Rückendeckung, die mir von ihm immer widerfahren ist. Es bedurfte auch nie vieler Worte.

WANN & WO: Wie verlief deine Ausbildung?

Harry Marte: Mathe war nie mein Steckenpferd, dafür hatte ich im musikalischen und zeichnerischen Bereich meine Stärken. Ich habe dann eine klassische Ausbildung gemacht, aber ein Jahr vor Abschluss abgebrochen. Ich wollte arbeiten, da ich das Geld für meine Motorräder gebraucht habe. Es folgten diverse Engagements in Agenturen, mit denen ich mich aber nie wirklich identifizieren konnte. Deshalb folgte 1981 der Schritt in die Selbstständigkeit. Mit dieser hedonistischen Welt von „0,99“ und sinnlosen, nicht enden wollenden Streitereien über Schrifttypen konnte ich einfach nichts anfangen.

WANN & WO: Welchen Stellenwert genießen Begriffe wie Kreativität und Kunst für dich persönlich?

Harry Marte: Kunst ist für mich kulturell von enormer Bedeutung, unabhängig, ob sie gefällt oder nicht. Ich bin auch der Meinung, dass sie aufgrund handwerklicher Merkmale beurteilbar ist. Gute Kunst soll wachrütteln und der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Dahinter verbirgt sich Kreativität, für mich ein Ausdruck der freien Mein­ungsäußerung.

WANN & WO: Wie kam es zu deinem ersten längeren Aufenthalt in den USA? Und wie viel Amerika steckt noch in Harry Marte?

Harry Marte: Über einen guten Freund, der bei Blum tätig war, folgte ein Engagement in den Staaten. Als ich am JFK ankam, war ich zunächst von der Größe erstaunt. Am meisten hat mich einfach die Natur begeistert. Die Vielfalt und die ganzen Tiere, die man so nur aus dem Zoo kennt. Man liegt am Strand von Seabrook Island, inmitten von Schildkröten und über einem acht Pelikane, die in Richtung Abendsonne fliegen. Von den Alligatoren ganz zu schweigen. Im meinem Unterbewusstsein haben sich außerdem die amerikanischen Liedermacher tief verwurzelt.

WANN & WO: Wo würdest du dich persönlich selbst verorten, gerade auch in Bezug auf dein neues Album „Little Prayers“?

Harry Marte: Es hängt immer von der Band ab, wie sie deine Songs interpretiert. Seit ich mit Alfred Vogel arbeite, hat sich für mich viel verändert. Bei ihm hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass ich mich selbst auch weiter entwickle – auf allen Ebenen: von süß bis kitschig bis hin zu dreckig. „And with me fall arms in arms into the night and there no word will hurt our naked skin.“

WANN & WO: Wie stehst du zu Social Media?

Harry Marte: Als Musiker kommt man an YouTube nicht vorbei. Die Leute wollen einfach auch etwas sehen, obwohl sie eh schon von allen Seiten überflutet werden. Facebook wurde für mich aktuell, als meine Söhne für ihr Studium nach Wien zogen. Als ich dann einen zum ersten Mal aufgrund eines „Partyfotos“ zur Rede gestellt hatte, änderten beide ihre Profilnamen. Nach zwei Monaten intensiver Recherche habe ich sie aber wieder gefunden.

WANN & WO: Hast du ein gutes Verhältnis zu deinen Söhnen?

Harry Marte: Absolut, ich habe das Glück, mit einem zusammenzuarbeiten. Natürlich kommt es auf der Arbeit zu Reibereien, das ist aber normal. Mein zweiter Sohn steht ebenfalls mit beiden Beinen im Leben.

WANN & WO: Welche Rolle spielen Frauen in deinem Leben?

Harry Marte: Frauen? Alles! Ich bin angekommen. Für mich ist es wichtig, dass Gefühl und Verstand mitspielen. Eine gute Beziehung definiert sich natürlich auch über körperliche Nähe, der Dialog darf aber nicht auf der Strecke bleiben. Natürlich gab es früher auch flotte Mädchen hinten auf dem Motorrad, mit denen man nachts am Alten Rhein nacktbaden ging (schmunzelt).

WANN & WO: „Little Prayers“ – bist du ein gläubiger Mensch?

Harry Marte: Religion ist Triebfeder für Leiden und Krieg. Andererseits gibt es auch in der Kirche starke Persönlichkeiten, die uns keine Märchen verkaufen wollen. Meine persönliche Religion ist die Natur. Ob hinter dieser Schöpfung noch ein göttliches Wesen steht, ist mir prinzipiell egal. Der Mensch könnte ganz leicht an sich selbst glauben, wenn er sich an der Natur orientiert. Oder frei nach Balzac: Kunst ist konzentrierte Natur.

WANN & WO: Was würde dein heutiges Ich zu seinem 20-jährigen Pendant sagen?

Harry Marte: Du hättest lieber mehr Gitarre spielen sollen, anstatt die ganze Zeit auf deinem Motorrad zu sitzen (schmunzelt).

Harry Marte: „Little Prayers“

Gemeinsam mit den Musikern Alfred Vogel (Drums, Percussion), Chris Dahlgren (Bass/Viola da Gamba) und Marco Figini (Gitarre) veröffentliche Harry Marte kürzlich sein jüngstes Album „Little Prayers“. Der charismatische Musiker versetzt uns auf der LP in amerikanische Städte, ungezähmte Prärien und tropische Flusslandschaften.

WORDRAP

Musik: Healer.
Kunst: Aufwachen.
Blues: Was gegen den Blues.
Heimat: Wichtig.
USA: Ohne Trump.
Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll: So, wie es jeder gern hätte.
Idol: Wenn ich eines hätte, wäre es William Carlos Williams.
Familie: Rückhalt.

Zur Person

Name: Harry Marte
Wohnort, Alter: Göfis, 61
Ausbildung, Beruf: Grafiker und Musiker
Hobbys: Ausgedehnte Spaziergänge im Wald, Kochen
Aktuelles Album: Little Prayers

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