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Marilyn Manson in Wien: Durch Herzschmerz geläutert

Das US-Enfant-terrible überzeugte in der Wiener Stadthalle mit musikalischer Qualität und ironischem Blick auf sich selbst. Mit Video 

Herzschmerz statt Sozialkritik, Liebesbrief statt Kampfaufruf: Mit seinem jüngsten, von der Kritik wenig goutierten Album „Eat Me, Drink Me“ hat der einstige Bürgerschreck Marilyn Manson heuer seine Fans verschreckt. Das bekamen am Montag, auch die Veranstalter des einzigen Österreich-Konzerts des US-Musikers zu spüren: Die Ränge der Wiener Stadthalle waren zugehängt, das einst Angst einflößende Gedränge auf den Stehplätzen blieb aus. Doch nach mehreren verpatzen Festival-Auftritten in den vergangenen Jahren hat der 38-Jährige auf seiner Europa-Tour zu einer beeindruckenden Form gefunden: Die Aggression ist endgültig der Ironie gewichen, die Qualität der Musik nähert sich jener der Inszenierung.

Eines hat sich and Marilyn Mansons Auftritten nicht geändert: Er lässt seine Fans warten. Erst um 21.45 Uhr fiel der wallende schwarze Vorhang von der Bühnendecke, Manson trat mit einem messerförmigen Mikrofon aus dem Nebel und stimmte die „Eat Me, Drink Me“-Auskoppelung „If I Was Your Vampire“ an. Ein melancholisch-gewalttätiges Liebeslied der anderen Art, das live weit mehr Kraft entfaltet als auf dem musikalisch wenig aufregenden Tonträger.

Doch bis es so weit war, begeisterte die norwegische Metal-Band „Turbonegro“, die neben ihren homosexuell angehauchten Punk-Outfits auch durch schräge Zwischenansagen belustigte: „Ich habe gehört, dass die größte Kirche in Wien für Falco gebaut wurde“, brüllte der Sänger Hank von Helvete in den Saal. „Es gibt hier einen Falco-Pharg, nicht?“. Mit dem Hit „I Got Erection“ erwies sich das skandalträchtige Kollektiv nach einer Stunde als würdiger Vorbote dessen, was noch kommen sollte.

Lustlos schien Marilyn Manson, der mit „Eat Me, Drink Me“ 2007 nach vier Jahren Pause wieder ein Studioalbum veröffentlicht hat, in den vergangenen Jahren bei seinen zahlreichen Festival-Auftritten. Krampfhaft inszenierte er jene Posen, die ihn Anfang der 90er Jahre so berühmt gemacht hatten: Bibelverbrennungen, Selbstverstümmelung, sexuelle Ausschweifungen. Der musikalische Einheitsbrei und der oftmals katastrophale Sound taten den Rest. Frisch geschieden, noch frischer verliebt und mit ironischer Distanz zu seiner Person kam Manson nun in die Stadthalle, wo er zwar gewohnt kurz – sein Auftritt dauerte gerade einmal 75 Minuten – aber musikalisch überzeugend rund 5.000 Fans begeisterte, die in dem Anlass entsprechenden Outfits wie schwarzen Zwangsjacken, Netzstrümpfen und schwarzen Mänteln auftauchten.

Auch, wenn Manson die Pressefotografen bereits nach dem ersten Song wegschicken ließ, weil er „sich nicht wohl“ fühlte, seine Zuhörer ließ er das nicht spüren. Ungewohnt gut gelaunt begrüßte er die Fans nach dem ersten Song augenzwinkernd mit der Floskel „Es tut so gut, wieder in Wien zu sein“, zum Aufakt seines ersten Hits „Lunchbox“ dirigierte er lachend á la Freddie Mercury den Publikumschor, während des umstrittenen Songs „Irresponsible Hate Anthem“ liefen auf der Leinwand Auszüge aus Zeitungsartikeln, die ihn für diverse Schul-Massaker in den USA verantwortlich machten.

Auch kleine „Seitenhiebe“ auf seine Frauen kamen nicht zu kurz: Einmal räkelte sich Manson in Anspielung auf seine Ex-Frau, die Edel-Stripperin Dita von Teese, akrobatisch auf einem überdimensionalen Sessel, während „Heart Shaped Glasses“ montierte er einer sich bewegenden Schaufensterpuppe, die seiner aktuellen Freundin Evan Rachel Wood – die im gleichnamigen Video zu sehen ist – täuschend ähnlich sieht, Kopf und Arme ab und setzte sich die herzförmige Sonnenbrille auf.

Als Manson dann auch noch im silber-glitzernden Schlafrock auftrat, war klar: „Liebe Leute, nehmt das alles nicht ernst“. Als Zugabe verbrannte er zu „Antichrist Superstar“ in alter Manier bedeutungsvoll eine Bibel, zum abschließenden Superhit „Beautiful People“ wirbelten weiße Federn durch die Luft. Eine Show, der man – wenn man wollte – auch mit geschlossenen Augen endlich einmal wieder etwas abgewinnen konnte.

Zum Video Video

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