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"Machen wir so gute Arbeit, wie wir können?"

WANN & WO traf Stefan Sagmeister in New York. Das Foto entstand vor dem Eingang zum „The Norwood“, einem beliebten Treffpunkt der Kreativszene.
WANN & WO traf Stefan Sagmeister in New York. Das Foto entstand vor dem Eingang zum „The Norwood“, einem beliebten Treffpunkt der Kreativszene. ©MJ
Stefan Sagmeister, Vorarlbergs prominentester Design-Export, arbeitete schon mit Mick Jagger, Lou Reed oder den Talking Heads zusammen. WANN & WO besuchte den gebürtigen Bregenzer in New York und erhielt Einblick in das interessante Leben des charismatischen Kosmopoliten und zweifachen Grammy-Preisträgers.

WANN & WO: Was macht New York für Sie so einzigartig?

Stefan Sagmeister: New York ist einfach die passende Stadt für mich. Ich war schon in vielen Metropolen der Welt, aber auch nach 25 Jahren fasziniert mich der „Big Apple“ jeden Tag aufs Neue. Besonders gern bewege ich mich zu Fuß durch die Stadt. Die Schönheit von Manhattan, eine diversifizierte Kultur, auch im Bezug auf die verschiedensten Tätigkeitsfelder der Bewohner, und die unglaubliche Vielfalt machen die Stadt einzigartig. Das spiegelt sich auch in meiner Arbeit wider: Die Spartenvielfalt von New York ermöglicht es einem Designer, seinen Beruf jeden Tag neu zu interpretieren.

WANN & WO: Wenn Sie an Ihre Anfänge zurückdenken, wie war Ihr erster Kontakt mit New York ?

Stefan Sagmeister: Ich kam 1986 als Student hier her, mitten in die Hochburg der Punkrock-Bewegung. Im CBGB Club, quasi der Keimzelle des Genres, standen Punks Seite an Seite mit Brokern aus der Wall Street. Wenn damals ein Banker mit Aktenköfferchen in Berlin oder der Wiener Arena bei einem Punk-Konzert aufgetaucht wäre, hätte man ihm eines über den Kopf gezogen. Diese gegenseitige Akzeptanz ist einzigartig für New York, sie zeigt sich in vielen Aspekten der US-amerikanischen Kultur. Ich bin auch nicht wegen Amerika hier, sondern wegen New York. Als Ausländer hatte ich hier noch nie in irgendeiner Form einen Nachteil.

WANN & WO: Hatten Sie immer schon den Drang, Bregenz und Vorarlberg hinter sich zu lassen?

Stefan Sagmeister: Großstädte haben mich immer fasziniert, mit 14 waren es Zürich und München, mit 18 war mir klar, dass ich nach Wien gehen und Grafik studieren wollte. Und als ich dann durch eine Wette mit meinem Schwager auf der Maturareise in New York landete, war mir klar, dass mich die Stadt wieder sehen würde.

WANN & WO: Wann zog es Sie in Richtung Grafik und Design?

Stefan Sagmeister: Mit 15 haben wir eine kleine Jugendzeitung mit dem Namen „Alphorn“ gemacht. Dort war ich mehr im gestalterischen Bereich zu Hause. Von befreundeten Grafikern haben wir dann alte Letraset-Bögen geschenkt bekommen. Leider hat aber der Buchstabe „e“ gefehlt. Und bevor ich mir jedes Mal die Mühe gemacht habe, den Buchstaben nachzubauen, habe ich nach gestalterischen und zeichnerischen Methoden gesucht, um z. B. Headlines zu machen.

WANN & WO: Wie eng sind Sie noch mit der „Alten Welt“ und ihrer Heimat Vorarlberg in Kontakt?

Stefan Sagmeister: Mindestens sechs bis sieben Mal pro Jahr bin ich aufgrund meiner Familie zuhause, zu der ich einen sehr engen Kontakt pflege. Als Jüngster von sechs Geschwistern gibt es mit allen Neffen und Verwandten immer einen Anlass. Ich fühle mich auch nach wie vor absolut als Österreicher. Eine Standard-Antwort in vielen meiner Interviews ist: „I am an Austrian Designer, who lives in New York.“ Auch das Bild von Österreich in meiner Branche ist durchwegs positiv. Wenn ich zum Beispiel an Bregenz denke, muss die Vorarlberger Landeshauptstadt den internationalen Vergleich nicht scheuen. Es gibt in den USA keine Stadt mit so wenigen Einwohnern, die ein derart großes und vielfältiges kulturelles Angebot vorzuweisen hat. Das „ländliche“ und kleine Vorarlberg stellt sich dem internationalen Wettbewerb, egal, ob es um das Kunsthaus Bregenz geht, oder den Bregenzerwälder Architekten.

WANN & WO: Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie persönlich am Anfang Ihrer Karriere zu kämpfen?

Stefan Sagmeister: Nach einem Gastspiel in der Maschinenbau-HTL entwickelte ich im Dornbirner Schoren mein Interesse für das Gestalterische. Ich spielte auch in einer kleinen Band, wo ich meine Liebe zur Musik und zu Plattencovers entdeckt habe. Nach meinem Wechsel nach Wien und der Aufnahme an der Angewandten konzentrierte ich mich u.a. auch auf das Design von Theaterplakaten. Eigentlich mehr zufällig habe ich dann mit diesem Projekt für ein Stipendium angesucht. Die Kommission bestand glücklicherweise aus fleißigen Theatergängern und so erhielt ich dann ein Fulbright-Stipendium, was mir das zweijährige Auslandsstudium in New York ermöglichte.

WANN & WO: Im Anschluss an Ihre erste New York-Phase haben Sie dann ein Design-Studio in Hongkong gegründet.

Stefan Sagmeister: Dort erhielt ich zum ersten Mal Zugang in die Werbewelt und eröffnete unter der Schirmherrschaft einer großen Agentur mein erstes Designstudio. Ich habe gut verdient und konnte einiges auf die Seite bringen. Mit dem Ersparten kehrte ich dann nach New York zurück und begann für meine damalige „Heldenfirma“ M&Company zu arbeiten. Dort habe ich mich auch wieder auf die Welt der Musik konzentriert, eigentlich wieder auf das, wieso ich mich damals für diesen Beruf entscheiden hatte. Anfangs mit kleinen unbekannten Bands, bis ich dann mit Musikern wie David Byrne (Talking Heads), Rolling Stones, Brian Eno oder Lou Reed zusammengearbeitet habe. Diese Leute sehe ich nach wie vor nicht nur aufgrund ihrer Musik als Vorbilder, sondern gerade auch in Anbetracht dessen, wie man ein erfülltes Leben führt.

WANN & WO: Wie schwierig war es, sich in New York einen Namen zu machen?

Stefan Sagmeister: Wir haben uns immer die Frage gestellt: „Machen wir so gute Arbeit, wie wir können?“ Anfangs hatte ich zwei Cover in meinem Portfolio, wir fanden aber kaum Auftraggeber und die Labels ignorierten uns größtenteils.
Hans Platzgumer, der inzwischen in Lochau wohnt, war damals mit seiner Band H. P. Zinker im New Yorker Underground tätig. Wir haben dann das Cover für ein Album von ihnen gestaltet und wurden für die Grammys nominiert. Ab diesem Zeitpunkt zeigten sich auch die Labels interessiert, so kamen Lou Reed über Warner oder Aerosmith über Sony zu uns. Und die Rolling Stones kamen direkt auf uns zu.

WANN & WO: Wie verläuft die Zusammenarbeit mit einem für seinen Perfektionismus bekannten Mick Jagger? Wie viel künstlerische Freiheit bleibt einem Designer?

Stefan Sagmeister: Beim ersten Meeting in Los Angeles mit Mick Jagger und Charlie Watts wurde gleich deutlich, dass Jagger die Entscheidungen trifft. Zwar stand noch kein Titel für das Album fest, trotzdem gab es schon diverse Deadlines. Die erste Frist wurde auf Juni gesetzt, Mitte Juni folgte dann die nächste und Anfang Juli kam daraufhin: „Don’t even think of fucking moving this deadline!“ Wir wurden dann trotzdem erst Mitte August angerufen und nach London zitiert. Mir wurde streng verboten, die Stadt ohne eine Idee für das Cover zu verlassen. Im Meeting erfuhr ich außerdem vom Titel „Bridges To Babylon“. Mick gab mir den Tipp, dass das Britische Museum eine ordentliche syrische Sammlung hat. Das Coversymbol musste außerdem gut als gesticktes Logo, z.B. auf Baseball-Caps, funktionieren. Mein erster Weg nach dem Meeting führte mich direkt ins Museum, wo dann die Idee entstand, sich an den Löwenfiguren mit den menschlichen Gesichtern zu orientieren. Ich habe ihnen im Anschluss einige Entwürfe präsentiert und bekam am nächsten Tag das Okay. Im Falle der Rolling Stones und im Speziellen mit Mick Jagger verlief die Arbeit sehr geradlinig und direkt. Ihm war das Cover so wichtig, dass ich größtenteils permanent mit ihm in direktem Kontakt war, ohne dass z.B. das Label dazwischen gefunkt hat. Und wenn dann doch ein Veto kam, konnte ich immer sagen: „Well, Mick liked it that way“ und die Sache war meistens vom Tisch (schmunzelt). Vom Zeitdruck weniger begeistert zeigte sich Tommy Hilfiger, der die damalige Tour präsentierte: Eines Morgens erhielt ich um sechs Uhr früh einen Anruf. „Sagmeister, this is Hilfiger. Where is my fucking lion?“ Schlussendlich hat aber alles im Großen und Ganzen reibungslos geklappt.

WANN & WO: Woraus schöpfen Sie Inspiration?

Stefan Sagmeister: Nie im gleichen Gebiet. Was ich nie mache, ist das bewusste Studium meiner Konkurrenz, ihre Arbeit sehe ich eh automatisch in meiner Branche. Inspiration, die von außen kommt, ist wesentlich interessanter. Wenn ich reise, versuche ich immer ein bis zwei Stunden an neuen Ideen zu arbeiten, und den Input zu verarbeiten. Literatur spielt auch eine große Rolle. Ich schätze auch den Reiz des Banalen, so mag ich zum Beispiel die Arbeit eines norwegischen Autors, der über zwei Seiten den Abwasch bis ins kleinste Detail beschreibt. Oder aus der Musik, zum Beispiel Tocotronic, die ebenfalls viele Songs dem menschlichen Alltag widmen. Unser Leben besteht nicht nur aus Höhepunkten. Ich fahre auch gerne Zug und schätze die Szenerie.

WANN & WO: Stichwort Tocotronic. Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?

Stefan Sagmeister: Natürlich eine große, ich wollte immer schon Design für Musik schaffen. In der Musik als Macher war ich immer schwach, ich war quasi der schlechteste Musiker in schlechten Bands. Momentan stelle ich meine Sammlung wieder auf Vinyl um, einfach des bewussten Hörens willen. In diesem Falle bin ich etwas Nostalgiker. Ein Verstärker, zwei Boxen und ein Plattenspieler. Eine interne Regel verfolge ich aber in meiner Plattensammlung: Das Cover muss gut sein. Es gibt sehr viel gute Musik mit schlechten Covers, aber nicht umgekehrt. Also, es gibt wenig schlechte Musik in guten Covers. So habe ich auch schon viele gute Bands entdeckt.

WANN & WO: In einem Interview werden Sie als „Philosoph unter den Designern“ bezeichnet. Wie stehen Sie dazu?

Stefan Sagmeister: Das finde ich etwas hochtrabend. Das Anliegen von unserem Studio liegt darin, Arbeit zu machen, die menschlich ist. Wenn es passt, darf es auch emotional rüber kommen. Gerade in der Musik ist dies ein entscheidender Faktor, da sie die Fähigkeit besitzt, Stimmungen zu erzeugen. Das hat sie der visuellen Kunst voraus, wo dies sehr selten der Fall ist. Ich kenne kaum jemanden, der vor einem Gemälde in Tränen ausbricht, auch wenn es viele behaupten. Provokation ist auch ein probates Mittel. Sie resultiert oft aus der Überraschung heraus. Je nachdem, welches Medium der Betrachter konsumiert, bleiben unterschiedliche Zeitfenster, um den Leser, Hörer oder Seher zu überraschen oder zu bewegen. Im Falle einer Website, einer Zeitung oder einer Werbung kann ich damit rechnen, dass sich der Mensch nur eine oder zehn Sekunden damit beschäftigt. Teil der Überraschung kann dann auch die Provokation sein. Wenn man aber dauernd provoziert, macht das meiner Meinung nach auch keinen Sinn.

WANN & WO: An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?

Stefan Sagmeister: Aktuell sind wir in der Endproduktion von „The Happy Film“, einem Streifen über das Glück und unser erster Dokumentarfilm, der jetzt in Kürze bei vielen Festivals eingereicht wird. In der Agentur ist Hochkonjunktur, vergleichbar mit der Phase in 1999. Das Telefon klingelt dauernd, Konkurrenten versuchen, unsere Designer mit horrenden Gehältern abzuwerben – ich habe fast ein wenig Angst, vor einer neuen Blase.

WANN & WO: Wie wichtig ist Ihnen Soziales Engagement?

Stefan Sagmeister: Ich glaube nicht, dass ein Designer eine größere Verpflichtung als ein Journalist oder ein Straßenkehrer hat. Ich denke, dass jeder Mensch, der ein erfülltes Leben führen möchte, sich im Wesentlichen auf ein paar Dinge konzentrieren muss: Eine Verbindung zu sich selbst, zu seinem Umkreis, wie Freunden oder Familie, und eine Relation zu etwas, das größer ist, als er selbst. Oft sind diese Verbindungen, gerade die direkten, wie z. B. zu seiner Stadt, seinem Land oder seinem direkten Umfeld, Teil von dem, was es heißt, Mensch zu sein. Dies versuchen wir immer in unsere Arbeit einfließen zu lassen. Den größten Erfolg diesbezüglich konnten wir in einer zehn Jahre dauernden Kampagne umsetzen, die sich zum Ziel nahm, das US-amerikanische Militärbudget mit einem Volumen von 600 Milliarden Dollar um 15 Prozent zu verringern, und dies für Erziehung auszugeben. Unser Auftraggeber war ein Firmenkonglomerat von über 500 angesehenen CEOs, angefangen bei Ben Cohen (Ben & Jerrys) oder Ted Turner (CNN), was für einen derart großen medialen Widerhall sorgte, dass Barack Obama schließlich das Budget verringerte. Ich glaube, dass alle sozialen Dinge, die auf Langlebigkeit aus sind, einen Eigennutz haben sollten. Daraus resultiert auch Nachhaltigkeit.

WANN & WO: Wie unterscheidet sich der US-Amerikaner vom Europäer oder auch der Einwohner von New York vom Vorarl­berger?

Stefan Sagmeister: Parteipolitisch sind die USA wesentlich mehr rechts als Österreich. Die Positionen der ÖVP wären in den Staaten absolut linksdemokratisch. Ich denke nicht, dass irgend jemand in der Volkspartei beispielsweise eine allgemeine Krankenversicherung in Frage stellen würde. In Vorarlberg gibt es in vielen Berufen großen Stolz auf die jeweilige Profession, egal ob man Architekt oder Klempner ist. Schon beim Klempner-Auto wird zum Beispiel viel Wert auf das kleinste Detail und einen ordentlichen Auftritt gelegt. Das fehlt in vielen Teilen New Yorks komplett. Die Qualität ist viel geringer. Stolz auf das eigene Tun ist meiner Meinung nach einer der Schlüssel zur Zufriedenheit.

Stefan Sagmeister

  • Geboren: 1962 in Bregenz
  • Ausbildung, Beruf: Designer,
  • Typograph, Agentur Sagmeister & Walsh
  • Wohnort: New York City

Auszeichnungen (Auszug)

  • 2005: Grammy Award (für das Albumdesign der LP „Once In A Lifetime“ der Talking Heads)
  • 2009: Lucky Strike Designer Award
  • 2010: Grammy Award („Everything That Happens Will Happen Today“ von Brian Eno)

Bekannte Werke (Auszug)

  • 1994: Mountains of Madness (Album-Cover für H. P. Zinker)
  • 1996: Set The Twilight Reeling (Poster für Lou Reed)
  • 1997: Feelings (Album-Cover für David Byrne)
  • 1997: Bridges To Babylon (Album-Cover für The Rolling Stones)
  • 2002: Initiative True Majority (Kampagne)
  • 2008: Things I Have Learned In My Life So Far

(WANN & WO)

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