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"Leutnant Gustl" feierte Premiere im Caféhaus

Das Salzburger landestheater befindet sich auf Abwegen: Die Premiere von Schnitzlers 100-Minuten-Monolog "Leutnant Gustl" erlebte im Café Bazar seine gefeierte Premiere.

„Du bist ein dummer Bub“. Dieser aus heutiger Sicht wenig aufregende Satz hat im Wien vor mehr als hundert Jahren wehgetan. Vor allem jungen Offizieren, die den hochgezüchteten Ehrenkodex donaumonarchistischer Prägung aufgesogen und mit einer Riesenportion persönlicher Arroganz zu einer hochexplosiven Melange vermischt haben. Und das hat „Leutnant Gustl“ getan, jener junge Spund mit Uniform, der in Arthur Schnitzlers gleichnamiger Novelle aus dem Jahr 1900 gut hundert Minuten lang mit sich selbst spricht. Gestern, Freitag, Abend hat das Salzburger Landestheater diesen Klassiker für eine Person zur Premiere gebracht, und zwar im Café Bazar.

Leutnant Gustl muss sich umbringen. Mit der Schmach des „dummen Buben“ kann er nicht leben. Obwohl es eh niemand gehört hat. Bevor er sich aber – natürlich im Morgengrauen – den Revolver zum Soldaten-Showdown ansetzt, sprudelt sein Leben an ihm vorbei. Hin und her gerissen zwischen Minderwertigkeitsgefühl und grenzenloser Überheblichkeit strippt der Gustl einen Seelenstrip ungeheurer Dekadenz. Das darf er. Denn Ehrbegriffe und kollektive Ignoranz einer Gesellschaft, die mit Karacho in den Vernichtungskrieg rannte, legitimieren, ja zwingen ihn dazu und zermalmen ihn beinahe. Und da liegt die Stärke, die heutige Gültigkeit dieses Stücks Zeitgeist einer sterbenden Epoche: „Leutnant Gustl ist eine brillante Persönlichkeitsstudie eines Juden verachtenden, aggressiven und selbstgefälligen Opportunisten, eines menschenverachtenden kleinen Strebers, eines Vorkriegs-Yuppies mit Kapperl und Stehkragen, mit einem Wort: Eines unsicheren kleinen Würstels in Extremsituation, das mit Schuldzuweisungen nur so um sich wirft. Als wenn es diesen Charakter heute nicht mehr gäbe. Nein, altbacken wirkte Schnitzler an diesem Abend nicht.

Das lag auch an Torsten Hermentin und dem Café Bazar. Hermentin überbrückte die Jahrzehnte mit beeindruckender körperlicher Präsenz und enormer sprachlicher Genauigkeit. Das können zur Zeit in Salzburg höchstens eine Hand voll Schauspieler, aber niemand in Hermentins Alter. Der 33-Jährige brachte die Zerrissenheit dieses Charakters und dessen Zeit weniger auf den historischen, als auf den psychologischen und damit urpersönlichen Punkt.

Unterstützt hat ihn dabei Regisseurin Natascha Kalmbach, die ihn körperlich nahe an die etwa hundert Premierengäste schob, sowie das richtige Maß an berechnender Selbstkontrolle, Hinterfotzigkeit und verzweifeltem Ausbruch mitgeformt hat. Und das Café Bazar, das mehr war als Kulisse, weil das Kaffeehaus historischer und zugleich gegenwärtiger Platz ist für Gesellschaft, Ehre, Gemeinheit und das Reden mit sich selbst. Großer Jubel für Hermentin und verdiente Anerkennung für Kalmbach. Die folgenden Vorstellungen sind samt und sonders fast ausverkauft. Wer also guten Schnitzler in Salzburg sehen will, sollte sich beeilen.
Das Stück steht bis 21. Jänner noch 18 weitere Male am Spielplan. Karten: Salzburger Landestheater 0662 / 871512-0 oder http://www.salzburger-landestheater.at

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