“Der Ablauf war in meiner Wahrnehmung und der vieler anderer TeilnehmerInnen ein offener Missbrauch für politische Zwecke”, fasst Grünen-Klubobmann Adi Gross die Kernaussage seines offenen Briefs an Evren Akkuş, den behördlich Verantwortlichen für die Kundgebung vom vergangenen Sonntag, zusammen.
Entgegen der Ankündigung sei es den Veranstaltern offensichtlich nicht um die Solidarität mit den Opfern des bestialischen Kriegs in Syrien gegangen. Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten und die Mitveranstalter aus dem türkisch-nationalistischen und konservativ-islamischen Bereich hätten die Kriegsopfer für ihre Ziele instrumentalisiert.
Weibliche und männliche Teilnehmer getrennt
“Unerträglich war die von Kundgebungsordnern verfügte Trennung in Männer und Frauen”, so Gross. Das sei eine Provokation gegen die Gleichheit der Geschlechter, Kernbestand einer modernen, aufgeklärten Demokratie. “Damit stoßen die türkischen Organisationen die Menschen vor den Kopf.”
Der offene Brief im Wortlaut
Sehr geehrter Herr Akkuş,
ich wende mich an Sie, da Sie als Obmann der UETD in Vorarlberg für die Kundgebung, die unter dem Motto “Aleppo ist nicht alleine” am vergangenen Sonntag, 18. Dezember,2016, in Bregenz stattgefunden hat, verantwortlich sind.
In der Annahme, es gehe um Solidarität mit den Menschen, die in Ost-Aleppo in den vergangenen Tagen und Wochen Opfer einer rücksichtslosen und verbrecherischen Kriegsführung geworden sind, bin ich vergangenen Sonntag zu der von Ihnen angemeldeten Kundgebung beim Bregenzer Bahnhof gegangen.
Einigermaßen irritiert war ich von der Menge der türkischen Fahnen und Flaggen, die der Kundgebung ihren türkisch-nationalen Stempel aufdrückten. Auch in den Reden wurden neben der Anteilnahme für Aleppo klar türkisch nationalistische Postionen vertreten. Das hat insbesondere bei so einem Anlass nichts verloren.
Sehr geärgert hat mich weiter die Tatsache, dass während des Gebets und auch danach Kundgebungsordner die Geschlechter mittels Baustellenabsperrungsband trennten.
Ich habe die Kundgebung dann auch vorzeitig verlassen, weil dieser Ablauf offensichtlich nicht mit den angekündigten Zielen der Solidarität mit der Bevölkerung von Ost-Aleppo zusammenpasste.
Im übrigen bin ich mit dieser Wahrnehmung nicht alleine. Eine Bekannte, die sich gegenüber den Kriegsopfern von Aleppo solidarisch zeigen wollte, hätte sich den Anweisungen ihrer Ordner zufolge allein, d. h. ohne ihren Mann, in den für Frauen vorgesehenen Teil der Kundgebung begeben sollen. Sie wandte sich an einen Polizeibeamten, der ihre Ordner darauf hinwies, dass eine solche Anweisung unzulässig ist.
Der geschilderte Ablauf lässt aus meiner Sicht die Schlussfolgerung zu, dass Sie als Verantwortlicher für die Kundgebung vom vergangenen Sonntag das unermessliche Leid der Kriegsopfer von Aleppo politisch missbraucht haben. Und das in zweierlei Hinsicht: erstens im Sinne der türkisch-nationalistischen Ziele, die Präsident Erdogan unterstützt von der türkischen Regierung, von seiner Partei, der AKP und von der UETD verfolgt.
Und zweitens haben Sie die Solidarität und das Mitleid mit den Kriegsopfern im Sinne des von Präsident Erdogan und Ihnen propagierten ultrakonservativen Islam missbraucht. Eine Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum ist vollkommen inakzeptabel, weil sie die in einem modernen, zivilisierten Land selbstverständliche Gleichheit von Mann und Frau in Frage stellt.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie in aller Dringlichkeit darauf hinweisen, dass Sie mit solchen Vorgangsweisen in der Öffentlichkeit Vorarlbergs Irritation und Ablehnung hervorrufen. Warum suchen Sie für solche Solidaritätskundgebungen nicht das Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich im Land Vorarlberg und Umgebung engagieren? Ich bin mir sicher, dass viele davon – etwa der Verein Vindex oder Amnesty International, nicht zuletzt auch wir, die Grünen, die wie Sie wissen, sich immer zu unseren türkischstämmigen MitbürgerInnen solidarisch zeigen – einen ernst gemeinten Akt der menschlichen Solidarität am vergangenen Sonntag gerne und engagiert mitgetragen hätten.
Möglicherweise ergibt sich eine solche Zusammenarbeit in Zukunft.
Mit freundlichen Grüßen
Adi Gross, Klubobmann der Grünen im Vorarlberger Landtag
(red)
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